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Bei meinem Eintritt hatte die Musik kurz aufgehört, doch nun klatschte Kron zweimal in die Hände, und die Musiker beschäftigten sich wieder mit ihren Instrumenten.

»Freier Kal-da für alle!« rief Kron, und als der Wirt, der die Regeln seiner Kaste kannte, Einwände machen wollte, warf ihm Kron eine goldene Tarnmünze zu. Gierig bückte sich der Mann danach. »Gold ist hier reichlicher, vorhanden als Brot«, sagte Andreas, der sich neben uns niedergelassen hatte.

Tatsächlich waren die Gerichte auf den Tischen eher kärglich, doch das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Für die Männer hätte die Nahrung von den Tischen der Priesterkönige stammen können. Selbst das übelriechende Kal-da war in dem ersten Freiheitstaumel ein wohlschmeckendes und mächtiges Getränk.

Wieder klatschte Kron in die Hände. Zu meiner Überraschung ertönte leises Glockenlauten, und vier verängstigte Mädchen, offensichtlich nach Anmut und Schönheit ausgewählt, nahmen vor unserem Tisch Aufstellung. Außer den Glöckchen trugen sie nur das rote goreanische Tanzgewand. Sie warfen die Kopfe in den Nacken, hoben die Arme und begannen zum barbarischen Rhythmus der Musik zu tanzen.

Zu meiner Überraschung beobachtete Lara sie mit Entzücken.

»Wo hast du nur in Tharna Vergnügungssklavinnen aufgetrieben?« fragte ich, als ich die Silberkragen der Tänzerinnen bemerkte. Andreas, der eben ein Stück Brot in den Mund steckte, antwortete: »Hinter jeder Silbermaske steckt eine Möchtegern-Vergnügungssklavin.« »Andreas! sagte Linna und tat, als wollte sie ihm wegen seiner Frechheit einen Schlag versetzen, doch er brachte sie mit einem Kuß zum Schweigen, und sie begann spielerisch an dem Brot zu knabbern, das er noch zwischen den Zähnen hielt.

»Sind das wirklich Silbermasken aus Tharna?« fragte ich Kron skeptisch. »Ja«, erwiderte er. »Gut, nicht wahr?«

»Wo haben sie das Tanzen gelernt?«

Er zuckte die Achseln. »Das ist ein Instinkt bei den Frauen«, sagte er. »Aber diese hier sind natürlich noch unausgebildet.«

.Ich lachte vor mich hin. Kron sprach ganz und gar nicht mehr wie ein Mann aus Tharna.

»Warum tanzen sie für dich?« fragte Lara.

»Wenn sie nicht tanzen, bekommen sie die Peitsche zu spüren.« Lara senkte den Blick.

»Du siehst die Kragen«, sagte Kron und deutete auf die schlanken Silberbänder, die sich um den Hals der Mädchen legten. »Wir haben die Masken eingeschmolzen und das Silber für die Kragen verwendet.« Nun erschienen auch andere Mädchen zwischen den Tischen, die in kurze Sklavenröcke und Sklavenkragen gekleidet waren und stumm den Kal-da zu servieren begannen, den Kron bestellt hatte. Jede trug einen schweren Krug mit der übelriechenden, heißen Flüssigkeit und schenkte den Männern nach.

Einige musterten Lara neidisch, andere blickten sie haßerfüllt an. Sie fragten sich offenbar: Warum bist du nicht gekleidet wie wir, warum trägst du nicht den Kragen?

Zu meiner Überraschung streifte Lara den Umhang ab, nahm einem Mädchen den Kal-da-Krug aus der Hand und begann die Männer zu bedienen.

Einige Mädchen schauten ihr dankbar nach, denn sie war frei und zeigte durch ihre Tat, das sie sich nicht für besser hielt als sie. »Das«, sagte ich zu Kron und deutete auf Lara, »ist die Tatrix von Tharna.«

Als Andreas sich zu ihr umdrehte, sagte er leise: »Sie ist wirklich eine Tatrix.«

Linna stand auf und begann ebenfalls beim Bedienen zu helfen. Als Kron der Tänzerinnen überdrüssig wurde, klatschte er zweimal in die Hände, und mit leisem Glockenklimpern flohen sie aus dem Raum. Kron hob eine Schale mit Kal-da und sah mich an. »Andreas sagte mir, du wolltest in das Sardargebirge ziehen«, sagte er. »Wie ich sehe, hast du das nicht getan.«

Er meinte, das ich jetzt nicht hier wäre, wenn ich die Berge tatsächlich betreten hätte.

»Ich werde noch gehen«, sagte ich, »aber zuerst habe ich etwas in Tharna zu erledigen.«

»Gut«, sagte Kron. »Wir brauchen dein Schwert.«

»Ich bin gekommen, um Lara wieder auf den Thron zu setzen«, sagte ich.

Kron und Andreas starrten mich verblüfft an.

