"Pah, politischer Haß diktierte das Urteil, ich bin heute wie damals ein echter Caballero."
"Und du willst Excellenza de Valla aufsuchen? Er läßt dich hängen ehe du ein Ave Maria beten kannst."
Tejada erbleichte doch etwas, sagte aber dann: "Torheit, ich komme, ihm einen wichtigen Dienst zu leisten, und hoffe, mir seine volle Gunst zu erwerben."
"So? Merkwürdig. Was willst du denn nun bei mir?"
"Ich konnte es unmöglich vermeiden, dir meinen Besuch zu machen, als ich Bogotá betrat," erwiderte Tejada mit frechem Cynismus, "nächstdem aber wollte ich dich bitten, mir einen Poncho zu leihen für meinen Besuch bei Excellenza, denn der meinige ist durch die Reise etwas mitgenommen, und mir ein gutes Pferd für kurze Zeit anzuvertrauen, du sollst beides ehrlich wieder haben."
"Gut. Du sollst Poncho und Pferd haben, ich kaufe dich damit von deiner Gegenwart los. Betrittst du aber wieder mein Haus, oder sagst du, daß ich dein Onkel bin, so zeige ich dich dem Alkalden an."
"Ich sehe, daß deine verwandschaftlichen Gefühle nicht sehr stark sind, aber ich muß den Kummer darüber unterdrücken. Ah, da kommt das Huhn! Gestatte mir zu speisen und dann will ich dein Haus verlassen."
Ein Aufwärter setzte ihm die Speisen vor und der Posadero ging achselzuckend mit dem Ausdruck des Zornes in dem fleischigen Gesicht hinaus.
Sancho Tejada speiste mit vortrefflichem Appetit.
Don Geronimo kam wieder herein, warf ihm einen noch fast neuen Poncho zu und sagte: "Das Pferd steht draußen gesattelt."
Tejada erhob sich, warf den Poncho um und sagte: "Ich vermute, Excellenza wohnt im Hause der Alcantaras?"
Geronimo nickte.
"So sage ich dir meinen herzlichen Dank, teuerster Oheim, und verspreche dir, mich nicht wieder vor deine Augen zu bringen."
Er nahm seinen Karabiner und ging hinaus.
Don Geronimo sah ihm mit finsterer Miene nach.
"Muß mir dieser verkommene Bursche über den Weg laufen, ich hielt ihn längst für tot. Was hat er nur mit Sennor de Valla? Wahrscheinlich will ihm der Schuft einige echte Patrioten verraten und sie an das Messer liefern. Gott möge sie schützen."
Mit sorgenvollem Antlitz ging der alte ehrliche Posadero nach dem Patio, überzeugte sich, daß sein Gast davongeritten war, und ließ das Tor schließen.
Auf einem guten Pferde, mit einem sauberen Poncho umkleidet, ritt Sennor Tejada langsam durch die engen Straßen der Vorstadt. Seine Brauen waren nachdenklich zusammengezogen. "Er ist ein äußerst kaltblütiger Bursche," murmelte er, "und schlau wie ein Andenfuchs, aber ich muß es mit ihm versuchen." Er faßte in die Tasche seines weiten Beinkleides und fühlte nach einem kleinen Doppelpistol, das er darin verborgen trug.
"Ich muß hier wieder Fuß fassen oder ich werde zu Tode gehetzt, und Excellenza sollen ja in Neugranada allmächtig sein. Wie der Zufall spielt! Ich weiß eine Zeit, wo de Valla froh war, wenn ich ihm eine Doublone borgte. Aber vorsichtig, der Mann hat nicht nur die Macht, er versteht auch, sie rücksichtslos zu gebrauchen, und Freunde habe ich hier gerade nicht."
Er war bis zu den breiteren und neueren Straßen gekommen, die auch besser beleuchtet waren als die alten Gassen der Vorstadt San Diego, gab seinem Gaule die Sporen und galoppierte nach der Plaza, wo das Haus lag, wo der Minister wohnte. Tejada kannte das Haus, das vor Zeiten ein Alcantara gebaut hatte, und sah das vornehme, umfangreiche, im Stile des sechzehnten Jahrhunderts errichtete Gebäude bald vor sich. Einige Fenster waren erleuchtet und das eiserne Gittertor, das zum Patio führte, offen. Zwei Pechpfannen erhellten mit ihrem rötlichen Schein den Eingang.
Tejada ritt in leichtem Galopp an und befand sich gleich darauf im Hofe.
Er zuckte doch zusammen, als er dort im Scheine eines Feuers einige Lanceros gewahrte, deren gesattelte Pferde unweit angebunden waren.
