Выбрать главу

Die Umgebung des Violetten Palastes verwandelte sich im Nu in ein Militärlager, das jedem Feind zu trotzen bereit war. Meister Lestar deckte die große Holzkanone ab, mit deren Hilfe einst die Zwinkerer durch einen einzigen Schuß die Holzköpfe in die Flucht geschlagen hatten. Allerdings war die Kanone nach diesem Schuß geplatzt, doch Lestar hatte sie durch Aufziehung eines eisernen Reifens über ihren Lauf sogleich repariert. Der Mechaniker besaß noch einen Teil des Pulvers, das der Einbeinige Seemann Charlie Black zurückgelassen hatte. Lestar lud die Kanone mit Pulver und stopfte dann anstelle von Kartätschen alte Nägel, zerbrochene Hufeisen und anderes eisernes Gerümpel hinein. Der Kanonier stand mit einer brennenden Lunte in der Hand neben dem gefechtsklaren Geschütz, als sich in der Ferne der fliegende Teppich mit der schwarzen Riesenfigur der Hexe zeigte. Arachna schwang einen jungen Baum in der Hand, den sie mit den Wurzeln ausgerissen hatte. Der Teppich ging in einiger Entfernung vor dem Palast nieder, und Ruf Bilan, der wieder den Unterhändler spielte, schritt auf den Eisernen Holzfäller zu. Anstelle der weißen Fahne schwenkte er ein Handtuch, das er in der verlassenen Hütte eines Zwinkerers geklaut hatte. Der Holzfäller erkannte Bilan sofort. „Du bist es, Verräter?" fragte er verächtlich. „Hat man dir im Unterirdischen Land denn nicht das Genick gebrochen?" „Warum sollte man mir das Genick brechen?" erwiderte Bilan trotzig. „letzt geht es übrigens nicht um meine Person, sondern um eine Angelegenheit, die euch hier angeht. Siehst du dort in der Ferne die mächtige Zauberin Arachna? Ich bin ihr Botschafter." „Und was sollst du mir ausrichten?" fragte der Holzfäller. „Vor allem fordert sie von euch bedingungslose Unterwerfung, und außerdem sollt ihr sie als eure Königin für alle Zeiten anerkennen!" „So, so. Ist das alles?" fragte der Holzfäller ruhig.

„Oh, nein! Ihr werdet der Königin einen jährlichen Tribut von tausend Ochsen und zweitausend Hammel zahlen und außerdem Gänse und Enten, soviel sie braucht. Vorerst aber werdet ihr für die Gebieterin drei Ochsen und fünf Hammel braten, ich für mein Teil will mich mit einem fetten Huhn begnügen. Ihr müßt wissen, daß ich und die Gebieterin von der Reise recht hungrig sind."

„Haben euch die Marranen denn nicht mit einem kräftigen Frühstück bewirtet?" fragte der Eiserne Holzfäller mit gespielter Einfalt. Bilans Augen traten fast aus den Höhlen. Er begriff, daß die Niederlage, die Arachna von den Springern eingesteckt hatte, auf irgendeine Weise im Violetten Land bekannt geworden war. Sein ganzer Hochmut war dahin. „Werdet ihr euch Arachna unterwerfen?" konnte er nur noch lallen. „Geh zu deiner Herrin und sage ihr, daß wir bis auf den letzten Mann kämpfen werden!" schrie der Holzfäller zornig. „Und merke dir, wenn deine Knochen noch heil sind, so hast du es nur der Flagge des Parlamentärs zu verdanken, die du geschwenkt hast." Die Axt in seiner eisernen Faust schnellte zischend hoch und erstarrte über dem Kopf des Verräters. Das Gesicht weiß wie die Wand, taumelte Bilan zu seiner Herrin zurück. Als die Hexe seinen Bericht hörte, sprang sie zornig auf und stürmte, den Baumstamm als Stütze benutzend, auf die Zwinkerer zu. Von den Türmen und dem Dach des Palastes und den Steinen am Straßenrand flogen ihr unzählige Pfeile entgegen. Sie drangen ihr in Stirn und Wangen, blieben in ihrem Kleid stecken und trafen die nackten Knöchel. Für die Riesin waren es jedoch nicht mehr als Nadelstiche, obwohl Nadelstiche ja auch nicht gerade angenehm sind. Trotzdem drang Arachna weiter vor, und ihr riesiger Knüppel riß bei jedem Schritt tiefe Löcher in der Erde auf. Wie bedauerte es jetzt der Eiserne Holzfäller, daß er in den ersten Tagen seiner Herrschaft befohlen hatte, die hohe Mauer mit den scharfen Nägeln oben zu schleifen, die zu Bastindas Zeiten den Violetten Palast umgab. Allerdings hatte diese Mauer dem Palast das Aussehen eines Gefängnisses verliehen, doch jetzt hätte sie vielleicht den Ansturm Arachnas aufgehalten... In diesem Augenblick ging ein ohrenbetäubender Schuß aus der Kanone Lestars. Die Kartätschen, die die Brust der Hexe aus naher Entfernung trafen, hatten eine überraschende Wirkung. Arachna wankte, und es fehlte nicht viel, so wäre sie hingefallen. Wenngleich die Wunde nicht tödlich, ja nicht einmal gefährlich war, schien es ihr doch, als hätte sie die Faust eines Riesen getroffen, der ebenso stark wie sie sein mußte, und der Donner der Kanone kam ihr wie die Stimme eines wutschnaubenden Ungeheuers vor... Vor Schreck ließ Arachna den Baumstamm fallen und lief so schnell sie konnte zum Zauberteppich zurück. Auf der Flucht zertrat sie zwei Wehrtürme, aus denen die Soldaten allerdings rechtzeitig in den Graben hinabgesprungen waren. In ihrer blinden Hast verlor die Hexe ihre Lederschuhe, doch sie hielt nicht, um sie aufzuheben. Mit diesen Schuhen geschah später folgendes: Da sie wasserdicht waren (ob man sie mit einer besonderen Lösung getränkt oder ob Arachna sie verzaubert hatte - das weiß heute niemand mehr), befahl der Eiserne Holzfäller, sie zum großen Fluß zu tragen, wo die Zwinkerer sie mit Masten, Segeln, Steuer und Deck versahen, wodurch sie sich in Schiffe verwandelten, die den Namen „Die Rechte" und „Die Linke" erhielten. Sie wurden der Flotte des Violetten Landes übergeben, und die Zwinkerer unternahmen mit ihnen weite Reisen und transportierten verschiedene Güter. „Die Rechte" und „Die Linke" zeichneten sich durch große Ladefähigkeit aus und waren sehr wendige Fahrzeuge. Doch ihre merkwürdigste Eigenschaft bestand darin, daß sie die Krokodile verscheuchten, von denen es im Fluß wimmelte. Holzschiffe wurden von diesen Ungeheuern oft überfallen, und man mußte sie mit Pfeilen und Lanzen abwehren. Doch wenn die Krokodile die Lederschiffe erblickten, stoben sie entsetzt auseinander. Wahrscheinlich schreckte sie das ungewöhnliche Aussehen dieser Fahrzeuge, oder es behagte ihnen nicht der Geruch, der von ihnen ausging. Wie dem auch sei, die Lederschiffe übten eine starke Anziehungskraft auf die Zwinkerer aus, und ein jeder begehrte es, mit ihnen zu fahren. Die Schlacht der Zwinkerer mit der mächtigen Arachna dauerte nicht mehr als zehn Minuten. Als Arachna Reißaus nahm, brachen alle Anwesenden in ein Siegesgeheul aus. Die Hexe auf dem Teppich aber dachte bei sich:

„Urfin Juice hatte recht, als er sagte, freiheitliebende Völker seien nicht so leicht zu unterwerfen. Aber ich gebe dennoch nicht auf!..." Sie befahl dem Teppich, zur Smaragdenstadt zu fliegen. Arachna wußte nicht, daß über die Vogelstafette bereits ein Bericht über alles, was sich im Marranental und vor dem Violetten Palast zugetragen hatte, an den Scheuch abgegangen war und daß dieser Bericht vor ihr eintreffen würde.

DER NÄCHTLICHE STURM

Während Arachnas Teppich mit der Geschwindigkeit eines alten, wackligen Eisenbahnzugs dahinsegelte, fraß in ihr die Erinnerung an die Erniedrigungen, die sie von den Marranen und der Zwinkerern erlitten hatte. „Wie war es möglich, daß diese Jammerlappen eine so mächtige Zauberin wie ich es bin, eine Zauberin, die nur ein Hurrikap besiegen konnte, in die Flucht geschlagen haben?" fragte sie sich. Aber wie groß ihr Ärger auch war, sie mußte eingestehen, daß sie die Schwächere gewesen war.

„Das kommt daher, daß ihrer viele sind, während ich ganz allein dastehe", folgerte sie. „Der elende Feigling, der da zu meinen Füßen sitzt und mit den Knien schlottert, kann doch nicht als Helfer zählen! Selbst mit dem einfachsten Auftrag wird er nicht fertig. Doch wen soll ich mir schon als Bundesgenossen wählen?..."

Nach langem Überlegen sagte sie sich, daß im Zauberland weder Menschen noch Tiere vorhanden sind, die ihr zu helfen bereit wären. „Dann werde ich eben allein weiterkämpfen!" knirschte Arachna. „Und Urfins Geschwätz werde ich mir aus dem Kopf schlagen!" Wenn sie als Zauberin so dachte, so bedeutete das zweifellos, daß sie die Prophezeiungen des ehemaligen Königs nicht vergessen konnte. Die Stimmung der Hexe war schrecklich. Nicht nur, weil sie zwei Niederlagen erlitten hatte, sondern auch, weil ihre nackten Füße froren und der Hunger sie plagte. Sie hatte einen ganzen Tag nichts zu sich genommen und hätte jetzt wohl eine ganze Ochsenherde verschlingen können. Doch weit und breit war kein Vieh zu sehen. Die Farmen, an denen sie vorbeikamen, waren leer, denn die Vögel hatten über ihre Stafette die Farmer gewarnt, und diese hatten ihr Vieh versteckt und hielten sich selbst an Orten verborgen, die niemand erspähen konnte. Es blieb Arachna nichts anderes übrig, als vor einem Obsthain niederzugehen und sich mit Früchten vollzustopfen, obwohl sie diese gar nicht mochte. Nachdem sie ihren Hunger leidlich gestillt hatte, flog sie weiter. Unterdessen hatte die Vogelstafette die Nachricht vom Nahen der Hexe bereits zur Smaragdeninsel getragen. Der Scheuch berief sofort seinen Stab ein. Als erster erschien Feldmarschall Din Gior, der seinen prächtigen knielangen Bart mit einem goldenen Kamm gekämmt hatte. Dann trafen der Versorgungschef der Armee Faramant und die Leiterin des Nachrichtenwesens Kaggi-Karr ein. Bevor man Entscheidungen traf, mußte man genau wissen, welche Gefahr drohte. Auf einem kleinen Tisch stand der Kasten mit dem Bildschirm, den Elli einst dem Scheuch geschenkt hatte. Die Mitglieder des Stabs nahmen vor dem Fernseher Platz, und der Scheuch sprach: