Ich blickte überrascht auf.
»Ja«, sagte sie, »ich sehnte mich nach dir.« Sie senkte den Kopf, und ihre Stimme war so leise, daß ich sie kaum noch verstehen konnte. »Obwohl ich Tatrix von Tharna war, wollte ich dir zu Füßen liegen, wollte ich mit gelben Schnüren auf rotem Teppich gebunden werden.«
Ich erinnerte mich daran, daß sie im Ratssaal Tharnas schon einmal von gelben Schnüren gesprochen hatte.
»Was hat es mit dem Teppich und den gelben Schnüren auf sich?« »In den alten Zeiten waren die Verhältnisse noch anders in Tharna.« Im Zelt des Sklavenhändlers berichtete mir Lara nun aus der seltsamen Geschichte ihrer Stadt. Zu Anfang hatte sich Tharna kaum von anderen goreanischen Städten unterschieden, in denen Frauen keinerlei Vorrangstellung und schon gar keine Rechte genossen. Damals waren die Riten der Unterwerfung praktiziert worden, bei denen die Gefangene mit gelben Schnüren gefesselt und auf einen roten Teppich gelegt wurde. Die gelbe Farbe der Schnüre war ein Symbol für die Talenderblume, die oft mit weiblicher Liebe und Schönheit gleichgesetzt wurde, und das Rot des Teppichs entsprach wohl der Farbe des Blutes, ein Symbol für die Leidenschaft.
Der Sieger über das Mädchen legte ihr das Schwert auf die Brust und sprach den vorgeschriebenen Versklavungsspruch — die letzten Worte, die das Mädchen als freie Frau hören würde.
Wenn der Sieger das Mädchen schließlich freigab und den Ritus vollendete, wenn sie dann aufstand und ihm folgte, war sie in seinen und ihren Augen eine Sklavin.
Mit der Zeit gerieten diese grausamen Riten in Vergessenheit, und die Frauen Tharnas gewannen an Bedeutung, wurden Vernünftiger und menschlicher behandelt. Durch ihre Liebe und Zärtlichkeit lehrten sie ihre Herren, daß auch sie des Respekts und der Zuneigung wert waren. Und je mehr die Sklavinnen ihren Herren am Herzen lagen, desto geringer wurde der Wunsch, sie zu demütigen, denn nur wenige Männer vermögen eine Frau zu erniedrigen für die sie echte Gefühle empfinden. Und als sich der Status der Frauen verbesserte und weniger klar definiert war, begannen sich auch die feinen Spannungen der Beherrschung und Unterwerfung, die in der tierischen Welt vom Instinkt beherrscht werden, zu ändern.
Das Gleichgewicht der gegenseitigen Wertschätzung ist stets sehr empfindlich, und es ist statistisch unmöglich, daß es sich in einer ganzen Bevölkerung lange halt. Entsprechend begannen die tharnaischen Frauen — vielleicht zunächst unbewußt — die Gelegenheit zu nutzen, die ihnen durch die Kindererziehung und durch die Liebe geboten wurde, und im Laufe der Generationen vermochten sie ihre Stellung sehr zu verbessern — wobei sie sich aller Mittel bedienten.
Mit der Zeit gewannen die spezifischen Fähigkeiten, die die Natur der Frau mitgegeben hat, die Talente des Mannes zu überwiegen — bewirkt durch die Erziehung der Jugend und die Kontrolle über die Bildung. Und so wie es in unserer Welt möglich ist, eine ganze Bevölkerung zu Dingen zu erziehen, die für andere Völker völlig undenkbar und absurd sind, festigte sich bei den Männern und Frauen Tharnas nach und nach der Glaube an die Überlegenheit der Frau — der Weg zu ihrer Herrschaft war eingeschlagen. So geschah es, daß den Frauen von Tharna am Ende der Entwicklung die unangefochtene Führung zufallen konnte. Obwohl diese Situation einige Generationen hindurch sozial vertretbar erscheint, ist sie auf lange Sicht nicht gerade förderlich für das menschliche Glück. Auch ist nicht klar, ob ihr die Männerherrschaft in den meisten übrigen goreanischen Städten vorzuziehen ist, die sicherlich auch ihre negativen Seiten hat. In einer Stadt wie Tharna werden die Männer, die sich von ihrer Erziehung her als Tiere und minderwertige Lebewesen verstehen, kaum den nötigen Selbstrespekt entwickeln, der die volle Männlichkeit fordert. Aber was noch seltsamer ist — auch die Frauen scheinen mit dem System nicht ganz zufrieden zu sein. Obwohl sie die Männer verachten und sich gegenseitig wegen ihres höheren Ranges begluckwünschen, will es mir scheinen, daß sie auch wenig Respekt vor sich selbst haben. Im Haß auf ihre Männer hassen sie sich selbst.
