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„Warum hast du mir nicht gesagt, du Trottel, daß eure Stadt auf einer Insel liegt?" fauchte die Hexe Ruf Bilan an.

Der Verräter stammelte: „Ich schwöre bei meinem Leben, Herrin, vor zehn Jahren war das nicht so! Man hat diesen Kanal gegraben, als ich nicht mehr da war." „Tölpel !" sagte Arachna verächtlich. „Hoffentlich ist das Wasser nicht allzu tief."

Sie ließ den Teppich am Ufer, gebot Ruf Bilan, auf ihn aufzupassen, und stürzte sich in den Kanal. Zuerst reichte ihr das Wasser bis an die Knie, dann bis an den Bauch, dann wurde es tiefer und tiefer... Als nur noch die Schultern der Riesin und der Kopf mit dem gewaltigen schwarzen Haarbüschel über dem Wasser ragten, schlugen Flammen auf der Stadtmauer hoch, und es leuchteten viele Laternen auf. In den Händen der Bürger brannten plötzlich Hunderte Pechfackeln, und ringsum war es hell wie am Tage. Din Gior und seine Gehilfen machten sich an den Schleudern zu schaffen. Sie klinkten die aus Büffelsehnen gedrehten Seile aus, welche Springfedern ersetzten, worauf die Enden der langen Stangen Hochschnellten und gewaltige Steinbrocken von sich gaben. Geschosse peitschten das Wasser um die Hexe auf. Die Riesin wich ihnen aus, bis ein schwerer Mühlstein sie am Scheitel traf. Das Haarbüschel schwächte allerdings den Schlag ab, und außerdem war der Schädel der Hexe auch nicht so leicht zu durchschlagen, trotzdem verlor Arachna einen Augenblick lang das Bewußtsein und versank im Wasser des Kanals.

Die Bürger auf den Mauern jauchzten vor Freude, doch die Hexe kam schnell wieder zu sich und tauchte aus dem Wasser empor. Ihr war nun

klar, daß der Plan, unbemerkt in die Stadt einzudringen und den Scheuch zu überrumpeln, gescheitert war, und deshalb schwamm sie, so schnell sie nur konnte, zurück zum Ufer. Ein Hagel von Pfeilen folgte ihr und bohrte sich in ihren ungeschützten Nacken. Es war, als hätte sich ein aufgescheuchter Wespenschwarm auf die riesige Frau gestürzt. Von Schmerz und Angst überwältigt, kroch die Hexe mit ungeheurer Anstrengung aus dem Wasser, ließ sich auf den Teppich fallen und lallte: „Fffort, ffort von hiiier, fffort von ddiesem schre-schrecklichen Ort!"

Das letzte, was sie hörte, als der Teppich aufflog, waren die Worte: „Arr-rachna Dreck-zeug!"

Das schrie ihr Kaggi-Karr nach, während die jubelnden Bürger den Scheuch, Faramant und den Feldmarschall Din Gior mit dem wallenden Bart schauckelten.

„Hätte ich auch nur ein Regiment solch tapferer Soldaten, ich würde mit ihm den ganzen Kontinent erobern...", krächzte Arachna mit schwacher Stimme.

DER VORFALL MIT DEM TEPPICH

Während der Teppich Kurs auf das Land der Unterirdischen Erzgräber hielt, dachte die Hexe:

„Im ersten Gefecht mit den Menschen bin ich mit blauen Flecken an Stirn und Kinn davongekommen; im zweiten trat mich ein brüllendes Ungeheuer in die Brust, und ich verlor meine Schuhe; im dritten schlug es mir fast den Schädel ein, und ich war dem Ersaufen nahe... Je weiter, desto schlimmer. Was blüht mir jetzt? Der Tod, wie dieser Möchtegern von einem König mir prophezeit hat? Vielleicht soll ich doch lieber umkehren und zur Höhle fliegen und den Rest meiner Tage als Herrscherin der Zwerge verbringen, die so treu zu mir halten?... Das wäre wohl ein ruhiges Leben. Aber nein, ich muß mein Schicksal bis zur Neige auskosten!..." Trotz und Grimm trieben Arachna neuen, vielleicht noch gefährlicheren Abenteuern entgegen. Sie fand im Walde eine Lichtung, auf die sie mit dem Teppich niederging, wrang die nassen Kleider aus und trocknete sie über einem Feuer. Dann wälzte sie sich die ganze Nacht schlaflos auf der harten Erde. Der vor Angst zitternde Ruf Bilan bedauerte jetzt, sich mit Arachna eingelassen zu haben. „Mit ihr", sagte er sich, komme ich nicht zu Reichtum und Ehren. Allem Anschein nach werde ich am Galgen verrecken." Als er zu fliehen versuchte, erwachte Arachna und fuhr ihn so barsch an, daß ihm das Blut in den Adern gerann.

