Von der Landungsstelle her tönte wütendes Geschrei ihnen nach.
"Schreit nur," äußerte Maxtla, der unendlich glücklich war, Alonzo gerettet zu sehen, in ungewohnter guter Laune - "kein Schrei schafft euch Canoas herbei."
Gleich darauf traten sie in den Strom, wo sie jetzt in vollkommener Sicherheit waren.
Maxtla gab die Richtung zum linken Ufer an, dort, in ruhigerem Wasser - Huatl hatte für zwei Ruder gesorgt - trieben die beiden Indios das leichte Canoa eine große Strecke stromauf, bis der Chibcha die Zeit für gekommen hielt, an einer geeigneten Stelle zu landen.
Nachdem sie den Schilfsaum durchquert und festen Boden unter sich hatten, ließen sie sich zwischen Farnkräutern nieder, und Maxtla zündete Feuer an. Bei dessen Scheine stellten sie sich nach Jägerart, aus Gras und Baumrinde, eine Ruhestätte her.
Alonzo hielt Maxtlas Hand: "Zum zweiten Male verdanke ich dir mein Leben, wie vergelte ich dir das?"
"Nichts vergelten. Don Pedro gut gegen armen Indio, Indio gut gegen Don Pedros Sohn - das gut so. Hier, Huatl, müssen vergelten, er armer Indio, will wieder in Berge, da Don Alonzo helfen."
"Ja, wahrlich Mann," rief der glücklich Befreite, "wenn ich es vermag, werde ich alle seine Wünsche erfüllen."
Neunzehntes Kapitel.
Mariquita
Nach ruhig verbrachter Nacht erwachten die Schläfer im Morgensonnenschein. Alonzo erhob sich und nie, so schien es ihm, hatte er das Antlitz der Erde schöner gesehen als jetzt, wo er nach furchtbaren Tagen, die er in Banden am Boden eines Kahnes liegend, umgeben von rohen Mordgesellen, zugebracht, die Luft der Freiheit wieder atmete.
Der strahlende Himmel, der mächtige Strom, dessen Wasser die Sonnenstrahlen glitzernd widerspiegelte, die Pracht unzähliger Diamanten, die in Form von Tautropfen an Strauch und Gras hingen, das Umherschwirren der bunten Kolibris, der schöngefärbten Schmetterlinge, die Blütenpracht der Lianen, der Duft des Waldes, die köstliche, erfrischende Morgenluft - das alles erfüllte ihn mit unendlichem Entzücken. Die Wonne der wiedererlangten Freiheit gab sich darin kund. Nur eine Sehnsucht war in ihm lebendig, rasch nach Otoño zurückzukehren, um dort seine sorgenvollen Lieben zu beruhigen. Ihm gesellte sich Maxtla zu.
Nachdem er diesem mitgeteilt hatte, wie er in die Hände der Bandidos gefallen war, und es war genau so geschehen, wie der Indio aus den Spuren erraten hatte, verlieh er seiner Sehnsucht nach beschleunigter Rückkehr Worte.
Die Fahrt nach Cabuyaro im Canoa stromauf war anstrengend und zeitraubend, aber Maxtla hatte bereits vom Waldsaum aus einen einsamen Rancho entdeckt und sprach die Hoffnung aus, dort Reittiere zu erlangen, um so schneller den Ocoa zu erreichen.
Gleich darauf betraten die drei Männer die Llanos und schritten auf das einsam unter einigen Palmen liegende Gehöft zu.
Alonzo ging, als sie dort angekommen waren, um die Gastfreundschaft des Rancheros anzusprechen.
In der Tür des aus Adobeziegeln gebauten Hauses erschien ein Mädchen und Alonzo blieb stehen. Das Kind - es war noch ein Kind von vielleicht zwölf Jahren - stand in der Tür und ihre zarte, in das weiße tunikartige Gewand der Frauen des Landes gehüllte Gestalt hob sich einem Bilde gleich von dem dunklen Hintergrunde ab, das die Tür wie ein Rahmen einfaßte.
Er sah es vor sich, das sanfte, unschuldsvolle, von lockigem Haar umwallte Gesichtchen, die braunen Augen, die fromm zum Himmel gerichtet waren, und ein Gefühl, wie er es nie gekannt hatte, zog ihm durch Herz und Seele.
Eine hierniedergestiegene Himmelskönigin deuchte ihm die Erscheinung, Schauer der Andacht durchbebten sein Herz - und doch - er hatte ein gleiches holdes Gesicht schon gesehen - er hatte -? was war es doch, das seine Seele so erbeben machte?
