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    Mit einem Gefühle unendlichen Glückes blickte er über die Llanos hin.

    Die durch Hunger und Überanstrengung hervorgerufene Schwäche war bei guter Nahrung rasch gewichen und die kranken Füße in der Ruhe bald geheilt. Herabsteigend von den Bergen, hatte der Knabe, der aus indianischer Gefangenschaft zurückkehrte und so mühsam Spanisch sprach, in den Ansiedlungen der Montaneros freundliche Aufnahme gefunden. Man hatte ihm Kleider und ein Maultier gegeben.

    So war er hinabgeritten zu den Llanos, immer nur von der einen Sehnsucht getrieben, unter seinen Stammesgenossen zu sein.

    Er war der Gefangenschaft entronnen, er hoffte einer glücklichen Zukunft entgegen zu gehen.

    Langsam ließ er sein Tier den Hügel hinabschreiten und ritt durch den sonnigen Wald, wo er die Llanos auf welligen Hügeln begrenzte.

    Still und einsam lag alles um ihn her da. Nach einiger Zeit kreuzte ein Reiter seinen Weg, der, als er ihn erblickte, anhielt und ihn betrachtete.

    Alonzo sah auf gutem Pferde eine hochgewachsene Gestalt vor sich, die in einen blaugestreiften Poncho gehüllt war.

    Das Gesicht des Mannes, das von dem breiten Rande des Sombrero beschattet wurde, hatte wenig Vertrauenerweckendes, doch fiel das Alonzo, der an die finsteren Gesichter der Aimaràs gewöhnt war, nicht auf. Das scharf gezeichnete Profil des hageren Gesichtes, die Adlernase, neben der dunkle, stechende Augen funkelten, der Bart, der die Lippen bedeckte und lang herabfallend das Gesicht umhüllte, waren ihm nichts als das Antlitz eines Weißen, eines Stammesgenossen, deren er nicht oft genug sehen konnte.

    Der Reiter, der eine Büchse auf dem Rücken trug, maß die jugendliche Erscheinung Alonzos mit forschenden Blicken.

    Als der ihm näher gekommen war, fragte er ihn: "Bist du hier zu Hause, Sennorito?"

    Mit der Vorsicht, die ihm seine Gefangenschaft zur zweiten Natur gemacht, erwiderte Alonzo: "In den Bergen, Sennor, nicht hier."

    "Kannst du mir sagen, ob ich auf dem Wege zur Calugaschlucht bin?"

    "Weiß es nicht, Sennor."

    Mit einem in den Bart gemurmelten Schimpfwort ritt der Mann davon, ohne dem Knaben weitere Beachtung zu schenken.

    Alonzo setzte seinen Weg fort, und als er auf eine kleine Richtung traf, die ein Bach durchrauschte, hielt er, stieg ab, pflockte sein Tier an und ließ sich unter einer Gruppe schattenspendender Ceibabäume nieder.

    Der vereinsamte Knabe, der, unter den rohen Aimaràs lebend, mehr verwildert war, als er selbst es wissen konnte, war nur von dem einen Gedanken fortgetrieben worden, seine Freiheit zu gewinnen. Diese Freiheit hatte er erlangt, aber er war klug genug, sich nach der Aufregung der Flucht, nach dem ersten Rausche des Glückes, die Frage vorzulegen, was er nun damit beginnen solle?

    Er entsann sich deutlich des glänzenden Hauses in der Stadt Bogotá, das er als Kind bewohnte, umgeben von der Liebe der Eltern und einer ergebenen Dienerschaft.

    Er wußte auch, daß der Name seines Vaters ein hochangesehener war. Seine Geschwister standen vor seinem Geistesauge, ein jüngerer Bruder und zwei kleine Schwestern, die der Tod so früh und so jäh hinabriß.

    Einem Traume gleich lag das alles hinter ihm.

    Es waren fünf Jahre, ja fünf Jahre mußten seit dem Unglückstage vergangen sein, der ihm durch Mörderhand seine Lieben raubte, ihn einsam machte auf Erden und ihn in die Gewalt der Wilden brachte.

    Und mit viel Liebe war er umgeben worden vom Vater, Mutter, Großvater und dem jüngeren Bruder seines Vaters, Don Miguel.   

Alonzo ließ sich im Schatten einiger Bäume nieder.

