Bogotá wimmelte nicht nur von Fremden, ganz abgesehen von den Juntamitgliedern, auch von Soldaten. de Valla hatte zwei Regimenter des Staates, die zu neun Zehnteilen aus Farbigen bestanden, in die Hauptstadt beordert.
Sein Sohn Eugenio hatte sich die Nachricht von dem geheimnisvollen Ende seines Retters, dem er eine so innige Freundschaft entgegengebracht, die zu seinem Leidwesen nicht erwidert wurde, sehr zu Herzen genommen, und da ihm das Treiben, welches die Präsidentenwahl mit sich brachte, zuwider war, hatte er seinen Vater um Erlaubnis gebeten, nach Kuba reisen zu dürfen, was dieser umso lieber gestattet hatte, als er den dem Getriebe der Welt so fremden Jüngling nicht gern zum Zeugen der Vorgänge in Bogotá haben wollte.
Der Tag der Wahl kam.
Schon am frühen Morgen zeigten die Wege, welche auf Bogotá zuführten, sich sehr belebt.
Es war ein schöner heller Morgen, der den Tag eröffnete, an dem die Präsidentenwahl vor sich gehen sollte. In herrlicher Beleuchtung lagen die nahen Berge Guadalupe und Monserate da, und eine Flut von Licht ergoß sich über Straßen und Plätze und die bunten Häuser der Hauptstadt, des alten Santa Fé de Bogotá.
Auch die Bewohner der Stadt waren früh munter und lebhaft gestikulierende Gruppen standen auf den Straßen, aus denen man überall die Namen de Valla und Mosquera heraustönen hörte.
Die Plaza Bolivar, an der das Kapitol, das neue Parlamentsgebäude, sich erhob, war dicht gefüllt mit Menschen, so auch die benachbarten Straßen. Soldaten waren hier aufgestellt, um Ordnung zu erhalten. Unter der Menge sah man viele Leute aus den Gebirgen, das heißt Weiße; die Indianer Bogotás hielten sich fern von der Plaza. Hie und da sah man auch Llaneros zu Pferde, und vor dem Tore konnte man ein ganzes Lager der Steppenbewohner wahrnehmen, die über Nacht gekommen waren.
In der ganzen Stadt herrschte eine Stimmung, die etwas von der Schwüle an sich hatte, die einem Gewitter voranzugehen pflegt, und die Leute wagten nur in zurückhaltendem Tone miteinander zu reden.
Von zehn Uhr ab begannen die Juntamitglieder und die Staatsräte in der großen Sala des Parlamentshauses sich zu versammeln, unter ihnen die beiden Sennores Vivanda und der Mestize Antonio de Minas.
Gegen elf Uhr kam de Valla, er kam im Wagen. Schweigend empfing ihn die Menge, nur aus der Reihe der Soldaten begrüßten ihn einige Zurufe.
In der großen Sala hatten sich Staatsrat und Junta vereint, um unter dem Vorsitz des Präsidenten des Staatsrates die Wahlhandlung vorzunehmen.
Eben wollte man beginnen, als zu einer der großen Saaltüren ein hochgewachsener junger Mann eintrat, tadellos nach Pariser Mode gekleidet, dessen ganze Erscheinung großes Aufsehen erregte, vor allem das schöne, ungemein ernste Antlitz des Jünglings. In fester, fast hochmütiger Haltung schritt der so unerwartet Erscheinende zu dem Tische der Staatsräte, grüßte mit leichter Verbeugung die dort weilenden Sennores und ließ sich in einem Sessel nieder. Das Erstaunen war unter der Versammlung nicht gering.
"Darf ich fragen," nahm jetzt der Präsident das Wort, "mit welchem Rechte Sie hier erscheinen und Ihren Platz unter den Staatsräten nehmen?"
Bei der allgemeinen Stille, die in dem Saal herrschte, vernahm man überall deutlich die Antwort: "Mit dem Rechte, welches meinem Vater verliehen ward, als erblichem Mitgliede des Staatsrates. Ich bin Alonzo d'Alcantara, der Sohn Don Pedros."
Der Name zuckte wie ein Blitz durch die Versammlung.
de Valla starrte totenbleich auf das Gesicht Alonzos, das eine eherne Ruhe zeigte. Der Präsident unterbrach das Schweigen mit den unsicher gesprochenen Worten: "Das werden Sie uns beweisen müssen, Sennor."
Don Vincente erhob sich: "Ich bürge mit meiner Ehre für die Identität Don Alonzo d'Alcantaras."
