"Ja, die Hände sind umschnürt und mit meinem Leibe bin ich an die Wand gefesselt."
"Wann bist du gekommen?"
"Heute, am Morgen."
Der Gefangene sprach geläufig die spanische Sprache.
"Bist du mit dem weißen Mann gekommen?"
"Nein, ich habe keinen Weißen gesehen. Ich bin, während ich in den Bergen der Sierra madre jagte, von diesen Banditen gefangen genommen, nachdem sie zwei meiner Begleiter meuchlerisch erschlagen hatten, und hierhergeführt worden. Deine Stimme klingt mir angenehm ins Ohr, du bist kein Indianer."
Techpo sann nach.
Wenn er den Fremden errettete, gefährdete er nicht dadurch seine Absicht, dem gefangenen Weißen Hilfe zu bringen? - Da der Fremde nichts von diesem wußte, mußte er nach ihm eingetroffen sein. Die Aimaràs hatten also zwei Gefangene gemacht. Sein Aufenthalt im Tempel ließ darauf schließen, daß auch er zum Opfertode bestimmt sei.
"Wenn du ein Christ bist," klang die klagende Stimme des Gefangenen zu ihm, "so rette mich."
"Ich will es versuchen. Gib mir deine Hände."
Der Gefangene reichte sie ihm. Techpo betastete die Umschnürung, fand den Knoten des Riemens, löste ihn mit leichter Mühe und lockerte die Fessel, ohne sie abzunehmen.
"Bleibe so, bis ich zurückkomme, ich hoffe deinen Wunsch erfüllen zu können und dich zu retten."
"Der Himmel möge es dir lohnen."
"Verhalte dich schweigend."
"Ja."
"Hier hast du auch Wasser für deinen Durst."
Er reichte ihm den Krug, den er trotz der Dunkelheit sah, dessen der Gefangene, selbst wenn er ihn bemerkt hätte, sich seiner Fesseln wegen nicht hätte bedienen können, und schlüpfte in den schmalen Gang, der in den kellerartigen Raum mündete, und verschwand geräuschlos.
Die Priester der Aimaràs benutzten diesen Gang, um ungesehen von der Menge sich nach dem Tempel zu begeben. Vermutlich sollte auch der weiße Gefangene diesen Weg nehmen, wenn er zum Opfertode geführt wurde.
Drittes Kapitel.
Die Befreiung der Opfer
Der junge Spanier war im Laufe des Nachmittags aus seinem festen Schlummer durch das Eintreten des Kaziken und zweier älterer Indianer mit grausamen Zügen, denen das lange Haar in Zöpfen geflochten um das Gesicht hing, erweckt worden.
Er starrte in dem Dämmerlicht, das ihn umgab, auf die vor ihm auftauchenden Gestalten. Als er den Kaziken erkannte, sagte er fröhlich: "Ah, mein Freund, du hast dir die Sache überlegt; sehr verständig. Also, was koste ich? Ich hoffe, du schätzest mich weniger hoch ein als ich mich selbst taxiere. Was verlangst du würdiges Oberhaupt dieser trefflichen Menschen?"
"Wir möchten erfahren, wie dich die Weißen nennen. Du sagtest, du seiest der Sohn eines großen Häuptlings deines Volkes."
"Ich sagte dir auch die Wahrheit, ich bin Fernando de Mosquera, der Sohn des Gobernadors von Santander, und mein Vater wird deine Wünsche erfüllen."
"Wir bedürfen deiner Schätze nicht," erwiderte der Kazike. "Die Priester sind hier, um dich zu sehen."
Don Fernando warf einen Blick auf die widerwärtigen, mit silbernen Zieraten geschmückten Gestalten, aus deren Gesichtern ein tierischer Stumpfsinn sprach, während sie ihn mit den dunklen Augen anstarrten, und sagte dann, seinen Widerwillen bekämpfend: "Es ist mir eine Ehre, die beiden geistlichen Herren bei mir zu sehen, obgleich sie mit unseren Curas recht wenig Ähnlichkeit haben. Indessen wird mein Vater nicht säumen, auch ihre Wünsche zu erfüllen, die beiden Herren sollen nur angeben, was sie bedürfen."
