Heute morgen habe ich mich von der Tatrix, der edlen und schönen Lara, verabschiedet. Ich weiß, was wir füreinander empfunden haben, doch unser Weg kann nicht der gleiche sein. Zum Abschied küßten wir uns. »Sei eine gute Herrscherin, sagte ich.
»Ich will mich Bemühen«, erwiderte sie. »Und sollte ich jemals wieder in Versuchung sein, stolz oder grausam zu regieren, werde ich daran denken, daß ich einmal für fünfzig silberne Tarnmünzen verkauft wurde und daß ein Krieger mich für eine Schwertscheide und einen Helm erwarb.«
»Für sechs Smaragde«, sagte ich. »Und den Helm«, sagte sie lachend. Ich sah die Tränen in ihren Augen. »Ich wünsche dir alles Gute, schöne Lara«, sagte ich. »Und ich dir, Krieger.«
Sie sah mich an und lachte ein wenig. »Und wenn die Zeit kommt, da du dir wieder ein Sklavenmädchen wünschst — denk an Lara, Tatrix von Tharna.«
Und damit trennten wir uns. Sie wird in Tharna herrschen, und ich beginne meine Reise in das Sardargebirge. Was ich dort finden werde, weiß ich nicht.
Über sieben Jahre habe ich mich nun schon mit den Geheimnissen beschäftigt, die dort in den Schluchten und Bergen verborgen liegen müssen. Ich habe an die Priesterkönige und ihre Macht gedacht, an ihre Raumschiffe und Helfer, an ihre Plane mit Gor und meiner Welt — doch vordringlich will ich erfahren, warum meine Stadt vernichtet und ihre Einwohner zerstreut wurden, warum keine zwei Steine je wieder übereinanderstehen dürfen; und ich muß wissen, was aus meinen Freunden, meinem Vater und meiner Geliebten Talena geworden ist. Doch ich suche mehr als die Wahrheit in diesem Gebirge — in mir lodert die Rache; ich bin der Mann, der die verschwundenen Menschen, die eingestürzten Mauern und Türme rächen kann, eine Stadt, die die Priesterkönige mit einem Stirnrunzeln bedacht haben — ich bin ein Krieger Ko-ro-bas! Ich suche mehr als die Wahrheit im Sardargebirge — ich will das Blut der Priesterkönige fließen sehen! Aber wie unsinnig diese Worte sind!
Ich spreche, als konnte mein schwacher Arm etwas gegen die Macht der Priesterkönige ausrichten. Wer bin ich, sie herauszufordern? Ich bin ein Nichts, ein Staubkorn, in einem Windhauch des Trotzes hochgewirbelt; ich bin nicht einmal ein Grashalm, der die Knöchel der vorbeitrampelnden Götter ritzen kann. Und doch werde ich, Tarl Cabot, in das Sardargebirge vordringen; ich werde mich den Priesterkönigen stellen, und mögen sie auch die Götter Gors sein, ich werde mein Recht verlangen.
Ich frage mich zuweilen, ob ich diese Reise auch antreten würde, wenn ich meine Stadt heil und unbeschädigt vorgefunden hatte. Es will mir nun scheinen, daß ich von dieser Leidenschaft frei gewesen wäre, wenn meine Stadt und meine geliebte Talena auf mich gewartet hätten. Und dann regt sich manchmal in mir die erschreckende Frage, ob die Stadt vielleicht nur vernichtet worden war, um mich in die Berge der Priesterkönige zu locken — denn sie mußten doch wissen, daß ich sie herausfordern würde, daß ich zu ihnen kommen würde, um meine Rache zu befriedigen.
So mag es denn sein, daß ich mich sogar in meiner Rache nach dem Willen der Priesterkönige bewege, daß dies alles berechnet und geplant ist. Andererseits sage ich mir wieder, daß letztlich ich meinen Körper befehle und nicht die Priesterkönige, und wenn es ihre Absicht ist, daß ich nach Rache schreie, so ist das zumindest ebensosehr mein Entschluß und mein Wille.
Aber warum sollten die Priesterkönige wollen, daß Tarl Cabot in ihre Berge kommt? Er ist doch ein Niemand Für sie, er ist nur Krieger, ein Mann ohne Stadt, die er seine Heimat nennen könnte, ein Geächteter. Haben die Priesterkönige in all ihrer Macht und mit all ihrem Wissen einen solchen Mann nötig?
Es wird Zeit, daß ich die Feder aus der Hand lege. Ich bedauern nur, daß bisher noch niemand aus dem Sardargebirge zurückgekehrt ist, denn ich habe das Leben geliebt. Und auf dieser barbarischen Welt habe ich es in all seiner Schönheit und Grausamkeit kennengelernt, in all seinen Hohen und Tiefen. Ich habe lernen müssen, daß das Leben großartig und schrecklich und kostbar ist. Ich habe es in den verschwundenen Türmen Ko-ro-bas gesehen und im Fluge eines Tarn, in den Bewegungen einer schönen Frau, im Schimmer von Waffen, im Ton der Tarntrommeln und dem Grollen des Donners über grünen Feldern. Ich habe es an den Tischen von Schwertbrüdern und im Klirren der Kriegswerkzeuge gefunden, in der Berührung von Lippen und Haar eines Mädchens, im Blute eines Sleen, in den Wüsten und im Arenasand und in den Ketten Tharnas, im Duft von Talenderblüten und im Zischen der Peitsche. Ich bin den unsterblichen Elementen dankbar, die sich so gefügt haben, daß ich gelebt habe.
Ich war Tarl Cabot, Krieger aus Ko-ro-ba.
Und das können selbst die Priesterkönige Gors nicht ändern.
Es wird bald Abend sein, und die Lampen der Liebe leuchten in zahlreichen Fenstern Tharnas. Die Orientierungsfeuer sind auf den Mauern angezündet, und ich höre am Ruf ferner Wächter, daß in Tharna alles zum besten steht.
Vor dem dunkler werdenden Himmel stehen die Zylinder wie Silhouetten. Bald ist es Nacht. Nur wenige werden den Fremden bemerken, der die Stadt verläßt, nur wenige werden wissen, daß er überhaupt in ihren Mauern weilte.
Meine Waffen und mein Schild liegen bereit.
Draußen höre ich den Schrei eines Tarn.
Ich bin zufrieden.
Ich wünsche euch alles Gute, Tarl Cabot.
Schlußbemerkung
Das Manuskript endet mit dem Brief Tarl Cabots. Das war alles. In den Monaten seit dem geheimnisvollen Erscheinen des Manuskripts ist keine weitere Nachricht eingetroffen.
Ich nehme also an, daß Tarl Cabot tatsächlich in das Sardargebirge vorgedrungen ist. Ich möchte hier keine Vermutungen anstellen, was er dort gefunden hat. Ich glaube auch nicht, daß wir es je erfahren werden.