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Plötzlich sah ich die Bewegung der Schilde, die sich schräg zurücklegten, sah, wie die rechten Arme hochkamen, wie die Speerspitzen zuckten, ohne daß die Männer innehielten. Gleich mußten die sechs Speere in unsere Richtung fliegen.

Ohne Zögern steckte ich mein Schwert wieder in den Gürtel und ergriff Lara um die Hüfte. Ich zerrte sie mit und wandte mich zur Flucht. »Warte!« sagte sie atemlos. »Ich will mit ihnen sprechen!«

Ich nahm sie in die Arme und lief weiter.

Kaum hatten wir die steinerne Wendeltreppe erreicht, die von der Mauer hinabführte, als sechs Speerspitzen über unseren Köpfen gegen den Stein klirrten.

Als wir die Straße erreicht hatten, hielten wir uns dicht an der Mauer, um weiteren Speeren kein Ziel zu bieten. Andererseits glaubte ich nicht, daß die Männer von dort oben auf uns zielen würden; wenn sie uns nicht trafen, mußten sie von der Mauer steigen, um die Waffen wieder an sich zu bringen. Außerdem waren zwei Rebellen nicht weiter wichtig. Langsam arbeiteten wir uns durch die finsteren, blutigen Straßen der Stadt. Einige Gebäude waren vernichtet. Läden waren zugenagelt. Überall häufte sich der Unrat, der zum Teil in den Gossen verbrannte. Die Straßen waren verlassen bis auf einen Toten hier und dort. An vielen Wänden und Mauern standen die Worte: ›Sa’ng-Fori‹.

Von Zeit zu Zeit musterten uns entsetzte Augen aus Fensterspalten. Ich vermutete, daß es in ganz Tharna keine Tür gab, die an diesem Tage nicht verriegelt war.

»Halt!« rief eine Stimme, und wir blieben stehen.

Vor und hinter uns tauchten Männer auf. Mehrere hielten Armbrüste, mindestens vier Speere waren auf uns gerichtet, einige trugen Schwerter, doch viele hatten nur eine Kette oder einen angespitzten Pflock als Waffe.

»Rebellen!« sagte Lara.

»Ja«, sagte ich.

Wir sahen den trotzigen Ausdruck auf den Gesichtern, die Entschlossenheit, die Mordlust in den Augen, die vor Schlaflosigkeit rot unterlaufen waren, die verzweifelte Haltung der graugekleideten Körper, die von den Straßenkämpfen ausgezehrt waren.

Langsam zog ich mein Schwert und schob das Mädchen neben mich gegen eine Mauer.

Einer der Männer lachte.

Auch ich lächelte, denn Widerstand war sinnlos, doch wußte ich, daß ich mich wehren würde, daß ich eher sterben wollte, als mich zu ergeben. Und Lara?

Was würden die aufgebrachten, verrohten Männer mit ihr machen? Ich musterte meine zerlumpten Gegner, von denen einige verwundet waren. Sie waren verdreckt, wild, erschöpft, wütend, litten womöglich Hunger. Wahrscheinlich würde man Lara auf der Stelle umbringen, brutal, aber barmherzig, weil es schnell vorüber wäre.

Die Speere richteten sich auf uns, Armbrüste wurden angelegt. Ketten rasselten; die wenigen Schwerter erhoben sich zum Schlag. »Tarl aus Ko-ro-ba!« rief da eine Stimme, und ich erblickte einen dünnen Mann mit kurzgeschorenem blondem Haar, der sich durch die Truppe drängte.

Er war der Mann, der in unserer Kettengemeinschaft in den Bergwerken der erste gewesen war, der durch den Wasserschacht hatte steigen müssen.

Auf seinem Gesicht leuchtete die Freude, und er umarmte mich. »Das ist er!« rief er. »Tarl aus Ko-ro-ba!«

Daraufhin rissen zu meiner Verblüffung die Rebellen ihre Waffen hoch und stießen einen wilden Freudenschrei aus. Ich wurde von den Füßen geworfen und auf ihre Schultern gehoben. So trug man mich durch die Straßen, und andere Rebellen, die aus Türen und durch Fenster kamen, die sogar aus den Pflasterritzen der Straßen zu kommen schienen, schlossen sich uns an, bildeten eine Art Triumphzug.

Die ausgezehrten, doch seltsam verwandelten Männer begannen zu singen. Ich erkannte das Lied. Es war das Pfluglied, das ich damals in den Bergwerken gehört hatte, von einem einfachen Bauern gesungen. Es war zur Hymne der Revolution geworden.

Lara, nicht minder verwundert als ich, lief inmitten der Menge und versuchte in meiner Nähe zu bleiben.

