"Nenne mich Alonzo, so nannten mich einst die Meinen."
"Weilst du schon lange unter diesen Wilden?"
Die dunklen Augen des Knaben blickten traurig vor sich hin, dann erwiderte er: "Ja, lange, viele Jahre, wie viel weiß ich nicht."
"Doch du bist noch so jung."
"Ja, ich glaube."
"Wie bist du unter diese Wilden gekommen? Hat man dich geraubt?"
Mit einer eisigen Starrheit in den Zügen sagte Alonzo: "Sie haben die Meinen erschlagen und mich davongeführt." Nicht ein Zug bewegte sich in seinem Gesicht bei diesen Worten.
"Welch ein Schmerz für dich! Erschlagen?"
"Ja, Vater, Mutter, Geschwister - alle."
Entsetzlich wie die Mitteilung, die eine Welt von Jammer barg, war die stoische, finstere Ruhe, mit der sie gemacht wurde.
Don Fernando war davon so erschüttert, daß er erst nach einiger Zeit äußerte: "Aber du hast noch Angehörige, die sich nach dir sehnen?"
"Ich weiß es nicht, ich sehne mich nur fort von diesen Mördern." Der Ausdruck seines Gesichtes veränderte sich plötzlich. "Aber sie sollen es büßen, ich bin stark und werde stärker. Vater, Mutter haben sie mir getötet und meine Seele langsam in diesen Jahren gemordet, daß ich nicht mehr denken, kaum noch beten kann, sie sollen es büßen."
Er schüttelte die Faust nach dem Dorfe hin. Dieser Ausdruck des Zornes war umso überraschender, als er in schroffem Gegensatz zu der stoischen Ruhe stand, die der Knabe gleich den Eingeborenen sonst zur Schau trug.
Alonzos Züge nahmen ihren gewöhnlichen Ausdruck wieder an und fast weich sagte er: "Ich fühle mich glücklich, daß ich geschützt blieb vor völliger Umnachtung des Hauptes."
"Du wirst mit mir kommen, Don Alonzo, das Haus meines Vaters wird dir ein Asyl gewähren und fortan deine Heimat sein, er ist reich und mächtig."
"Ein gütiges Geschick wird dich zu ihm führen, aber der Weg ist lang durch die Berge zur Ebene hinab und die Aimaràs sind flink in der Verfolgung."
"Oh" - sagte gutgelaunt Don Fernando, "ich bin froh, daß ich durch deine Hilfe diesen unheimlichen Priestern entgangen bin, die mich anstarrten wie ein wildes Tier. Hatten sie wirklich die Absicht, mich ihren Götzen zu opfern?"
"Zweifle nicht daran, sie lechzten nach deinem Blute."
"Ich wundere mich, daß sie dich am Leben ließen."
"Sie warteten wohl, bis ich zum Manne erwachsen war, ehe sie mich opferten."
"Nun bin ich wie durch ein Wunder dem Messer dieser Baalspriester entronnen. Wird die Flucht aus den Bergen auch gelingen? Lebendig," setzte er entschlossen hinzu, "sollen sie mich nicht haben. Erreichen sie uns, wollen wir kämpfen bis zum letzten Augenblick."
"Ja," sagte der Mestize, "dann kämpfen wir, auch ich ziehe den Tod im Kampfe dem auf dem Opferaltare vor."
"Ich kenne den Weg, der nach den Llanos führt, nur noch eine Strecke weit," sagte Alonzo.
"Wir werden ihn weiter verfolgen, und tiefer hinab kenne ich die Berge und Schluchten, ich bin ein Montanero (Bergbewohner)."
"Doch du stammst aus den Llanos, Sennor, wenn ich dich recht verstand?" fragte Alonzo den Kreolen.
"Nicht ganz, ich entstamme dem Norden des Staates, da wo die Ostkordilleren sich erheben, doch habe ich freilich einen Teil meines Lebens in den Llanos zugebracht."
"Wie bist du in diese Berge gekommen?"
"Jägerlust und Freude am Umherstreifen trieb mich in das Gebirge."
"Doch warst du allein?"
