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»Wohin willst du fliehen und was willst du tun?« fragte ich. Ich wußte, daß Dorna als alleinstehende Frau auf Gor kaum Chancen hatte. Trotz ihres Erfindungsreichtums, trotz der Schätze, die sie sicherlich bei sich trug, war sie nur eine Frau, und auf Gor braucht sogar eine Silbermaske das Schwert eines Mannes zu Ihrem Schutz. Sie mochte wilden Tieren zum Opfer fallen, vielleicht sogar ihrem eigenen Tarn, oder sie wurde von einem Tarnkämpfer oder einem Trupp Sklavenhändler gefangengenommen — auf jeden Fall hatte sie es nicht leicht.

»Stelle dich der tharnaischen Justiz«, sagte ich.

Dorna warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals.

»Auch du bist ein Narr!« sagte sie spöttisch.

Eine Hand hatte sie um den ersten Zügel gewickelt. Der Tarn trat unruhig von einem Bein auf das andere.

Ich sah mich um und erblickte Lara hinter mir, die Dorna beobachtete. Ihr zur Seite warteten Kron und Andreas, gefolgt von Linna und zahlreichen Soldaten und Rebellen, die nach uns auf das Dach gekommen waren. Die Silbermaske Dornas richtete sich auf Lara, die keine Maske und keinen Schleier trug. »Schamloses Wesen!« zischte sie, »du bist nicht besser als sie — ein Tier!«

»Ja«, sagte Lara, »das stimmt.«

»Ich habe so etwas von Anfang an in dir gespürt«, sagte Dorna. »Du warst deines Throns niemals würdig, du warst es nicht wert, die Tatrix von Tharna zu sein. Ich allein verdiene diese Ehre.

»Das Tharna, von dem du sprichst, gibt es nicht mehr«, sagte Lara. In diesem Augenblick hoben Soldaten, Wächter und Rebellen ihre Waffen und hießen Lara als die wahre Tatrix ihrer Stadt Willkommen. »Heil, Lara!« riefen sie, und wie es in dieser Stadt Sitte war, wurde dieser Ruf fünfmal wiederholt, und fünfmal wurden die Waffen angehoben.

Dorna die Stolze zuckte wie von fünf Peitschenhieben getroffen zusammen.

Ihre Hände, die in Silberhandschuhen steckten, krampften sich um den ersten Zügel.

Noch einmal schaute sie über die Rebellen und Soldaten und über Lara hin — mit einem Abscheu, den ich deutlich hinter der Maske spürte, und dann wandte sich das Metallgesicht wieder mir zu.

»Lebe wohl, Tarl aus Ko-ro-ba«, sagte sie. »Vergiß Dorna die Stolze nicht, denn unsere Abrechnung steht noch aus!«

Die Hände in den silbernen Handschuhen fuhren heftig zurück, und die Flügel des Tarn schlugen fauchend durch die Luft. Der Tragkorb blieb noch einen Augenblick stehen, wurde dann von den drahtverstärkten Seilen zwei Meter über den Marmorboden gezerrt und ruckte dann unter dem Tarn in die Luft.

Ich sah dem hin und her schwingenden Korb nach.

Einmal blitzte die Sonne auf der Silbermaske.

Dann war der Vogel nur noch ein Fleck am blauen Himmel über der freien Stadt Tharna.

Dank des Opfers Thorns, ihres ersten Offiziers, war Dorna der Stolzen die Flucht gelungen, obwohl ich mir nicht vorzustellen wagte, welchem Schicksal sie entgegenfliegen mochte.

Sie hatte davon gesprochen, daß sie mit mir abrechnen wollte. Ich lächelte und sagte mir, daß sie dazu kaum Gelegenheit finden würde. Wenn sie überhaupt am Leben blieb, konnte sie von Glück sagen, wenn sie nicht an der Kette eines Sklavenhändlers endete.

Vielleicht fand sie sich in den Mauern eines Sklavengartens wieder, wurde nach dem Geschmack ihres Herrn in Seide gekleidet, erhielt Glöckchen um die Beine gelegt und kannte keinen anderen Willen mehr als den seinen; vielleicht wurde sie von dem Wirt einer Paga-Taverne oder einer einfachen Kal-da-Schanke erworben, um vor den Gästen zu tanzen und ihnen zu trinken zu bringen.

Vielleicht wurde sie in die Küche eines goreanischen Zylinders gesteckt und erfuhr dort, daß ihr Leben von den Fliesenwänden und dem Seifenduft und den Abwaschbecken begrenzt war. Dort erhielt sie dann eine Matte feuchtes Stroh und ein kurzes Sklavenkleid, bekam Überreste aus den Eßsalen vorgesetzt und wurde ausgepeitscht, wenn sie ihr Zimmer verließ oder sich vor der Arbeit drückte.

Vielleicht würde ein Bauer sie kaufen, damit sie ihm beim Pflügen half. Ich fragte mich, ob sie sich dann wohl an die Schauspiele von Tharna erinnern würde. Wenn ihr dieses elende Schicksal zugedacht war, der herrschsüchtigen Dorna, nackt und schwitzend, der Rücken der Ochsenpeitsche ausgesetzt, dann würde sie erfahren, daß der Bauer ein gestrenger Herr ist.

Doch ich schüttelte diese Gedanken schnell ab.

Ich hatte andere Dinge zu tun.

Ja, ich hatte ein dringendes Anliegen, ich hatte selbst eine Rechnung zu begleichen, nur mußte mich mein Weg dazu ins Sardargebirge führen. Mein Anliegen galt den Priesterkönigen dieser Welt.

26

Verfaßt in der Stadt Tharna, am 23. Tag der En’Kara im Vierten Jahr der Herrschaft Laras, Tatrix von Tharna, im Jahre 10117 nach der Gründung Ars.

Tal den Menschen der Erde!

In den vergangenen Tagen in Tharna habe ich mir die Zeit genommen, diesen Bericht niederzulegen. Nachdem er nun beendet ist, muß ich meine Reise in das Sardargebirge antreten.

Heute in fünf Tagen werde ich vor dem schwarzen Tor in den Palisaden stehen, die die heiligen Berge umgeben.

Ich werde mit dem Speer an das Tor schlagen, und es wird sich öffnen, und wenn ich hindurchtrete, werde ich das laute, klagende Geräusch der riesigen Metallröhre hören, die neben dem Tor hängt und die anzeigt, daß es wieder ein Mensch im Schatten der Berge, wieder ein Sterblicher gewagt hat, das Sardargebirge zu betreten.

Ich werde dieses Manuskript einem Mitglied der Kaste der Schriftgelehrten überlassen, das ich sicher auf dem En’Kara-Markt am Fuße des Gebirges antreffe. Ob es von dort seinen Weg nimmt, hängt wie so vieles andere auf dieser barbarischen Welt, die ich liebe, vom unwägbaren Willen der Priesterkönige ab. Sie haben mich und meine Stadt verflucht.

Sie haben mir meinen Vater fortgenommen und das Mädchen, das ich liebe, und meine Freunde und Bekannten. Dafür haben sie mir Leiden und Gefahren und Mühen auferlegt, und doch habe ich das Gefühl, daß ich trotz allem den Priesterkönigen gedient habe, daß es ihr Wille war, daß ich nach Tharna kam. Sie haben eine Stadt vernichtet und eine andere gemeistert.

Wer oder was sie sind, vermag ich nicht zu sagen — aber ich bin entschlossen, ihr Rätsel zu erkunden. Aber sprechen wir von Tharna. Tharna ist inzwischen eine völlig andere Stadt geworden, anders, als sie nach den bekannten Überlieferungen je gewesen ist.

Ihre Herrscherin, die anmutige, schöne Lara, ist gewiß eine der klügsten und gerechtesten Herrscherinnen dieser barbarischen Welt, und sie hat die mühsame Aufgabe, eine zerrissene Stadt wieder zu vereinen, die verschiedenen Gruppen zu versöhnen und dabei alle gerecht zu behandeln, vorzüglich gemeistert. Hätten die Männer Tharnas sie nicht geliebt, wäre ihr diese Aufgabe unmöglich gewesen.

Als sie wieder ihren Thron einnahm, wurden keine Verurteilungen ausgesprochen; vielmehr wurde eine Generalamnestie erlassen — für alle, die sich gegen sie gewandt hatten, und für alle, die für Dorna die Stolze gekämpft hatten.

Von dieser Amnestie waren nur die Silbermasken der Stadt ausgenommen.

Die Stimmung war mörderisch in den Straßen Tharnas, und aufgebrachte Männer, Rebellen und Soldaten, vereinigten sich zu einer brutalen Jagd auf die Silbermasken. Die armen Wesen wurden von Zylinder zu Zylinder, von Raum zu Raum gehetzt.

Wenn sie schließlich aufgespürt waren, wurden ihnen die Masken vom Gesicht gerissen, sie wurden auf die Straße gezerrt, dort zusammengekettet und in den Palast getrieben.

Viele Silbermasken wurden in düsteren Hinterräumen des Palastes gefunden, und die Verliese unter dem Gebäude füllten sich bald mit langhaarigen, klagenden Gefangenen. Kurz darauf mußten auch die Tierkäfige unter der Arena als Gefängnisse mit herangezogen werden, schließlich die Arena selbst.