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Ich hatte die Macht der Priesterkönige kennengelernt — vor Jahren in den Bergen New Hampshires, als sie die Nadel meines Kompasses durcheinanderbrachten, dann auch im Tal von Ko-ro-ba, wo eine Stadt vernichtet worden war, so beiläufig, als sei jemand in einen Ameisenhaufen getreten.

Ja, ich wußte, daß die Macht der Priesterkönige — die sogar stärker sein sollte als der Zug der Schwerkraft — Städte in Schutt und Asche legen, ganze Bevölkerungen zerstreuen, Freunde trennen, Liebende einander entfremden, Tod bringen konnte. Und von den anderen Menschen auf Gor wußte ich, daß ihre Macht Entsetzen hervorrief, daß sie unwiderstehlich war.

Ich mußte an den Mann denken, der mir in den Roben eines Wissenden erschienen war und mir die Botschaft der Priesterkönige gebracht hatte — vor Monaten auf der einsamen Landstraße nach Ko-ro-ba. Und seine Worte klangen mir in den Ohren: »Wirf dich in dein Schwert, Tarl aus Ko-ro-ba!«

Aber ich wußte damals wie heute, daß ich das nicht fertigbrachte, daß ich vielmehr in das Sardargebirge zu den Priesterkönigen vordringen wollte.

Ich würde sie finden.

Irgendwo in den schroffen Klippen, die selbst einem wilden Tarn nicht zugänglich waren, warteten sie auf mich, die Götter einer grausamen Welt.

20

In der Hand hielt ich ein Schwert, das ich einem der Bergwerkswächter abgenommen hatte. Es war meine einzige Waffe. Ehe ich meine lange Reise antrat, erschien es mir ratsam, meine Bewaffnung zu vervollständigen. Die Soldaten, die oben am Schacht gegen die Sklaven gekämpft hatten, waren tot oder geflohen. Und die Toten waren aller Kleidung und Waffen beraubt — Ausrüstungsgegenstände, die die zerlumpten, unbewaffneten Sklaven dringend benötigten.

Ich wußte, daß ich nicht sehr viel Zeit hatte, denn die rächenden Tarnkämpfer Tharnas mußten bald vor den drei Monden erscheinen. Ich untersuchte die niedrigen Holzgebäude, die rings um den Zentralschacht standen. Fast alle waren aufgebrochen und ihr Inhalt mitgenommen oder herausgeworfen. In den, Waffenkammern war keine Klinge, kein Speer mehr zu sehen, und die Vorratsräume waren bis auf den letzten Krümel geleert.

Im Büro des Bergwerksverwalters, des Mannes, der einmal ein ganzes Bergwerk hatte überfluten. lassen, fand ich einen nackten Leichnam. Doch ich hatte den Mann schon einmal gesehen, als ich von dem Soldaten in seine Obhut gegeben wurde. Er war der Bergwerksverwalter persönlich. Der korpulente, grausame Mann war nun bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

An der Wand hing eine leere Schwertscheide. Ich hoffte, daß der Mann noch Zeit gehabt hatte, nach seiner Waffe zu greifen, ehe ihn die Sklaven anfielen, denn obwohl mir der Haß auf ihn nicht schwerfiel, wollte ich ihm doch nicht wünschen, unbewaffnet gestorben zu sein In dem Getümmel, bei dem schwachen Schimmer der Tharlarionlampen hatten die Sklaven die Schwertscheide wahrscheinlich übersehen oder nicht gewollt. Das Schwert war natürlich verschwunden. Ich nahm die Scheide von der Wand und beschloß, sie mitzunehmen.

Im ersten Schein der Morgendämmerung, der durch das staubige Fenster hereindrang, stellte ich fest, daß die Scheide mit sechs Edelsteinen besetzt war. Smaragde. Vielleicht nicht sonderlich kostbar, aber auf jeden Fall des Mitnehmens wert.

Ich steckte meine Waffe in die leere Scheide, warf mir den Schwertgürtel um und schloß ihn nach goreanischer Sitte über meiner linken Schulter. Als ich die Hütte verlassen hatte, suchte ich den Himmel ab. Noch waren keine Tarnkämpfer in Sicht. Die drei Monde waren blaß geworden und standen wie weiße Scheiben am heller werdenden Himmel; die Sonne hatte sich schon halb hinter dem Horizont erhoben.

In dem düsteren Licht breitete sich vor mir eine Szene des Schreckens aus. Das häßliche Bergwerksgelände, die einsamen Holzhütten, der braune Boden und die nackten Felsen waren verlassen. Nur die Toten bevölkerten die Siedlung. Zwischen den Überresten der Plünderung — Papiere, aufgerissene Kartons, zerbrochene Möbelstücke und Draht — lagen in steifer, verdrehter Stellung die Toten, zermalmte, nackte Körper. Staubwölkchen wirbelten vorbei wie Tiere, die die Füße der Toten beschnüffelten. An einem der Schuppen schwang eine Tür im Winde, knallte in regelmäßigen Abstanden gegen die Wand.

Ich ging quer durch das Gelände und nahm einen Helm an mich, der halb vergraben unter verschiedenen Papieren lag. Sein Halsband war gerissen, doch die Enden ließen sich noch zusammenbinden. Die Sklaven hatten den Helm vermutlich übersehen.

