"Huatl hörte den Adlerschrei seines Bruders?"
Der Angeredete senkte bejahend langsam das Haupt.
"Maxtla ist gekommen, den Gefangenen zu befreien, er ist der Sohn seines Freundes."
Huatl, der sah, daß er ganz unbeachtet war, wandte langsam das Haupt nach dem Busche und flüsterte: "Maxtla ist sehr kühn, in die Höhle der Panther zu kommen; er wird sein Leben verlieren und den Gefangenen nicht befreien."
"Er wird ihn befreien, wenn sein Bruder ihm beisteht."
Der Chibcha schwieg.
"Huatl sehnt sich nach den Bergen, wo er aufgewachsen ist - er wird sie wiedersehen. Der Jüngling dort ist ein mächtiger Caudillo, darum haben sie ihn gefangen; er wird Huatl frei zurückkehren lassen zu den Seinen und ihm schöne Waffen, Ponchos, Mulos und Pferde geben, und Huatl wird, wenn die Unsichtbaren ihn rufen, zur Sonne gehen und sein Leib im Schatten der Felsen ruhen, die die Väter sahen."
"Was soll Huatl tun?" fragte der Mann, auf den die wohlberechneten Worte Maxtlas unzweifelhaft einen tiefen Eindruck gemacht hatten.
"Huatl wird dahin gehen, wo die Canoas liegen und sich in das Maxtlas legen; er wird es bereit halten, wenn Maxtla mit dem Jüngling kommt und ihm helfen, ihn über den Strom zu setzen. Huatl wird mit Maxtla gehen, er kann nicht länger unter den Piratas weilen."
"Sie haben Canoas und sind sehr geschickt auf dem Wasser."
"Wir werden sie blind machen. Huatl wird mit uns kommen und dann in seine Berge gehen."
Nach einiger Zeit erwiderte der Chibcha, in dem die Sehnsucht nach seiner bergigen Heimat sehr stark sein mußte, wie in den beiden Indianern die Lehren der christlichen Religion nur schwach nachwirkten: "Huatl wird tun wie Maxtla sagt."
Er erhob sich nach einer Weile und ging langsam den Hütten zu.
Die beiden Gruppen der Farbigen und der Weißen saßen noch um ihre Feuer. Alle schienen angetrunken zu sein, denn ihre Stimmen, wenn sie redeten, lallten nur. Der Lärm aus der erleuchteten Hütte dauerte an.
Langsam kroch Maxtla zu dem Baume, vor dem Alonzo saß.
Düster blickte der Jüngling vor sich hin, der so rauh dem Kreise der Seinen entrissen und in so qualvoller Weise gebunden auf dem Boden eines Kahnes liegend hierhergeführt worden war.
Er wußte nicht, was man mit ihm vorhatte, noch wo er sich befand; seinen Fragen hatte man die Vertröstung entgegengesetzt, daß er zeitig genug alles erfahren werde.
Er hatte längst erkannt, daß er in die Gewalt einer wohlorganisierten Räuberschar geraten war; daß seine Gefangennahme eine Fortsetzung des ihm geltenden Mordversuches sei, war ihm nicht zweifelhaft.
Es war die Hand des Todfeindes, die seit Jahren ihm drohte, die jetzt auf ihm lag.
Er dachte an Otoño, an die Angst seiner guten Pflegeväter, die Verzweiflung Elviras.
Gleich einem Blitze durchzuckte es ihn, als er jetzt hinter dem Baume hervor das Zischen der Bergnatter vernahm - die in der Niederung nicht heimisch war.
Es war dies ein von den Indianern der Anden oft gebrauchtes Verständigungszeichen.
Gleich darauf klang es in der Chibchasprache zu ihm; er bedurfte seiner ganzen Kraft, um seine Ruhe zu wahren, denn er glaubte die Stimme Maxtlas zu erkennen.
"Hört mich Don Alonzo?"
Alonzo war unter den Aimaràs durch eine furchtbare Schule gegangen, es gelang ihm auch jetzt, sich zu beherrschen und erst nach einiger Zeit vorsichtig und leise zu erwidern: "Ich höre eines Freundes Stimme."
"Kann der junge Adler die Flügel regen?"
Ja, es war Maxtla und er verstand, was der Indio meinte.
Zwar schmerzten ihn noch die so lange gefesselt gewesenen Hand- und Fußgelenke, aber die Glieder waren wieder brauchbar geworden.
