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    Sein Falkenauge unterschied den Terrassenbau des Tempels und erkannte trotz der Entfernung menschliche Gestalten auf dessen Gipfel.

    "Sie richten schon den Altar für das Opfer her."

    Er stieg dann hinab, entfesselte die Tiere, die, nachdem sie Hunger und Durst gestillt hatten, wieder kräftig waren, schwang sich in den rohen Indianersattel, und das Saumtier am Lasso mit sich führend, setzte er seinen Weg fort.

    Er beschrieb einen weiten Bogen um das Dorf, wiederholt Wasserrinnsel und rauhe Wege, die aus dem Dorfe in das Gebirge führten, mit großer Vorsicht kreuzend. Nur ein genauer Kenner der Bodengestaltung vermochte hier Pfade für Mensch und Tier zu finden. Schon senkte sich die Sonne, als er im Osten des Dorfes stand. Mächtige rauhe Felsgebilde, von Höhlen, deren dunkle Öffnungen zu sehen waren, durchsetzt, zeigten sich dem Blick. Darüber weg traf das Auge bewaldete Berge.

    "So, wir sind da," sagte der Knabe und verließ den Sattel.

    Er ergriff sein Tier am Zügel und führte es einen engen, schroffen Felspfad hinauf, zu einem dunklen Höhleneingang. Er betrat mit dem ängstlich schnaubenden Tier die Höhle, es streichelnd und ihm sanfte Worte in das Ohr murmelnd, um es zu beruhigen.

    Willig folgte es seiner Leitung in das Dunkel; das Saumtier zog er am Lasso nach.

    Nach kurzer Zeit wurde es hell vor ihm und es zeigte sich eine weite Öffnung, von der ein breiter Pfad in ein liebliches, nur von Felsen umrandetes Tal hinabführte.

    Leicht gelangten er und die Tiere in die Tiefe. Gras und Wasser waren dort vorhanden. Er entledigte die Mulos der Sättel und Zäume und ließ sie laufen. Geduldig erwartete er dann die Nacht.

    Dunkelheit umgab endlich den Knaben. Düstere Wolken bedeckten den Himmel und verbargen die Sterne. Die Tiere hatten sich niedergelegt.

    Techpo erhob sich und schritt mit einer Sicherheit, als ob er im Dunkel zu sehen vermöchte, zu der Höhle empor. Nach einiger Zeit erschien er schattenhaft am anderen Eingang. Die Büchse hatte er zurückgelassen, aber im Gürtel stak die scharfe Machete. Über den Rücken hatte er ein großes Pantherfell geworfen und ein dunkles Tuch umwand sein Haupt.

    Ohne Zögern ging er den schmalen Felspfad hernieder, wand sich rasch und geschickt durch Büsche und enge Felspfade hindurch, bis er den Weg erreichte, der von Osten her nach dem Dorfe der Aimaràs führte. Er lauschte. Sein Ohr war ungewöhnlich scharf, aber er vernahm nur das Rauschen des leichten Windes. Er beugte sich nieder und legte das Ohr auf den Boden. Kein Laut berührte es.

    Geräuschlos und mit großer Schnelligkeit schritt er dann dem Dorfe zu, nur von Zeit zu Zeit haltend und lauschend; er schien den Weg wohl zu kennen. Endlich sah er das Dorf vor sich im Tale, wahrnehmbar durch einzelne in den Häusern brennende Feuer.

    Techpo wandte sich nach links und mit der Geschmeidigkeit und Geräuschlosigkeit des Raubtieres bewegte er sich durch Büsche und kleine Waldstreifen, durch Maisfelder, bis er die Gärten der Bewohner in der Nähe des Tempels erreichte.

    Hier hielt er in einem dichten Erlenbusch an, und suchte mit seinen Augen das Dunkel zu durchdringen.

    Die Indianer sind keine Freunde der Nacht, vor allem nicht die, die noch im alten Aberglauben leben - der Knabe durfte annehmen, daß kaum jemand im Freien sein würde.

    Er verließ sein Versteck und schlich nach den Gebäuden hin, die den Tempel umgaben. Durch eine roh gefügte Tür fiel Lichtschein.

    Er brachte sein Auge an eine Öffnung und sah vier Indianer um ein niedergebranntes Feuer sitzen. Jetzt wußte er, der Gefangene wurde im Nebengemache verwahrt. Dann umkreiste er die niedrigen Häuser; die wenigen Bewohner schienen zu schlafen. Es waren die Priester der Horde, die hier hausten.