So wurde ich auf dem Rücken der Männer von Straße zu Straße getragen, von freudigen Rufen begleitet, ringsum hoben sich Waffen zum Gruß, und in meinen Ohren hallte das Lied. Ich wurde zu der alten Kal-da-Schanke gebracht, an die ich mich lebhaft erinnerte, wo ich gut gegessen und gefeiert hatte und, von Ost verraten, aufgewacht war. Die Schänke war zum Hauptquartier der Revolution geworden, vielleicht weil sich die Männer Tharnas daran erinnerten, daß sie hier wieder das Singen gelernt hatten.

Vor der niedrigen Tür erblickte ich die mächtige Gestalt Krons aus der Kaste der Metallarbeiter. Der große Hammer hing an seinem Gürtel, und seine blauen Augen leuchteten vor Freude. Die mächtigen, narbigen Hände streckten sich mir entgegen.

Neben ihm entdeckte ich zu meiner Freude das lachende Gesicht Andreas’, dessen Stirn fast unter seinem gewaltigen schwarzen Haarschopf verschwand. Hinter ihm stand die strahlende Linna aus Tharna. Sie trug die Kleidung einer freien Frau.

Andreas drängte sich an den Männern vor der Tür vorbei und stürzte auf mich zu. Er packte meine Hände und zog mich auf die Straße, umklammerte meine Schultern und lachte dröhnend.

»Willkommen in Tharna!« sagte er. »Willkommen in Tharna!«

»Ja«, sagte Kron, der nur einen Schritt hinter ihm folgte und meinen Arm ergriff. »Willkommen in Tharna!«

24

Ich zog den Kopf ein und öffnete die schwere Holztür der Kal-da-Schanke. Das alte Schild war frisch übermalt worden. Auch hier leuchtete der herausfordernde Revolutionsschrei›Sa’ng-Fori‹ an den Wanden.

Ich stieg die niedrigen, breiten Stufen hinab. Diesmal war die Schänke gedrängt voll. Man konnte kaum einen Schritt vor den anderen setzen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ich vermeinte in einer Paga-Taverne in Ko-ro-ba oder Ar zu sein und nicht in einer einfachen tharnaischen Kal-da-Schanke. Fröhliches Lachen drang an meine Ohren.

In der Schänke hing jetzt etwa ein halbes Hundert Lampen, und an den Wanden leuchteten die Kastenfarben der Männer, die hier verkehrten. Dicke Teppiche lagen unter den niedrigen Tischen und wiesen zahlreiche Kal-da-Flecke auf.

Hinter dem Tresen war der dünne, kahlköpfige Wirt eifrig beschäftigt. Auf seiner Stirn stand der Schweiß, und seine glänzende schwarze Schürze war mit Gewürzen, Säften und Wein befleckt. Er rührte kräftig in einem riesigen Topf voller kochendem Kal-da. Ich rümpfte die Nase. Der Gestank kochenden Kal-das war nicht zu verkennen.

Hinter drei oder vier Tischen saß eine Gruppe schwitzender Musiker auf dem Teppich und erzeugte mit seltsamen Instrumenten — Saiten und Trommeln und Scheiben — eine unbeschreibliche Musik, die ins Blut ging — die wilden, packenden, schönen, barbarischen Melodien Gors. Ich wunderte mich über diesen Anblick, denn die Kaste der Musiker war wie die Kaste der Dichter in Tharna verboten gewesen. Die nüchternen Masken Tharnas waren der Meinung, daß Künstler in einer ernsten Stadt nichts zu suchen hatten, denn die Musik vermag wie der Alkohol das Herz eines Menschen zu entflammen, und wenn diese Flamme erst entzündet ist, laßt sich nicht sagen, wie sich der Brand weiter entwickelt. Als ich das Zimmer betrat, standen die Männer auf, brüllten und hoben grüßend ihre Becher. »Tal, Krieger!« riefen sie.

»Tal, Krieger!« erwiderte ich und hob den Arm. Ich begrüßte alle mit dem Titel meiner Kaste, denn ich wußte, daß in ihrem gemeinsamen Kampf jeder von ihnen ein Krieger gewesen war. So war es in den Bergwerken Tharnas festgelegt worden.

Hinter mir betraten Kron und Andreas die Schänke, gefolgt von Lara und Linna.

Ich fragte mich, welchen Eindruck die Schänke auf die wahre Tatrix von Tharna machen würde.

Kron nahm meinen Arm und führte mich an einen Tisch in der Mitte des Raumes. Ich ergriff Laras Hand und folgte ihm. In ihren Augen stand ein seltsamer Ausdruck, doch sie sah sich mit der Neugier eines Kindes um. Sie hatte nicht geahnt, wie die tharnaischen Männer sein konnten. Wenn sie von Zeit zu Zeit einmal zu offen gemustert wurde, senkte sie schüchtern den Kopf und errötete.

Endlich saß ich mit untergeschlagenen Beinen hinter dem niedrigen Tisch, und Lara kniete nach der Art goreanischer Frauen neben mir auf ihren Fersen.