Atemlos stand er und schaute auf das holde Menschenbild.
Da senkte die jugendliche Gestalt die Augen, und ihr Blick traf auf den fremden Mann - der sie so seltsam mit großen Augen ansah.
Ein leichtes Erstaunen zeigte sich in ihrem Gesicht, dann aber sagte sie mit freundlichem Lächeln in einem Tone, der ihn freudig berührte: "Komm näher, Amigo - sei willkommen!"
Er schritt auf sie zu - das Herz klopfte ihm ungestüm und er wußte nicht warum, - immer den Blick fast scheu auf ihr Antlitz gerichtet.
"Suchst du Don Esteban? Er ist ausgeritten - aber die Mutter ist im Garten, sei willkommen," und sie reichte ihm mit kindlicher Gebärde die Hand. Er erfaßte sie - und wiederum überlief ihn eine seltsamer Schauer. Was war es?
Welch wunderbares Gefühl flößte ihm dieses Kind mit den madonnenhaften Zügen ein?
"Ich bin Mariquita oder Maruja, wenn du willst - so ruft mich Mama. Wie heißest du?"
"Alonzo," sagte er leise, "Alonzo d'Alcantara."
Eine alte runzelvolle Indianerin kam um das Haus herum und störte den Zauber, von dem Alonzo sich dem Kinde gegenüber gefangen fühlte.
"O, Estrangeros?" ließ sie sich mit wenig melodischer Stimme vernehmen - sie hatte die beiden weiter zurückstehenden Indianer bemerkt - "Estrangeros? Wo sind eure Pferde? Estrangeros? Wie kommen sie hierher? Das muß Sennora wissen," und sie ging zurück hinter das Haus.
Alonzo hatte nicht bemerkt, wie auch Maxtlas Augen mit einem Ausdruck der Überraschung auf des Kindes Gesicht gerichtet waren, eine seltene Erscheinung bei einem Indianer.
"Komm, setz dich, Don Alonzo," sie wies auf einen Sitz in einer schattigen Laube, hinter der Bananen sich erhoben. "Du hast auch Indios bei dir? Laß sie herbeikommen. Ah, da ist die Mutter."
"Suchst du Don Esteban? Er ist ausgeritten!"
Eine Frau in mittleren Jahren trat herzu und schaute erstaunt, aber nicht unfreundlich auf Alonzos jugendlich männliche Erscheinung, die unverkennbar den Caballero verriet. Er begrüßte sie achtungsvoll und sagte, wie er es mit Maxtla verabredet hatte: "Verzeiht, Sennora, daß wir die Gastfreundschaft Eures Hauses in Anspruch nehmen, aber wir haben unser Boot auf dem Strom verloren und suchen den Weg nach Cabuyaro zurück."
Das Äußere Alonzos und seine Haltung schien der einfach gekleideten Frau sehr zu gefallen, und sie sagte freundlich: "Seid willkommen, Sennor - unser Haus ist das Eurige. Habt Ihr Unglück auf dem Strome gehabt? Ja, es ist ein tückisches Wasser. Laßt Euch nieder, mein Mann wird bald zurückkehren. Es ist selten, daß Fremde zu uns kommen, seid willkommen. Ich will Euch gleich Kaffee bringen. Die Indios können sich dort in den Schatten der Agave setzen. Habt Ihr schon Marujas Bekanntschaft gemacht, Sennor? Verzeiht ihr ihre Schüchternheit, aber sie sieht wenig fremde Menschen. Sei artig gegen Sennor, Maruja, wie eine wohlerzogene Sennorita, und unterhalte ihn. Ich komme gleich zurück."
Sie ging in das Haus und Maruja, die Alonzo gegenüber gar keine Schüchternheit zeigte, setzte sich neben ihn. Unter der Agave saß Maxtla und schaute sie unverwandt an.
"Du wirst ein paar Tage bei uns bleiben, Don Alonzo, nicht wahr? Es ist sehr schön hier, und Papa und Mama freuen sich, wenn Fremde kommen."
"Ich muß bald davonreiten, Mariquita, wenn dein Vater uns Tiere verkauft oder leiht."
"O, mußt du sobald wieder fort? O, wie schade! Ich wollte, du bliebest lange hier, du gefällst mir so, Don Alonzo."
Ihr holdes Gesichtchen zeigte aufrichtige Betrübnis.
"Es freut mich, daß ich dir gefalle - es freut mich sehr."