"Blutet sie stark?"
"Ich kann nur ganz wenig Blut sehen."
"Hier in meiner Tasche ist Heftpflaster," der Mann trug eine Tasche am Gürtel - "lege es drüber."
Das tat der Knabe.
"So, es ist gut, die Kugel sitzt drin in der Brust, die holt kein Mensch heraus, lange mache ich es nicht mehr." Er stöhnte dumpf und sagte halblaut: "Ich hätte diesen Ort des Unheils vermeiden müssen." Er sah jetzt seinen Helfer genau an und fragte: "Wer bist du und wie kommt es, daß du Worte der Aimaràsprache in deine Rede mischest?"
In seiner Erregung war Alonzo mehr in das ihm geläufigere Indianeridiom gefallen, als er wußte.
"Ich komme von den Aimaràs her, nach jahrelanger Gefangenschaft. Auch für mich war dieses Tal einst ein Ort des Unheils, von hier führten sie mich fort in die Berge, die blutigen Mörder."
Des Alten Gesicht, das keineswegs etwas Freundliches oder Vertrauenerweckendes hatte, sondern einen Zug von Härte, den der energisch unterdrückte Schmerz der Wunde nicht milderte, zeigte nach diesen Worten einen Ausdruck, der fast dem des Entsetzens glich.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Alonzo an.
Dann sagte er mit heiserer Stimme: "So bist du Don Pedros Sohn?"
Alonzo war von dieser Frage jäh überrascht und erwiderte: "Du sagst es, ich bin sein Erstgeborener, der einzige, der damals den Tag des Schreckens überlebt hat."
Er sah in schmerzlicher Erinnerung vor sich nieder und bemerkte nicht, wie der alte Mann sein Gesicht in der rechten Hand verbarg. Die andere hing gelähmt hernieder.
"O - es geschehen noch Wunder" - stammelte er vor sich hin in einem Tone, der eine tiefe seelische Erschütterung bekundete.
"Sie wissen von dem Schreckenstage, Sennor?"
"Ja, ja, ich weiß - ich weiß. Und du bist d'Alcantaras Erstgeborener - du?"
In des Mannes Gesicht, als er jetzt den Blick wieder auf Alonzo richtete, lag etwas Scheues, fast Ängstliches, das den harten Zügen sonst fremd sein mußte, und ein Zittern lief über seinen Leib. Leise wiederholte er: "Pedro d'Alcantaras Sohn!"
"Sie haben meinen armen Vater gekannt?"
Der Verwundete antwortete nicht, ein Stöhnen entrang sich seiner Brust, ein schmerzvolles Stöhnen. Alonzo schrieb es der schweren Verwundung zu.
"Hilf mir aufs Pferd," sagte der Mann dann hastig, "bringe mich nach Hause - ich wohne nicht weit - ich muß noch einige Stunden leben - ich habe noch etwas auf der Welt zu tun - hilf mir -"
Der Knabe, der wieder im vollen Besitz seiner Kraft war, half dem Mann in den Sattel. Stumm ertrug dieser den Schmerz und klammerte sich an dem Sattelknopf fest.
"Steig auf dein Tier, reite neben mir und stütze mich."
So tat Alonzo und beide bewegten sich im Schritt vorwärts, der Alte von Zeit zu Zeit dumpfe Klagelaute ausstoßend, die zu unterdrücken er sich vergeblich bemühte.
Nach einer Stunde erreichten sie ein kleines Haus am Ufer eines Flusses.
Eine alte Negerin erschien in der Tür und vernahm mit Schrecken, daß ihr Herr verwundet sei.
Alonzo und sie trugen den Kranken zu seinem Lager.
"Wasser!"
Man gab es ihm.
Dann lag er eine Zeit schweigend, ermattet da.
Endlich sagte er, kräftiger als man erwarten konnte: "Erbarme dich meiner, Kind, reite zur Hacienda Sennor Vivandas, nimm meinen Rappen, er ist rasch, und hole mir den Cura von dort. Rahel wird dir den Weg zeigen. Der Cura ist der Bruder des Sennors. Sage ihm, Enriquez Gomez liege im Sterben und wolle beichten. Sage ihm, es sei wichtig für den Staat und für viele Menschen, daß er meine Beichte höre und aufschreibe, er soll Papier und Tinte mitbringen."
"O, beides ist hier, Don Enriquez," sagte die Negerin.