    Unbemerkt wie er gekommen war, schlich er zurück. Er suchte das Haus des Kaziken auf, das von einem Garten umgeben war, er kannte die Lücke in der Hecke, glitt hindurch und betrat gleich darauf das ihm wohlbekannte Haus. Nach einiger Zeit erschien er wieder, eine Büchse, eine Machete und einen Kugelbeutel in der Hand.

    Staunenswert war die Sicherheit, mit der sich der schlanke Knabe in der Dunkelheit einherbewegte. Er ging nach dem Erlenbusch und legte dort die Büchse nieder, nachdem er sie untersucht und sorgfältig geladen hatte.

    Dann schritt er zu dem Tempel, der ganz verlassen dalag; die Priester schliefen in ihren Häusern, und die anderen hielt selbst am Tage ehrfurchtsvolle Scheu von dem Gebäude fern.

    Er ging die Stufen hinauf, die zu der ersten Terrasse führten, und betrat dort eines der nur den Priestern zugänglichen Gemächer, die sich dort auftaten.

    Mit der Sicherheit, die bisher jeden seiner Schritte geleitet hatte, erfaßte er hier, sich niederbückend, den an einer Steinplatte des Bodens befestigten eisernen Griff und hob die schwere Platte, die sich in Angeln bewegte, auf.

    Nur ein an das Dunkel gewöhntes Auge vermochte zu erkennen, daß hier eine Treppe in die Tiefe führte.

    Als er den Fuß hob, hinabzusteigen in das Erdgeschoß, machte ein Geräusch ihn beben; er glaubte Atemzüge zu vernehmen, die aus der Tiefe zu ihm empordrangen.

    Er lauschte. Die Sinneswerkzeuge des Knaben waren in den Jahren seines Aufenthaltes unter diesen Indianern zu einer ungewöhnlichen Feinheit ausgebildet worden - es war kein Zweifel, unter ihm atmete es, es mußte ein Mensch sein, von dem die Laute stammten.

    Wahrscheinlich war es ein Priester oder ein Tempeldiener, der dort unten weilte. Nur einer von diesen durfte es wagen, die unterirdischen Räume des Tempels zu betreten, von denen außer ihnen nur noch wenige der älteren Indianer Kenntnis hatten. Dem klugen und mutigen Knaben, der frei war von dem Aberglauben der Wilden und die Nacht nicht gescheut hatte, um, so oft es die Umstände erlaubt hatten, Untersuchungen überall da vorzunehmen, wo er sie in seinem Interesse für geboten hielt, waren weder diese Räume noch der unterirdische Gang verborgen geblieben, der zu den Häusern der Priester führte und direkt unter dem Zimmer endete, in dem der weiße Gefangene verwahrt wurde.

    Schon wollte er die aufgehobene Platte vorsichtig in ihre wagerechte Lage zurückbringen, als von unten einige Worte zu ihm drangen, die zwar sicher einem indianischen Idiom, aber nicht der Aimaràsprache angehörten. Ein einziges Wort verstand er: "Ruha."(Wasser)

    Er hielt die Platte fest, bereit, sie wenn nötig, sofort zuzuschlagen und fragte verwundert: "Wer bist du?"

    Eine Entgegnung folgte, die Techpo nicht verstand, aber er zuckte zusammen, als es dann zu ihm emporklang: "O santissima madre!"

    In spanischer Sprache tönte es zu ihm herauf: "Weißt du das nicht? Weißt du nicht, daß ich hier gefangen liege? O gib mir Wasser, wenn du ein Mensch bist."

    "Ja, ja. Doch sage mir, wer du bist, du sprichst zu einem Freunde."

    "Ich bin ein Mann aus den Niederlassungen am Cumana, wurde gefangen genommen und hierher geschleppt von den Heiden."

    "Bist du ein Indianer?"

    "Mein Vater ist ein Spanier, meine Mutter eine Indianerin; sie ist die Tochter des Alkalden in Arepa an der Sierra madre."

    "Ich komme zu dir."

    Rasch schritt der Knabe hinab in den dunklen Raum. Schattenhaft sah er dort eine menschliche Gestalt an der Wand kauern. Deren gezwungene Haltung fiel ihm auf. In flüsterndem Tone fragte er dann: "Bist du gebunden?"