"Nein, ich hatte drei Begleiter bei mir, Indios aus den Vorbergen, die ich dort gemietet hatte, als die Wilden, die du Aimaràs nennst, uns in einem Tale überraschten. Meine Begleiter entflohen und ließen mich in die Gewalt dieser braunen Räuber fallen."
"Sie werden nicht weit gelangt sein," sagte Alonzo ernst, "die Aimaràs lassen keinen entkommen, der es verraten könnte, daß sie einen Weißen in die Berge geschleppt haben."
"Oh," fragte erschreckt Don Fernando, "meinst du, daß sie sie getötet haben?"
"Ich zweifle nicht daran."
"Oh, oh, welche Bluthunde! Das tut mir doch leid, obgleich die Indios mich schimpflich verließen."
Es fiel bei dieser Unterredung sowohl Don Fernando als Antonio, dem jungen Mestizen, mehr als vorher, wo Aufregung ihre Seelen füllte, auf, daß ihr Retter nur mühsam das Spanische beherrschte, nach Ausdrücken suchte und oft plötzlich in die Sprache der Aimaràs überging, scheinbar ohne es zu merken. Sie erklärten sich dies aus seiner langen Gefangenschaft unter den Wilden leicht, doch sahen sie es nicht minder als ein beklagenswertes Zeichen an, welchen Einfluß die Umgebung des Knaben auf seine Seele geübt hatte. Auch das tiefinnere Wohlgefallen, mit dem er den spanischen Lauten lauschte, wenn sie sprachen, entging ihnen nicht.
"Wie denkst du nun der Falle, die uns erwartet, zu entschlüpfen, Don Alonzo?" fragte der Kreole.
"Wir müssen die Nacht abwarten und dann sehen, - der Weg, der am Wächterhaus vorbeiführt, ist sehr eng und sehr gefährlich, wenn die Krieger dort wachsam sind."
"Ich vertraue mich ganz deiner Führung an, amigo mio."
"Ist das Wächterhaus nicht zu umgehen?"
"Für Menschen wohl, obgleich der Weg sehr gefährlich ist, nicht für den Pferdehuf, und ohne Pferde kommen wir nicht weit, wenn wir die Aimaràs auf den Fersen haben."
"So daß wir also immer noch in einer schlimmen Lage sind?"
"Ja - doch wir sind drei entschlossene Kämpfer und wir müssen uns im Notfall den Durchgang erzwingen. Eure Flucht werden die Aimaràs sich schwerlich enträtseln können, sie werden sie bösen Geistern zuschreiben, denn keiner weiß, daß ich den unterirdischen Gang zu den Priesterhäusern kenne, auch glauben sie mich auf der Jagd. Vielleicht kommt uns ihr Aberglauben zu gute."
"Du bist klug und tapfer, junger Freund, ordne an, was du für das beste hältst. Kommt es zum Kampfe, wirst du sehen, daß ich meinen Mann stelle."
"Es ist gut. Haltet euch jetzt still hier, erklettert ja die Felsen nicht, man könnte euch sehen. Ich will den Weg beobachten und die Berge durchspüren."
"Sei vorsichtig, Freund, denn ohne dich sind wir verloren."
"Ich bin's, auch ich sehne mich danach, das Land der Weißen wieder zu sehen."
Alonzo entfernte sich durch die Höhle.
"Ein kühner, stolzer Knabe," sagte Don Fernando, "den ein so furchtbares Geschick unter diese Wilden geschleudert hat -, freilich zu unserem Glück, zu unserer Rettung."
"Er ist weit über seine Jahre besonnen, klug und tapfer," erwiderte der Mestize, "doch es deucht mir Zeit für ihn, daß er in sein Vaterland zurückkehrt, ehe er ganz zum Wilden geworden ist."
"Du magst da wohl recht haben, Don Antonio -, er hat mitunter ganz das Gebaren eines Indianers, obwohl sein Herz noch treu an unserem heiligen Glauben und an den Leuten seiner Farbe hängt."
"Welcher Familie er nur entstammen mag? Er sagte nichts davon."