"O, so - dann her damit - die rechte Hand ist noch zu gebrauchen. Reite, reite, mein Kind, laß mich nicht ohne Beichte und Absolution sterben."
Der erschütterte Knabe versprach sein Bestes zu tun.
"Noch eines," sagte der Verwundete im Flüstertone, "wenn du mich nicht lebend wieder siehst - nenne deinen Namen nicht - niemand - hüte dich vor de Valla - vor de Valla, er trachtet dir nach dem Leben - reite, reite -"
Den Kranken nicht noch mehr zu erregen, ging Alonzo hinaus; die Negerin folgte ihm und zeigte ihm den angepflockten Rappen. Alonzo sattelte ihn, nahm seine wieder geladene Büchse und stieg auf.
"In welcher Richtung liegt die Hacienda, Madrecilla?"
Sie zeigte ihm einen glänzenden Stern am Himmel. "Reite auf diesen zu, Söhnchen, du wirst dann bald, wenn der Boden ansteigt, die Lichter von Otoño sehen. Der Rappe kennt die Llanos auch bei Nacht, du reitest sicher."
Fort ritt Alonzo auf den Stern zu, das Pferd zur schnellsten Gangart nötigend. Schattenhaft sausten Sträuche und Bäume an ihm vorbei, das Pferd war feurig und ging sicher.
Nach einem scharfen Ritte sah er vor sich, unter ihm liegend, einzelne Lichter, er ließ das Tier etwas verschnaufen und jagte dann weiter. Bald ritt er zwischen Feldern auf gebahnten Wegen einher und hielt gleich darauf vor der Veranda eines erleuchteten Hauses.
Er fragte nach dem Cura und man führte ihn in ein Parterrezimmer, wo er einen älteren, würdig aussehenden Herrn in Priestertracht antraf. Er teilte diesem den Wunsch des schwer verwundeten Mannes mit.
Ernst, sehr ernst hörte ihn der Geistliche an und sagte dann: "Ich will seinen Wunsch erfüllen und mit dir reiten." Er klingelte, bestellte sein Maultier, befahl, daß ein Peon mit einer Fackel vorausreiten solle, packte, während diese Befehle ausgeführt wurden, Papier und Schreibzeug in eine Tasche, auch eine Flasche Wein und gleich darauf ritten er und Alonzo, der Fackel des Peons folgend, der Hütte des verwundeten Gomez zu. Dieser, der glücklicherweise bis jetzt nur leichtes Wundfieber hatte, war erfreut, als er die Ankömmlinge erblickte.
Er befahl, daß alle das Haus verlassen und sich diesem fern halten sollten, und blieb mit dem Geistlichen, der sein Schreibzeug hervorholte, allein.
Erst nach längerer Zeit wurden die Negerin und Alonzo hereingerufen.
Der Geistliche war sehr ernst und betrachtete Alonzos Züge mit großer Aufmerksamkeit. Mit dem Kranken war eine starke Veränderung vor sich gegangen -, er trug den Zug des Todes im bleichen Antlitz. Lange blickte er auf Alonzo. "Reiche einem Sterbenden die Hand, Kind."
Alonzo gab sie ihm.
"Was geschehen konnte, deinen ferneren Lebensweg zu ebnen, armer Knabe, ist geschehen. Vertraue hier dem Cura und folge ihm, er ist dein Freund, er weiß alles."
Es lag eine Weichheit in der Stimme, in den Zügen des Mannes, die umso eindringlicher wirkte, als der Todesengel zu seinen Häupten stand.
"Du hast mir beigestanden in der Not - Sohn Don Pedros, Gott segne dich dafür - sei glücklich, glücklich - erbarme dich - verzeihe -"; er schloß die Augen und lag da wie ein Toter - die letzte Ölung hatte er schon empfangen -, plötzlich hob er das Haupt wieder, öffnete die bereits glanzlosen Augen - "Cura - die Briefe - die Briefe von - ihm - die Brie-"; er sank zurück und war tot.
Der Geistliche betete für seine Seele und schloß: "Mag Gott ihm ein gnädiger Richter sein."
Die Negerin weinte.
"Don Enriquez hat dir sein Eigentum hinterlassen, Rahel. Morgen wollen wir ihn der Erde übergeben. Komm mit mir, Alonzo, zur Hacienda," wandte er sich an den Knaben, "du bist mir anvertraut, mein armes Kind, und ich werde das Vertrauen nicht täuschen."