Ich habe mich manchmal gefragt, ob nicht ein Mann, wenn er wirklich ein Mann sein will, eine Frau zähmen muß, und ob nicht eine Frau, um Frau zu sein, eben dieses Schicksal erleiden sollte, Ich habe mich auch gefragt, wie lange die Naturgesetze, so es solche gibt, in Tharna noch auf den Kopf gestellt werden können. Ich habe den Wunsch der tharnaischen Männer gespürt, den Frauen die Maske abzunehmen, und habe geahnt, daß die Frauen eben dies erhofften. Sollte es in Tharna jemals zu einer Revolution kommen, könnte ich mit seinen Frauen nur Mitleid haben, denn sie würden — zumindest am Anfang — das Opfer einer generationenlang aufgestauten Frustration sein. Wenn das Pendel in Tharna wieder in Bewegung geriet, würde es weit ausschwiegen, vielleicht sogar zurück zum roten Teppich und den gelben Schnüren. Vor dem Zelt dröhnte Targos Stimme.
Zu meiner Überraschung fiel Lara auf die Knie, spreizte sie zur Stellung der Vergnügungssklavin und senkte gehorsam den Kopf. Targo platzte in das Zelt. Im Arm trug er ein kleines Bündel. Anerkennend musterte er das Mädchen.
»Sehr gut, Herr«, sagte er. »Es will mir scheinen, sie lernt sehr schnell von dir.« Er blinzelte mich an. »Ich habe meine Unterlagen berichtigt. Sie gehört dir.« Er drückte mir das Bündel in die Hand. Es war ein zusammengefaltetes Sklavenkleid und ein Halskragen. »Als kleine Aufmerksamkeit für einen guten Kunden«, sagte Targo. »Keine Extraberechnung.«
Ich lächelte. Die meisten Sklavenhändler hatten weit mehr getan. Ich sah, daß Targo mir sogar ein Sklavenkleid überließ, das schon getragen worden war.
Nun griff er in den Beutel, den er an seinem Gürtel trug, und streckte mir zwei gelbe Schnüre hin, die etwa je fünfzig Zentimeter lang waren. »An deinem Helm habe ich erkannt«, sagte er, »daß du aus Tharna bist.« »Nein«, sagte ich, »das stimmt nicht.«
»Na ja«, sagte Targo, »wie soll man das auch wissen?« Er warf die Schnüre neben dem Mädchen auf den Teppich.
»Ich habe keine Sklavenpeitschen mehr«, sagte er achselzuckend. »Aber es müßte auch mit dem Schwertgürtel gehen.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte ich und reichte ihm den Umhang und den Kragen zurück.
»Bring ihr die Kleidung einer freien Frau«, sagte ich. Targo riß den Mund auf.
». . . einer freien Frau«, wiederholte ich.
Targo kniff die Augen zusammen und sah sich um. Er schien nach den Spuren eines Kampfes zu suchen. Ich ergriff seinen Ellenbogen. »Bist du sicher?« fragte er.
Ich lachte und drehte ihn herum. Mit einer Hand ergriff ich ihn am Kragen seiner Robe, mit der anderen ein Stück weiter unten, und schob ihn auf den Zeltausgang zu.
Dort gewann er mit fliegenden Ohrringen sein Gleichgewicht zurück und starrte mich an, als habe ich den Verstand verloren.
»Vielleicht macht der Herr einen Fehler?« fragte er.
»Vielleicht«, sagte ich.
»Wo, meinst du, soll ein legitimer Sklavenhändler wie ich wohl die Kleidung einer freien Frau hernehmen?«
Ich lachte, und Targo lächelte und ging.
Ich fragte mich, wie viele freie Frauen schon gefesselt zu seinen Füßen gelegen hatten, um taxiert und gekauft zu werden, wie viele freie Frauen in seinem Lager ihre kostbare Kleidung gegen ein Sklavenkleid und einen Knöchelring an seiner Kette ausgetauscht hatten.
Wenige Minuten später kam Targo wieder in das Zelt. Er trug ein riesiges Kleiderbündel im Arm. Schweratmend warf er es auf den Teppich. »Such dir etwas aus, Herr«, sagte er und verschwand kopfschüttelnd. Ich lächelte und sah Lara an.
Das Mädchen war aufgestanden.
Zu meiner Überraschung trat sie zum Zelteingang, schloß die Klappe und knotete sie von innen zu.
Dann wandte sie sich um. Sie schien kaum noch zu atmen.
Im Schein der Lampe, vor den kostbaren Zeltvorhängen sah sie sehr schön aus.
Langsam nahm sie die beiden gelben Schnüre auf, hielt sie in den Händen und kniete in der Stellung einer Vergnügungssklavin vor mir nieder.
»Ich werde dich befreien«, sagte ich.