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An der Spitze der gewaltigen Prozession marschierten fünf Gestalten: Kron, Anführer der Rebellen, Andreas, ein Dichter, seine Frau Linna aus Tharna, ich, Krieger aus einer verwüsteten und verfluchten Stadt, und ein Mädchen mit goldenem Haar, ein Mädchen ohne Maske, das die Peitsche und die Liebe kennengelernt hatte, die furchtlose Lara, die wahre Tatrix von Tharna.

Es mußte den Verteidigern des Palastes, der die Hauptbastion des gefährdeten Regimes war, inzwischen klargeworden sein, daß die Entscheidung noch an diesem Tage fallen würde — durch das Schwert. Die Gerüchte waren uns wie auf Tarnflügeln vorausgeeilt daß die Rebellen ihre versteckte Taktik aufgaben und nun endlich vor den Palast marschierten.

Wieder sah ich vor uns die breite, gewundene, schmaler werdende Straße, die zum Palast der Tatrix führte. Singend begannen die Rebellen dem steilen Weg zu folgen. Die schwarzen Pflastersteine waren durch die dünnen Ledersohlen unserer Sandalen deutlich zu spüren.

Und wieder sah ich die Wände links und rechts der Straße ansteigen, doch diesmal erblickten wir ein gutes Stuck vor der schmalen Eisentür eine doppelte Barrikade quer über der Straße, wobei der zweite Sperrwall den ersten überragte. Die Kämpfer, die den ersten Wall einzureißen versuchten, konnten also von weiter hinten mit Pfeilen überschüttet werden. Die beiden Walle waren etwa fünfzig Meter voneinander entfernt; der erste mochte vier Meter hoch sein, der zweite sechs Meter.

Hinter den Sperren sah ich Waffen aufblitzen, außerdem waren die Bewegungen blauer Helme auszumachen.

Wir waren auf Armbrustschußweite heran.

Ich gab den anderen ein Zeichen zurückzubleiben, und mit Schild, Speer und Schwert bewaffnet, näherte ich mich der ersten Barrikade. Auf dem Palastdach hinter dem Doppelwall machte ich von Zeit zu Zeit die Köpfe von Tarns aus und hörte ihre Schreie. Doch diese Tiere waren gegen die Rebellen in der Stadt kaum einzusetzen. Viele Revolutionäre hatten sich große Bogen zurechtgemacht, andere waren mit den Speeren und Armbrüsten gefallener Soldaten bewaffnet. Es war für einen Tarnkämpfer nicht ungefährlich, sich auf Kampfweite an die Rebellenhaufen heranzuwagen.

Und hätten die Krieger den Versuch gemacht, vom Tarnrücken die Straßen zu beschießen, wären die Revolutionäre in Deckung gegangen, bis der Schatten des Vogels verschwunden war und sie weitere hundert Meter an den Palast heranrücken konnten.

Etwa hundert Schritt vor dem Wall legte ich Schild und Speer zu meinen Füßen nieder und gab damit das Zeichen für einen vorübergehenden Waffenstillstand.

Eine große Gestalt erschien daraufhin auf der Barrikade und machte es mir nach.

Obwohl er den blauen tharnaischen Helm trug, erkannte ich Thorn sofort. Ich setzte mich wieder in Bewegung.

Der Weg kam mir sehr lang vor.

Schritt um Schritt legte ich auf der schwarzen Straße zurück und fragte mich, ob der Waffenstillstand eingehalten wurde. Wenn Dorna die Stolze auf dem Wall kommandiert hätte und nicht Thorn, der immerhin Offizier und Mitglied meiner eigenen Kaste war, hätte man zweifellos aus dem Hinterhalt auf mich geschossen.

Als ich schließlich unverletzt vor der ersten Sperre stand, wußte ich, daß Dorna die Stolze zwar in Tharna herrschte, daß sie auf dem goldenen Thron saß, daß auf dieser Barrikade jedoch das Wort eines Kriegers mehr galt als ihre Befehle.

»Tal, Krieger«, sagte Thorn und nahm seinen Helm ab.

»Tal, Krieger«, sagte ich.

Thorns Augen waren klarer, als ich sie in Erinnerung hatte, und der massige Körper, der schon ein wenig zur Korpulenz neigte, war bei den harten Kämpfen der vergangenen Wochen schlanker und gestählter geworden. Die purpurnen Flecken, die sein gelbliches Gesicht entstellten, traten weniger deutlich hervor. Noch immer trug er einen kleinen schmalen Bartstreifen links und rechts des Kinns, und sein langes Haar war zu einem mongolischen Knoten zusammengedreht. Seine schrägen Augen musterten mich.

»Ich hätte dich auf der Verhandlungssäule umbringen sollen«, sagte Thorn.