Hatte er früher oft darüber nachgedacht, welche Schritte er tun würde, wenn es ihm gelänge, die Freiheit zu gewinnen, so noch mehr in den letzten Tagen. Vater, Mutter, Geschwister waren tot - ach, wer lebte noch von den Seinen?

    Er hatte sich vorgenommen, nach Bogotá zu gehen und dort Blutsverwandte aufzusuchen. Vor allem seinen Onkel. Aber waren sie noch am Leben? Hatten die Feinde seiner Familie Don Miguel verschont? Es war eine ihm endlos dünkende Zeit verstrichen seit dem Unglückstage im Tale der drei Quellen.

    Man hatte auch ihn, den damals noch nicht elfjährigen Knaben, sicher für tot gehalten.

    Und wenn er nun kam, fast zum Jüngling erwachsen, wenn er kam, so unähnlich den Caballeros des Landes - er entsann sich der glänzenden Erscheinung seines Vaters und seiner eigenen schönen Kleidung - im zerrissenen Poncho und sagte: "Ich bin Alonzo d'Alcantara, den ihr für tot beweintet!" wie würde man ihn empfangen?

    An Erbschaftsrechte dachte der unwissende Knabe nicht. Aber er hatte oft, seit er der Aimaràsprache mächtig war, die Gespräche des Kaziken mit anderen belauscht und erfahren, daß sein Vater dem Haß tödlicher Feinde erlegen sei, ein Haß, der auch ihm, dem Sohne gelte, und daß er, Alonzo, nur als Gefangener bewahrt werde, um zu geeigneter Zeit an diese verkauft zu werden.

    Er war Alonzo d'Alcantara, der Sohn Don Pedros, eines großen Caballeros und selbst ein Caballero, das war etwas mehr als die Kazikenwürde eines rothäutigen Indianers, sagte er sich mit kindischem Stolze, aber der Name war gefährlich für den, der ihn trug, das wußte er. Seine indianische Vorsicht hatte ihn davon abgehalten, ihn selbst Don Fernando und dem Mestizen mitzuteilen.

    War gleich sein Ziel Bogotá, so dachte er doch nicht daran, seinen Namen eher dort zu nennen, ehe er alle Umstände erkundet hatte und vor allem ermittelt, wer von seinen Verwandten noch lebe.

    Sein Lebensunterhalt machte ihm wenig Sorge. Er war an Entbehrungen aller Art gewöhnt, abgehärtet, stark, ein geübter Jäger und sicherer Schütze. Das Wild, dachte er sich, gibt Nahrung, die Llanos Futter für das Tier, und der Himmel war sein Dach.

    Dieses große Kind wußte wenig von der Welt, die ihn erwartete, noch weniger von den Veränderungen und Zerstörungen, die die grausamen Bürgerkriege unter Menschen und Dingen hervorgerufen hatten.

    Er war in der Freiheit, die er so mühsam errungen, so glücklich, daß er die Zukunft getrost dem Walten einer höheren Macht überließ. Er hoffte die Stätten seiner Kindheit wieder zu sehen, in denen er so glückliche Tage zugebracht und rief sich in süß schmerzlicher Erinnerung die Bilder vergangener Zeiten zurück.

    So seinen Gedanken hingegeben, vernahm er zu seinem nicht geringen Erstaunen ein leise zu seinem Ohr dringendes silberhelles Lachen.

    Er lauschte - es kam von jenseits des kleinen Baches.

    Er erhob sich, ging durch den seichten Bach und die Büsche, die ihn jenseits umsäumten, und hatte, vorsichtig durch den Rand lugend, ein liebliches Bild vor sich.

    Auf einer Waldblöße, ähnlich der, die er verlassen, spielte ein junges, hellgekleidetes Mädchen mit einem kleinen Hunde.

    Sein Herz bebte vor Entzücken, er glaubte nie etwas Lieblicheres gesehen zu haben, als das schöne Kind mit dem lockigen Haar, der zarten Gestalt, anmutig in jeder Bewegung, wie sie da mit dem hübschen Tier spielte.

    Er sah eine Zeitlang wie bezaubert zu. Endlich warf sie dem Hund einen Ball hin und sprang mit dem Ausruf: "Such, Mignon," lachend in die Büsche. Der Hund lief dem Ball nach und erhaschte ihn.

    Von dem Aste eines nahen Baumes schnellte ein Jaguar herab, ein Schlag seiner Pranke und mit grellem Wehschrei brach der Hund zusammen.