»Nein«, sagte Kron. »Ich weiß nicht, wie sie dich verhext hat, aber wir lassen nicht zu, daß Tharna noch einmal eine Tatrix bekommt.« »Sie ist das Symbol dessen, was wir bekämpfen!« wandte Andreas ein. »Wenn sie wieder den Thron besteigt, haben wir unseren Kampf verloren. In Tarna hatte sich nicht das geringste geändert.« »In Tharna hat sich schon viel geändert«, sagte ich.

Andreas schüttelte den Kopf, als versuchte er mich zu verstehen. »Wie können wir von ihm erwarten, daß er sich vernünftig äußert«, wandte er sich an Kron. »Schließlich ist er kein Dichter.«

Kron lachte nicht.

»Und auch kein Metallarbeiter«, fügte Andreas hoffnungsvoll hinzu. Noch immer blieb Kron ernst.

Seine Persönlichkeit, die sich über den Ambossen und Blasebalgen seines Berufes gebildet hatte, kam nicht so leicht über die Worte hinweg, die ich eben gesagt hatte.

»Du müßtest mich erst umbringen«, sagte Kron.

»Gehören wir nicht noch derselben Kette an?« fragte ich.

Kron schwieg. Dann sahen mich seine stahlblauen Augen an, und er sagte: »Wir gehören immer derselben Kette an.« »Dann laß mich sprechen«, sagte ich. Kron nickte kurz.

Mehrere andere Männer drängten sich nun um unseren Tisch. »Ihr seid Männer aus Tarna«, sagte ich. »Aber die Männer, die ihr bekämpft, sind ebenfalls aus dieser Stadt.«

Einer der Männer sagte: »Ich habe einen Bruder bei den Gardisten.« »Ist es recht, daß die Männer Tharnas gegeneinander die Waffen erheben, Männer innerhalb derselben Mauern?«

»Es ist traurig«, sagte Kron, »aber nicht zu umgehen.« »Es brauchte nicht so zu sein«, wandte ich ein. »Die Soldaten und Wächter Tharnas haben einen Schwur gegenüber der Tatrix geleistet, aber die Tatrix, die sie verteidigen, ist eine Verräterin. Die wahre Tatrix von Tharna, Lara persönlich, befindet sich in diesem Raum.«

Kron beobachtete das Mädchen, das von der Diskussion noch nichts mitbekommen hatte. Auf der anderen Seite des Raumes schüttete sie Kal-da in hochgereckte Trinkschalen.

»Solange sie lebt«, sagte Kron, »ist die Revolution nicht gewonnenen.« »Das ist nicht wahr«, sagte ich. »Sie muß sterben«, sagte Kron. »Nein«, sagte ich. »Auch sie hat die Kette und die Peitsche zu spüren bekommen.« Erstaunte Ausrufe wurden laut.

»Die Soldaten Tharnas werden die falsche Herrscherin verlassen, um der wahren Tatrix zu dienen«, fuhr ich fort.

»Wenn sie es überlebt«, sagte Kron und musterte das unschuldige Mädchen auf der anderen Seite des Raumes.

»Sie muß«, sagte ich nachdrücklich. »Sie wird neues Licht nach Tharna tragen. Sie allein kann die Rebellen und die Soldaten vereinigen. Sie hat nun selbst erfahren müssen, wie grausam das alte Tharna war. Schaut sie doch an!«

Und die Männer beobachteten das Mädchen, das mit ruhigen Bewegungen Kal-da ausschenkte, das freiwillig die Arbeit der anderen Frauen Tharnas teilte. Das war kein Verhalten, wie man es von einer Tatrix gewohnt war.

»Sie ist des Thrones würdig«, sagte ich.

»Sie ist ein Symbol für das, was wir bekämpft haben«, sagte Kron. »Nein«, sagte ich, »ihr habt gegen die grausamen Traditionen Tharnas gekämpft. Ihr habt um euren Stolz und eure Freiheit gerungen, euer Feldzug ging nicht gegen dieses Mädchen.«

»Wir haben gegen die goldene Maske Tharnas gekämpft!« brüllte Kron und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Der plötzliche Lärm erregte die Aufmerksamkeit aller, und zahlreiche Augen richteten sich auf uns. Lara setzte den Kal-da-Krug ab und kam herüber.

»Ich trage die goldene Maske nicht mehr«, sagte sie zu Kron. Und Kron blickte das schöne Mädchen an, das da würdevoll vor ihm stand, ohne Stolz oder Grausamkeit oder Angst erkennen zu lassen. »Meine Tatrix«, flüsterte er.

Wir marschierten durch die Stadt; die Straßen hinter uns waren mit dem grauen Strom der Rebellen angefüllt. Jeder trug seine eigene Waffe. Doch der Lärm, der zwischen den Hausern widerhallte, war alles andere als grau und düster. Die Melodie des Pflugliedes tönte auf, langsam und unwiderstehlich, eine einfache melodische Hymne auf den Erdboden, zur Feier des ersten Pflügens im neuen Jahr.