Ich hatte mich ausrüsten wollen, doch ich hatte nur eine Schwertscheide und einen beschädigten Helm gefunden, und bald mußten die Tarnkämpfer Tharnas eintreffen. Im Kriegerschritt — eine Art Trott, der sich stundenlang durchhalten läßt — verließ ich das Bergwerksgelände. Ich hatte den Schutz einiger Bäume erreicht, als ich einige Tausend Meter hinter mir die Tarnkämpfer Tharnas heranfliegen sah. Wie ein Wespenschwarm fielen sie über dem Zentralschacht ein und setzten zur Landung an.

Es geschah drei Tage später, daß ich in der Nahe der tharnaischen Verhandlungssäule meinen Tarn wiederfand. Ich hatte seinen Schatten gesehen, besorgt, daß er wild geworden sein könnte, und hatte mich darauf eingestellt, mein Leben teuer zu verkaufen. Doch das große Ungeheuer, mein gefederter Riese, der sich vielleicht wochenlang in der Nahe der Verhandlungssäule herumgetrieben hatte, landete etwa dreißig Meter von mir entfernt auf der Ebene, schüttelte seine großen Flügel und kam auf mich zu.

Aus ebendiesem Grunde war ich zur Säule zurückgekehrt — in der Hoffnung, daß sich der Vogel aus dieser Gegend nicht fortbewegt hatte. Die Jagdgründe waren gut, und die Felsspitzen, auf die ich die Tatrix gebracht hatte, boten Schutz und Unterkunft für die Nacht.

Als er in meine Nähe kam und seinen Kopf vorstreckte, fragte ich mich, ob nun etwa das Unmögliche Wirklichkeit geworden war, etwas, das es eigentlich nicht geben konnte, daß nämlich der Vogel auf mich gewartet hatte.

Er zeigte keinerlei Widerwillen und keine Erregung, als ich auf seinen Rücken sprang und ihm zurief: »Erster Zügel!«, woraufhin er sich mit schrillem Schrei und gewaltigem Satz in die Luft erhob; seine mächtigen Flügel knallten wie Peitschen und hoben ihn mit schneller Bewegung in die Luft.

Als wir die Verhandlungssäule passierten, mußte ich daran Denken, daß ich hier von der früheren Tatrix von Tharna verraten worden war. Und ich fragte mich, was aus ihr geworden sein mochte. Ich wunderte mich auch über ihren Verrat, über ihren seltsamen Haß auf mich, der so wenig zu dem einsamen Mädchen auf dem Felsgrat zu passen schien, das sich die Talenderblumen angesehen hatte, während ich mich an der Beute meines Tarn sättigte. Dann erfüllte mich neue Wut bei der Erinnerung an ihre herrische Geste, an ihren unverschämten Befehclass="underline" »Ergreift ihn!« Was immer sie erlebt haben mochte — ich redete mir ein, daß es wohlverdient sein mußte. Und doch hoffte ich, daß sie vielleicht nicht den Tod gefunden hatte. Ich fragte mich, welche Rache Dorna die Stolze an ihr genommen hatte, und bedrückt stellte ich mir vor, daß sie Lara womöglich in eine Ostgrube geworfen oder in stinkendem Tharlarionöl bei lebendigem Leibe verbrannt hatte. Vielleicht hatte sie sie auch unbekleidet den hungrigen Blutpflanzen Gors überlassen oder sie in den Verliesen unter ihrem Palast den Urts zum Fraße vorgeworfen. Ich wußte, daß der Haß eines Mannes schwach sein kann im Vergleich zu den Gefühlen einer Frau, und wagte mir nicht weiter auszumalen, was Dorna die Stolze mit ihrer Gefangenen gemacht hatte.

Der Monat der Tag- und Nachtgleiche, genannt En’Kara, oder der erste Kara, war angebrochen, was wörtlich übersetzt die›erste Wende‹ bedeutet und sich auf die Sonne bezieht. Der goreanische Kalender ist übrigens ein kompliziertes Ding und treibt die Schriftgelehrten dieser Welt zur Verzweiflung. Denn auf Gor zählen die Städte ihre Zeit nach der eigenen Liste von Administratoren; zum Beispiel wird ein Jahr als das Zweite Jahr, nachdem Soundso Administrator war, bezeichnet. Man würde sich denken, daß die Kaste der Wissenden eine gewisse Stabilität in den Kalender bringen könnte, da sie doch ihre Feste und Opferfeiern in Listen festhielten — doch die Wissenden der verschiedenen Städte feiern nicht immer die gleichen Feste. Wenn der Höchste Wissende Ars beispielsweise seine Hegemonie über die Hohen Wissenden feindlicher Städte ausdehnen könnte — eine Hegemonie, die er längst beansprucht —, wäre ein einheitlicher Kalender vielleicht denkbar. Aber bisher hat Ar über andere Städte noch nicht militärisch gesiegt, und so sehen sich die Wissenden anderer Städte im Schutz des Schwertes als frei und unabhängig an, als höchste Instanzen ihrer jeweiligen Gemeinde.