"Ja, sie sind stark."
Alonzo schaute sich verstohlen um. Er wußte, in welcher Richtung der Hafen der Piraten lag; aber gerade da saßen die zechenden Farbigen und Weißen, obgleich die jetzt nicht gefährlich waren.
Aber es mochten wohl an die dreißig Mann hier versammelt sein, und der Zambo, der das Kommando über sie führte, war ein entschlossener, wachsamer Mann.
Alonzo hatte sich schon gewundert über die Sorglosigkeit, mit der man ihn behandelte und den Mangel an Wachsamkeit von seiten der Bandidos und daraus den Schluß gezogen, daß er sich auf einer Insel befinden müsse.
Wenn der kluge und tapfere Maxtla da war, welch ein Wunder hatte ihn hierhergeführt? So war Flucht gewiß möglich - er würde sie auch allein versucht haben, sobald die Gelegenheit sich bot. Sein Herz bebte jetzt in freudiger Erregung.
"Was soll ich tun?"
"Im Hafen liegt mein Canoa; wir müssen die Feinde blind machen und das Boot zu erreichen suchen."
"Wohl, Maxtla wird sagen, wie es geschehen soll."
Die im leisen Tone geführte Unterredung wurde unterbrochen durch das Herannahen des Zambo, dem ein Neger folgte. Maxtla verschwand im tieferen Schatten, und Alonzo saß ruhig mit ernstem, fast gleichgültigem Gesicht da.
"Folgen Sie diesem Mann," redete der Zambo Alonzo an, "er wird Sie in eines der Häuser führen."
Alonzo erhob sich mühevoll, es war klar, daß die Füße ihm den Dienst versagten, er wankte.
Der Neger löste den Lasso von dem Baum, hinter dem Maxtla lag, die Machete in der Hand.
Da erhob sich aus der Hütte, die erleuchtet war, wüstes Geschrei, und zur Türe heraus flog einem Ballen gleich ein Mann.
Die um die Feuer sitzenden Leute stierten stumpfsinnig nach jener Seite hin, der Neger, der Alonzo am Lasso hielt, mit gierigem Interesse. Ein Augenblick - und Alonzos Faust traf ihn mit so furchtbarer Wucht zwischen beide Augen, daß der Schwarze lautlos, wie ein Klotz, zu Boden sank. Mit einem Sprung war Alonzo hinter dem Baum und streifte den Lasso ab.
"Maxtla?"
"Hier! Mir nach!"
Und fort schlichen beide durch die Büsche, um mit Umgehung des Platzes das Canoa zu erreichen. Der wilde Lärm dauerte an.
Schon nahten sie dem Hafen, als eine gellende Stimme schrie: "El prisionero (Der Gefangene)!"
"Vorwärts," zischte Maxtla.
Schon standen sie am Wasser, vor sich das Canoa, Maxtla half Alonzo hinein, als der Zambo zwischen den Büschen erschien, der von allen Piraten allein Besinnung genug bewahrt hatte, um bei Entdeckung der Flucht Alonzos nach der einzig gefährlichen Stelle, dem Hafen zu laufen.
Mit Kraft stieß Maxtla das Boot in das Wasser, rief Huatl zu: "Rette ihn!" und wandte sich gegen den Zambo.
Huatl tauchte gegen den Willen Alonzos, der an das Land springen wollte, das Ruder in das Wasser und gleich darauf fuhr das Boot um die nächste Biegung.
Hier hielt Huatl.
"Fahre zurück, sofort zurück!"
"Ruhig, Sennor, Maxtla ist ein Chibchakrieger."
Gleich darauf rauschte es in dem Wasser, und Maxtla schwamm heran.
"O, dann ist es gut," sagte Alonzo inbrünstig, als er ihn erkannte.
Schwierig war es, Maxtla in das schwankende Fahrzeug zu bringen.
"Fort!" sagte er, das Wasser aus seinem Haar schüttelnd.
"Der Zambo?"
"Wird niemand mehr gefährlich werden," erwiderte ruhig Maxtla.
"Man wird uns folgen."
"Nein," sagte Huatl.
"Er ist ein Chibchakrieger, Don Alonzo," sagte mit freudigem Grinsen Maxtla, "er hat alle Boote der Piraten dem Flusse übergeben; sie werden nicht folgen."
Maxtla hatte mit dem ersten Blick erkannt, als er an das Wasser kam, was der schlaue Huatl getan, Alonzo war es entgangen.