Ich sprach laut, damit ich auch von allen Männern auf dem Doppelwall verstanden wurde.

»Ich komme im Namen Laras, die die wahre Tatrix von Tharna ist. Steckt eure Waffen ein. Nicht langer soll das Blut von Männern eurer eigenen Stadt vergossen werden. Ich bitte euch im Namen Laras und im Namen der Stadt Tharna und ihrer Einwohnerschaft. Und ich äußere meine Bitte auch im Rahmen der Regeln unserer Kaste, denn euer Schwert ist der wahren Tatrix verpflichtet — Lara — und nicht Dorna der Stolzen!« Ich spürte die Reaktion der Palastwache.

Auch Thorn sprach mit lauter Stimme, damit seine Männer ihn hörten. »Lara ist tot! Dorna ist Tatrix von Tharna!«

»Ich lebe!« rief eine Stimme hinter mir. Ich wandte mich um und stellte zu meinem Mißvergnügen fest, daß Lara mir gefolgt war. Wenn sie hier getötet wurde, hatten die Rebellen keine Chance mehr, und es konnte sein, daß die Stadt dann auf lange Zeit in Unfrieden leben mußte. Thorn musterte das Mädchen, und ich bewunderte seine Selbstbeherrschung. Er mußte aus allen Wolken gefallen sein, denn er hatte unmöglich erwarten können, daß die Rebellen ihm tatsächlich die wahre Tatrix präsentieren würden.

»Das ist nicht Lara«, sagte er mit eisiger Stimme.

»Ich bin es!« rief sie.

»Die Tatrix von Tharna«, sagte Thorn höhnisch und starrte dem Mädchen ins Gesicht, »hat eine goldene Maske getragen!«

»Die Tatrix von Tharna«, erwiderte Lara, »will die goldene Maske nicht länger tragen.«

»Woher hast du dieses Lagerweib, diese Betrügerin?« fragte Thorn. »Ich erwarb sie von einem Sklavenhändler, sagte ich lachend. Auch Thorn lachte, und seine Männer hinter der Barrikade fielen in das Gelächter ein.

»Von dem Sklavenhändler, dem du sie verkauft hattest«, fügte ich hinzu. Nun lachte Thorn nicht mehr.

Ich rief den Männern hinter der Barrikade zu: »Ich brachte dieses Mädchen — eure Tatrix — zur Verhandlungssäule, wo ich sie diesem Offizier Thorn und Dorna der Stolzen übergab. Dann wurde ich entgegen der Abmachung überwältigt und in die Bergwerke Tharnas geschickt, und Dorna die Stolze und Thorn nahmen Lara, eure Tatrix, gefangen und verkauften sie in die Gefangenschaft — verkauften sie an den Sklavenhändler Targo, der sein Lager zur Zeit am En’Kara-Markt aufgeschlagen hat, verkauften sie für die Summe von fünfzig silbernen Tarnmünzen.«

»Das stimmt nicht!« rief Thorn.

Ich hörte eine Stimme hinter dem Wall, eine junge Stimme: »Dorna die Stolze trägt ein Halsband aus fünfzig silbernen Tarnmünzen!« »Dorna die Stolze ist wirklich kühn!« rief ich. »Daß sie die Münzen zur Schau tragt, durch die ihrer Rivalin — eurer wahren Tatrix — ein Sklavendasein auferlegt wurde!«

Erregtes Stimmengemurmel wurde laut, Rufe hinter der Barrikade. »Er lügt«, sagte Thorn.

»Ihr habt gehört«, rief ich, »wie er zu mir sagte, er hätte mich auf der Verhandlungssäule töten sollen! Ihr wißt, daß ich der Mann bin, der eure Tatrix von den Schauspielen dieser Stadt entführte. Aus welchem anderen Grund hatte ich zur Verhandlungssäule fliegen sollen, als den Abgesandten Tharnas meine Gefangene zu übergeben?«

Eine Stimme hinter der Barrikade rief: »Warum hast du nur so wenige Männer zur Verhandlungssäule mitgenommen, Thorn von Tharna?« Ärgerlich wandte sich Thorn um.

Ich antwortete für ihn: »Ist das nicht offensichtlich? Er wollte, daß sein Plan nur wenigen bekannt wird — sein Plan, die Tatrix zu entführen und Dorna die Stolze auf ihren Thron zu setzen.«

Ein zweiter Mann erschien auf dem Wall. Er setzte seinen Helm ab. Ich erkannte in ihm den jungen Mann, dessen Wunden Lara und ich auf der Mauer versorgt hatten.

»Ich glaube diesem Krieger!« rief er und deutete auf mich.

»Das ist ein Trick, damit wir uns zerstreiten!« rief Thorn. »Auf deinen Posten!«