"O, der Mann hat eine Leibwache?" Dennoch ritt er keck bis zu der Treppe, die zu dem Eingang ins Haus führte. Ein Peon nahte sich ihm, blieb aber in einiger Entfernung stehen, auf der Treppe erschien ein Diener.
"Melde mich Excellenza."
"Excellenza wird schwerlich zu sprechen sein. Wen soll ich melden?"
"Einen Mann, der eine Botschaft aus dem Tale der drei Quellen bringt, das wird genügen."
Die Diener des Ministers waren gewöhnt, allerlei Gestalten oft zu ungewöhnlicher Stunde bei ihrem Herrn erscheinen zu sehen, die nicht immer ihren Namen nannten; der Mann musterte den Reiter, so gut es bei der ungenügenden Beleuchtung gehen wollte, und ging ins Haus. Nach einiger Zeit erschien er wieder und sagte: "Excellenza wollen Euer Gnaden empfangen."
Der Peon nahm Tejada das Pferd ab. Dieser stellte seinen Karabiner an die Wand und folgte, seinen Schnurrbart drehend, um sich ein keckes, selbstbewußtes Ansehen zu geben, dem voranschreitenden Diener durch das hell erleuchtete Vestibül und einen Korridor nach einem Zimmer im Erdgeschoß, wo er ihn mit den Worten: "Excellenza wird gleich erscheinen," allein ließ.
Den indianischen Peon, der im Vestibül hinter einer Treppenwange kauerte, hatte Tejada nicht gesehen, nicht bemerkt, wie dessen Augen aufleuchteten, als er den Fremden erblickte, während seine Hand nach dem Messer griff, das er im Gürtel trug.
Tejada schaute sich in dem reich ausgestatteten Gemache, dessen kostbare Möbel, Teppiche und Portieren ihm nicht wenig imponierten, mit einiger Scheu um.
"Sehr vornehm, wohnt wie ein Grande, der gute Don Carlos und unsereins muß sich mühselig durch die Welt schlagen, immer die verwünschten Alguacils hinter sich. Ja, Glück muß der Mensch haben. Nun, vielleicht ist mir Fortuna diesmal hold; ich habe es satt, mich hetzen zu lassen wie ein wildes Tier. Hereingekommen bin ich - das Hinauskommen ist vielleicht schwieriger."
Er faßte in die Tasche und entfernte von dem Doppelpistol sorgfältig die Versicherung, so die Waffe zum sofortigen Gebrauch fertig machend.
Ein leises Rauschen, eine der Portieren öffnete sich und herein trat der Herr des Hauses.
Sennor Carlos de Valla, der erste Minister des Staates Neugranada (es ist das heutige Columbia, das aber zur Zeit, wo unsere Geschichte spielt, den Namen des ehemaligen spanischen Generalkapitanates auch als selbständiges Staatswesen führte), der Herr ergiebiger Silberminen und viele Quadratleguas umfassender Liegenschaften, war ein Mann von mittelgroßer, wohlproportionierter Gestalt und vornehmer Haltung. Der elegante Sommeranzug, nach neuester Pariser Mode gefertigt, stellte seine Erscheinung in schroffen Gegensatz zu der des sonngebräunten Mannes im Poncho. Das gut geformte bartlose Gesicht von jener Elfenbeinfarbe, wie sie vornehmen Spaniern eigen ist, zeigte eine eherne Ruhe, während seine Augen forschend und mißtrauisch auf den Besucher gerichtet waren.
"Es ist nur ein Konzept, wie Excellenza bemerken werden."
Tejada ward nicht ganz wohl diesem Manne gegenüber, dem das Machtbewußtsein aufgeprägt war, doch wußte er das zu verbergen und verbeugte sich mit der dem Spanier eigenen geschmeidigen Höflichkeit.
"Was führt sie zu mir, Sennor?"
"Wie ich sehe, habe ich nicht mehr das Glück, in Euer Excellenza Gedächtnis zu leben, obgleich Sancho Tejada das wohl hoffen durfte."
Bei Nennung dieses Namens erschrak der Minister sichtlich, was Tejada nicht entging.
"Ah," sagte de Valla gedehnt, während er die Augenlider etwas senkte und so den Mann im Poncho unter diesen hervor ansah, "ah, Sennor Tejada, das ist überraschend," und langsam, wie absichtslos, schob er die rechte Hand unter seinen Rock. Tejada entging diese Bewegung nicht und seine Hand senkte sich in die Tasche. "Es ist einigermaßen verwegen von Sennor Tejada, hier in Bogotà bei dem ersten Beamten des Staates zu erscheinen, denn mich dünkt, die Diener der Gerechtigkeit sehnen sich sehr nach Ihnen."