„Wenn das noch einmal vorkommt, schlag ich dich tot!" knirschte die Hexe. Der Teppich erhob sich wieder in die Luft, und sie flogen weiter. Um die Mittagszeit zeigte sich das Land der Unterirdischen Erzgräber. Natürlich war man dort über das Vorhaben Arachnas bereits unterrichtet und auf einen Überfall vorbereitet. Frauen, Kinder und Greise hatten Verstecke aufgesucht, während die Männer zu ihren Schwertern und Dolchen griffen. Für die Riesin waren diese Waffen freilich nicht gefährlicher als Zahnstocher, doch die Erzgräber hatten auch für andere Überraschungen gesorgt. Vor allen Dingen hatten sie das Dorf mit Sechsfüßern umstellt. Allerdings reichten diese Tiere der Zauberin nur bis an die Knie, doch wenn ein wilder Rudel dieser Ungetümer mit ihren mächtigen Hauern und scharfen Krallen über sie herfiele, würde es ihr bestimmt nicht gut ergehen.

„Ich will nicht zu anspruchsvoll sein und mich mit dem Titel einer Herrscherin der unterirdischen Erzgräber zufriedengehen, den Tribut erlasse ich ihnen", sagte die Hexe zu Ruf Bilan.

Nach den Niederlagen, die sie erlitten hatte, waren die Ansprüche der Hexe viel bescheidener geworden. Auf ihren Befehl begann der Teppich über dem Dorf zu kreisen, denn sie wollte auskundschaften, ob die Erzgräber nicht noch andere Kampfmittel besaßen. Als sie einen Palmhain überflog, schoß aus den Bäumen ein schuppiger eimergroßer Kopf hervor, und es tat sich ein Rachen voller Zähne auf, der einen Zipfel des Teppichs schnappte. Dabei neigte sich der Teppich zur Seite, so daß Arachna fast das Gleichgewicht verlor und Bilan bis an den Rand des Teppichs rollte. Er wäre bestimmt abgestürzt, hätte die Hexe ihn nicht rechtzeitig mit ihrer riesigen Pranke gepackt und festgehalten. Es entspann sich ein Kampf zwischen der Hexe und dem Drachen. Arachna befahl mit gellender Stimme dem Teppich, hochzufliegen, doch Oicho, der Drachen, zerrte ihn verbissen herunter. Da das geflügelte Ungeheuer sehr kräftig war, begann der Teppich abzusinken. Schon streckte der Drache seine mächtige Tatze aus, um ihn zu umklammern, doch in diesem Augenblick riß der Teppich, und ein großes Stück löste sich von ihm los und blieb in den Zähnen des Drachen. Oichos Kopf tauchte mit dem abgerissenen Zipfel im Hain unter, während der Rest des Teppichs sich sonderbar zu bauschen begann und dann mit seinen Insassen wieder hochflatterte. Wir wollen hier gleich erzählen, was später mit dem Zipfel des Zauberteppichs im Land der Unterirdischen Erzgräber geschah. Er hatte sich einen der Größe angemessenen Teil der Auftriebkraft erhalten, die ausreichte, um einen Menschen in der Luft zu tragen. Die Erzgräber reinigten das Stück Teppich, stopften und besäumten es, und als dies geschehen war, benutzte es der Herrscher des Landes, Ruschero, für Geschäftsreisen. Einmal flog er mit dem Zipfel sogar zu seinem Freund Prem Kokus, dem Herrscher des Landes der Käuer.

Nach dem Gefecht mit Oicho knirschte die Hexe: „Mir reicht's! Jetzt sehe ich, wie recht Urfin hatte! Die Völker hängen an ihrer Freiheit, sie wollen nicht auf sie verzichten..." Und sie befahl dem Teppich: „Fliege zurück! Zur Höhle!"

Ruf Bilan aber lispelte: „Gnädige Herrin, noch waren wir nicht bei den Käuern! Ich versichere Euch: Ihr braucht Euch nur zu zeigen, und sie werden sich auf der Stelle unterwerfen. Das sind die schüchternsten und friedlichsten Menschen auf der Welt, sie fürchten sich schrecklich vor jeder Waffe. Schon der Anblick eines Küchenmessers läßt sie erbeben. Fliegen wir zu den Käuern, Herrin!"