Nach der Theorie kann ein Mädchen, das plötzlich wie ein Tier gebrandmarkt wird, dessen helle Haut plötzlich vom Eisen ihres Herrn entstellt ist, nicht um das innere Gefühl herum, daß sie jetzt ein Gegenstand des Besitzes ist, etwas, das dem Wesen gehört, das ihr dieses brennende Eisen an den Schenkel gedrückt hat.
Wahrscheinlich hängt die Wirkung des Brandzeichens weitgehend von dem Mädchen ab. Manche werden es nur als ein weiteres Zeichen ihrer Scham, ihres Elends und ihrer Erniedrigung sehen. Andererseits kenne ich Fälle, da eine stolze, wehrhafte Frau, womöglich von großer Intelligenz, die sich stets gewehrt hatte, bei der Berührung des Brandeisens zu einer leidenschaftlichen und gehorsamen Vergnügungssklavin wurde.
Alles in allem weiß ich nicht, ob das Brandzeichen vorwiegend um der psychologischen Wirkung willen verwendet wird oder nicht. Vielleicht handelt es sich nur um eine Kennzeichnung der Händler, die eine Möglichkeit haben müssen, entlaufene Sklaven aufzuspüren, da ihr Beruf sonst mit einem nicht zu vertretenden Risiko behaftet wäre. Manchmal glaube ich auch, das Brandeisen ist nur ein unschönes Überbleibsel aus einer weniger fortschrittlichen Zeit.
Eines war jedenfalls klar. Das arme Wesen hier wollte das Brandeisen nicht.
Ich hatte Mitleid mit ihr.
Der Helfer des Sklavenhändlers zog ein Eisen aus dem Feuer. Mit seinem gesunden Auge musterte er es abschätzend. Es war weißglühend. Er nickte.
Das Mädchen drückte sich gegen den Baum, und ihr Rücken schabte über die rauhe weiße Rinde. Mit Fuß- und Handgelenken wehrte sie sich gegen die Umklammerung der Sklavenfesseln. Sie atmete keuchend. Ihr ganzer Körper bebte, und Entsetzen stand in ihren Augen. Sie begann zu wimmern.
Der Sklavenhelfer legte den linken Arm um ihren rechten Schenkel und hielt ihn umklammert. »Nicht rühren, mein Schatz«, sagte er nicht ohne Freundlichkeit. »Du darfst das Zeichen nicht verwischen.« Er sprach langsam auf das Mädchen ein, als wollte er es beruhigen. »Du wünschst dir doch ein klares, hübsches Zeichen, nicht? Dadurch wird dein Preis höher, und du bekommst einen besseren Herrn.«
Das Eisen wurde nun angehoben, war zum Zustoßen bereit.
Ich sah, daß sich einige der kurzen goldenen Haare auf ihrem Schenkel zusammenrollten und versengt wurden.
Sie schloß die Augen und stählte sich gegen den unvermeidlichen Schmerz.
»Laß das«, sagte ich.
Der Mann starrte mich verwundert an.
Die entsetzten Augen des Mädchens öffneten sich, musterten mich fragend.
»Warum nicht?« fragte der Mann.
»Ich kaufe sie«, sagte ich.
Der Helfer des Sklavenhändlers stand auf und sah mich neugierig an. Er wandte sich zu den Zelten um. »Targo!« brüllte er. Dann stieß er das Brandeisen wieder in die Kohlen.
Das Mädchen sank in ihren Fesseln zusammen. Sie hatte das Bewußtsein verloren.
Zwischen den runden Zelten erschien ein kleiner dicker Mann in einem weiten Umhang aus buntgestreifter Seide und einem Kopfband aus dem gleichen Materiaclass="underline" Targo, der Sklavenhändler, Herr über diese kleine Karawane. Targo trug purpurne Sandalen, deren Senkel mit Perlen besetzt waren. Seine dicken Finger waren voller Ringe, die bei jeder Handbewegung glitzerten. Um seinen Hals trug er nach Art eines Hausmeisters durchstochene Münzen an einem Silberdraht. An seinen Ohrläppchen hingen gewaltige Ohrringe, Saphirpendants an goldenem Stengel. Sein Körper war frisch eingeölt, und ich nahm an, daß er sich bis eben in seinem Zelt gewaschen hatte — ein Vergnügen, das sich Karawanenherren am Ende eines langen, staubigen Tages mit Vorliebe gönnten. Sein Haar, lang und schwarz unter der blaugelben Seide, war fettig und glattgestriegelt. Es erinnerte mich an den schimmernden Pelz eines Haus-Urts.