"Sie bedürfen nur deiner selbst, Spanier," sagte der Kazike. "Dir soll die Ehre zu teil werden, auf dem Altar des Kriegsgottes, dem wir in allem Unglück treu geblieben sind, zu sterben als Opfer für den Gott. Sie sind gekommen, um zu erkennen, ob du mit Mut sterben wirst."
Der junge Mann erschrak sichtlich.
"Als Opfer für euern Kriegsgott - die Ehre, teuerster Herr, ist gewiß sehr groß" - das Beben seiner Stimme bewies seine innere Erregung, denn ihm war nicht unbekannt geblieben, daß im Gebirge Stämme hausten, die noch ihren alten grauenhaften Opferdienst pflegten, "aber ich bin der Ehre durchaus nicht würdig. Sollte euer Kriegsgott nicht Gold, Silber, schöne Sättel und Zäume, Decken und Büchsen viel lieber als Opfer nehmen, als einen unbedeutenden Menschen wie mich?"
Der Kazike wechselte einige Worte in der Aimaràsprache mit den Priestern, deren Gesichtszüge nicht verrieten, ob sie verstanden hatten, was der junge Mann sagte. Diese erwiderten etwas und gingen hinaus.
"Der Gott braucht die Dinge nicht, die du aufzählst," sagte der Kazike, "aber er liebt das blutende Herz eines Weißen, und du mußt dich glücklich preisen, es ihm darbieten zu dürfen."
"Ich danke dafür," murmelte der junge Mann mit bitterer Ironie.
"Iß und trink und sei guter Dinge, Weißer," sagte der Kazike und folgte den Priestern.
Don Fernando blieb in leicht erklärlicher Aufregung zurück. Er hatte sich trotz der Schrecken der Gefangenschaft unter diesen indianischen Räubern doch mit der Hoffnung getröstet, daß ein Lösegeld ihn rasch befreien würde. Sollten diese entmenschten Wilden, die so einsam im Gebirge hausten, ihn wirklich ihrem Aberglauben opfern wollen?
Er schauderte zusammen - er hatte nicht die geringste Lust zu sterben.
Verzweiflungsvoll sah er sich in dem Raume um, der ihm zum Aufenthalte angewiesen war.
Kahle Wände - eine unerreichbare Fensteröffnung, draußen bewaffnete Wächter.
Flucht war augenscheinlich unmöglich. Selbst wenn es ihm gelang, sein Gefängnis zu verlassen, wo sollte er hin in dem wüsten Gebirge ohne Waffen, eine fanatische, blutdürstige Bevölkerung um sich her?
Die alten Weiber traten wieder herein und brachten reichlich Speise und Trank. Beim Öffnen der Tür sah Don Fernando seine Wächter, die ihn, wie es ihm schien, behaglich angrinsten. Die Lust zu essen hatte er verloren, aber er trank lange und hastig aus dem mit Wasser gefüllten Kruge.
Dann warf er sich auf sein Lager und Schreckensbilder durchzogen sein Gehirn.
Er hatte von der Grausamkeit der Gebirgsstämme, die seit der Revolution gänzlich verwildert und vollständig unabhängig geworden waren, erzählen hören. Wußte, daß diese von Zeit zu Zeit aus ihren Schlupfwinkeln herauskamen und dann weder Weiße noch auch ihre sich zum Christentum bekennenden Stammesgenossen schonten. Es war ihm jetzt kein Zweifel, daß er unter eine solche Horde geraten war. Er schauderte, wenn er sich das Bild der beiden Männer zurückrief, die der Kazike Priester genannt hatte und der Worte des Häuptlings. Geopfert? Das ist abgeschlachtet zu werden? Und keine Hilfe? Unaufhörlich düstere Gedanken durch den Kopf wälzend, warf er sich auf seinem Lager unruhig hin und her.
Die Nacht kam und er merkte es nicht.
Vor der Tür seines Gefängnisses hatte man Feuer angezündet, er sah es an dem Lichtschein, der durch die Ritzen drang.
Die Zeit ging hin und er gewahrte es kaum, unaufhörlich malte er sich ein grauenhaftes Ende aus.
Er begann voll tiefster Inbrunst zu beten.
Ängstlich lauschte er oftmals. Ringsum war alles totenstill.
Er erhob sich leise, schlich unhörbar zur Tür und legte sein Ohr daran. Er hörte die Wächter atmen, aber ob sie schliefen oder wachten, vermochte er nicht zu unterscheiden.