Der Cura erhob sich: "Ich mit der Pflicht, die mir die Heiligkeit meines Amtes auferlegt."
Antonio de Minas stand auf: "Dort sitzt Alonzo d'Alcantara, der Gefangene der Aimaràs, der mich vom Tode errettete, von dem der sterbende Häuptling der Aimaràs unter Berufung auf seine Götter aussagte, daß er ihn aus dem Tale der drei Quellen fortgeschleppt hat."
Eine Anzahl Caballeros aus den Llanos erhob sich: "Wir verbürgen uns für die Person und den erhobenen Anspruch."
Stürmisch drängte sich ein junger Mann durch die Sitzreihen auf Alonzo zu: "Das ist mein kühner Retter aus Todesgefahr bei den Aimaràs," rief er, "o, Heil Euch, Don Alonzo, und Heil Euch doppelt, als der Sohn eines glorreichen Vaters."
Stürmisch umarmte ihn Don Fernando de Mosquera.
"Diesen jungen Caballero, hört es, Sennores, traf ich vor fünf Jahren in dem Dorfe der Aimaràs, wohin mich die Bandidos geschleppt hatten; seinem Heldenmute und seiner Hingebung danke ich es, daß ich noch am Leben bin. Ich bürge für ihn als den Sohn Don Pedros."
In dem kleineren Teile der Versammlung wurden diese Vorgänge mit inniger Teilnahme aufgenommen, deren größerer Teil aber saß stumm und finster da.
Der Präsident, der mit den Staatsräten geflüstert hatte, sagte: "Wir wollen diesen seltsamen Zwischenfall später aufklären und jetzt in der Verhandlung fortfahren."
de Valla saß bleich da mit zusammengebissenen Zähnen.
Jetzt erhob sich Don Alonzo rasch zu seiner ganzen Höhe und funkelnden Auges, mit weithin hallender Stimme sagte er: "Erlaubt Sennor, daß ich Euch auf die Anwesenheit eines dem Gesetze verfallenen Meuchelmörders in dieser hohen Versammlung aufmerksam mache; die Wahl könnte dadurch ungültig werden."
Neues Erstaunen malte sich in den Gesichtern der Mehrzahl.
"Vor den Sennores hier, vor Gott und Welt klage ich Carlos de Valla als Anstifter des Mordes meiner Eltern und Geschwister im Tale der drei Quellen an, klage ich ihn an, dreimal Meuchelmörder nach mir ausgesandt zu haben, denen ich nur durch Gottes Hilfe entgangen bin. Wollt Ihr den Mann in diesem Kreise dulden, macht Ihr Euch zu seinen Mitschuldigen und die Wahl ist ungültig. Und was ich sage, will ich beweisen."
Alle Augen waren jetzt auf de Valla gerichtet.
Dieser, dem es keineswegs an Mut fehlte, saß wie gebrochen da. Der Mann fühlte in dem Augenblicke, wo er das Ziel eines rastlosen Ehrgeizes endlich nahe vor Augen sah, das Walten einer unerbittlichen Nemesis. Die Geister der Erschlagenen standen wider ihn auf.
Aber seine nächsten Anhänger, verderbt gleich ihm, wußten, daß mit ihm, ihrem Oberhaupte, auch sie verloren seien.
"Wer wagt es," rief einer der Herren, "solche Beschuldigungen gegen einen Ehrenmann wie Excellenza zu schleudern? Wer ist dieser Knabe, der es wagt, uns hier Märchen zu erzählen?"
Dies gab den Anhängern de Vallas Mut, und trotzig schrieen sie auf und scharten sich um den, auf dem ihre Hoffnungen für die Zukunft beruhten.
Alonzo winkte, und herein wurde von seinen Vertrauten Tejada geführt, der frech um sich sah.
"Hier ist der Mann," sagte Alonzo, "der als Meuchelmörder nach mir ausgesandt wurde, hier," er hob die Schuldverschreibung empor, die de Valla dem Banditen gegeben, "ist die verklausulierte Lohnzusicherung, die wir dem gedungenen Manne abgenommen haben."
"Eine Lüge," zischte de Valla jetzt, dessen Augen grimmig funkelten, als er Tejada sah.
"Hier," fuhr Alonzo unerbittlich fort, "ist ein eigenhändiger Brief de Vallas, worin er einen gewissen Gomez auffordert, meinen Vater durch die Aimaràs unschädlich zu machen - hier, seht Sr. Excellenza Handschrift. Der Bandit dort hat ihm die anderen Briefe verkauft, den wichtigsten aber behalten."