»Guten Tag, Herr«, lächelte Targo, verbeugte sich und musterte den seltsamen Fremden, der da in sein Lager gekommen war. Dann wandte er sich an den Mann, der die Eisen bewachte. Mit scharfer, herrischer Stimme fragte er: »Was geht hier vor?«
Sein Helfer deutete auf mich. »Er will nicht, daß ich das Mädchen brandmarke.«
Targo sah mich verständnislos an. »Wieso?« fragte er.
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Was konnte ich diesem Händler antworten, diesem Spezialisten des Sklavenhandels, diesem Geschäftsmann, der den alten Traditionen und Praktiken seines Gewerbes folgte? Konnte ich ihm sagen, daß dem Mädchen kein Leid geschehen sollte? Er hatte mich für verrückt gehalten. Doch welchen anderen Grund gab es?
Ich kam mir seltsam vor, doch ich sagte ihm die Wahrheit. »Ich möchte nicht, daß ihr weh getan wird«, sagte ich.
Targo und sein Helfer sahen sich an.
»Aber sie ist nur eine Sklavin«, sagte Targo.
»Ich weiß.«
Der Sklavenhelfer ergriff das Wort: »Er hat gesagt, er will sie kaufen.« »Ah!« sagte Targo, und seine winzigen Augen glitzerten. »Das ist etwas anderes.« Plötzliche Traurigkeit überzog sein Gesicht. »Nur schade, daß sie so teuer ist.«
»Ich habe kein Geld«, sagte ich.
Targo starrte mich verständnislos an. Sein fetter kleiner Körper zog sich wie eine Faust zusammen. Er war wütend. Er wandte sich an den anderen Mann, ohne mich weiter zu beachten. »Brandmarke das Mädchen!« sagte er.
Sein Helfer zog ein Eisen aus den Kohlen.
Meine Schwertspitze berührte die Haut des dicken Sklavenhändlers. »Laß sein!« sagte Targo.
Gehorsam steckte der Mann das Brandeisen wieder ins Feuer. Er sah, daß mein Schwert auf den Bauch seines Herrn gerichtet war, doch er schien sich weiter keine Sorgen zu machen. »Soll ich die Wächter rufen?« fragte er.
»Ich bezweifle, daß sie schnell genug hier sein konnten«, sagte ich leise. »Du brauchst die Wächter nicht zu rufen«, sagte Targo, der nun zu schwitzen begann.
»Ich habe kein Geld«, sagte ich, »aber ich habe diese Scheide.« Targos Blick zuckte herab und bewegte sich von einem Smaragd zum Nächsten. Seine Lippen bewegten sich stumm. Sechs Steine.
»Vielleicht«, sagte Targo, »werden wir uns einig.«
Ich steckte das Schwert ein.
Targo wandte sich an seinen Helfer und sagte mit scharfer Stimme: »Weck sie!«
Murrend holte der Mann einen Ledereimer voller Wasser aus dem kleinen Fluß. Targo und ich starrten uns an, bis der Mann zurückkehrte. Er schüttete das kalte Wasser über das angekettete Mädchen, das nun prustend und zitternd die Augen öffnete.
Targo trat mit kurzen, rollenden Schritten neben das Mädchen, schob einen dicken Finger, an dem ein großer Rubinring schimmerte, unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an.
»Eine wirkliche Schönheit«, sagte Targo. »Und in den Sklavengruben Ars bestens ausgebildet.«
Ich konnte sehen, wie der andere Mann hinter Targo den Kopf schüttelte. »Und«, fuhr Targo fort, »sie ist sehr gehorsam und eifrig.«
Hinter ihm schüttelte der Mann wieder den Kopf und zuckte die Achsel. »Sanft wie eine Taube, friedlich wie ein Kätzchen«, fuhr Targo fort. Ich schob meine Schwertklinge zwischen die Wange des Mädchens und das Haar, das über ihren Kopf ,gebunden war. Ich ruckte daran, und die Haarsträhnen glitten von der Klinge.
Das Mädchen starrte Targo an: »Du fetter, schmutziger Urt!« zischte sie. »Still, Tharlarion!« fauchte er.
»Ich glaube nicht, daß sie viel wert ist«, sagte ich.
»O Herr!« rief Targo und fuhr herum. »Ich habe hundert silberne Tarnmünzen für sie zahlen müssen!«
Hinter Targo hielt sein einäugiger Helfer die Finger in die Luft und öffnete seine Hände fünfmal.
»Ich mochte bezweifeln, daß sie mehr als fünfzig wert ist«, sagte ich. Targo sah mich verblüfft an. Respekt schimmerte in seinen Augen. Vielleicht war ich vom Fach? Tatsächlich waren fünfzig silberne Tarnmünzen ein sehr hoher Preis, der darauf schließen ließ, daß das Mädchen aus hoher Kaste stammte. Ein gewöhnliches Mädchen aus niedriger Kaste mochte untrainiert je nach Marktlage bis zu dreißig Münzen bringen.