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„Schön, ich will das letzte Mal auf deinen Rat hören", erwiderte die Hexe finster. „Teppich, du sollst uns jetzt zu den Käuern tragen!" Die Käuer waren in der Tat schüchterne und friedliche Menschen, und man durfte annehmen, daß sie es niemals wagen würden, sich in einen Kampf mit der mächtigen Zauberin einzulassen. Doch sie fanden ein anderes Mittel, um sich ihrer zu erwehren. Die Vogelstafette hatte sie längst von der Absicht der Hexe unterrichtet, und sie verbargen sich in den dichten Wäldern und Erdhütten, deren es viele in ihrem Lande gab. Schon ein Jahr zuvor, als sie sich auf den Überfall der Marranen vorbereiteten, hatten sie in den Wäldern geräumige Unterstände gebaut, in denen sie jetzt mit ihren Familien und ihrem Vieh Zuflucht fanden. Als die Hexe auf ihrem heftig schlingernden Teppich schließlich das Blaue Land erreichte und mit ihrem Diener in den hübschen freundlichen Dörfern der Käuer zu stöbern begann, fand sie kein Lebewesen und auch nichts Eßbares vor. Nur in einer Hütte gewahrte sie einen zurückgelassenen Kater, den sie wütend am Schwanz packte und mit solcher Wucht gegen einen Baum schmetterte, daß von dem armen Tier nichts übrigblieb.

„Du hast dasselbe verdient, verdammter Lügner!" fauchte sie den schlotternden Ruf Bilan an. „Es wird den Einwohnern des Zauberlandes eine Freude sein, sich einer so mächtigen Gebieterin wie Euch zu unterwerfen! Haha!" wiederholte sie höhnisch die Worte, die der Verräter einmal gesagt hatte. „Wo ist nun diese Freude geblieben, sag, wo ist sie! Ich sehe keine Spur davon!"

Bei diesen Worten vergingen dem Knirps Hören und Sehen, und er zitterte wie Espenlaub. Als die beiden mit dem Teppich wieder aufstiegen, glitten unter ihnen langsam in Nebel gehüllte Felder und Wälder dahin.

SCHWERE TAGE DES ZAUDERLANDES

DER GELBE NEBEL

Mit Ach und Krach schaffte der beschädigte Teppich den Rest des Weges zur Höhle. Beim Anblick der zu ihrem Empfang herbeigeeilten Zwerge befahl die Hexe barsch: „Essen her! Gebratene Ochsen! Aber dalli!" Über drei Feuern wurden Ochsen gebraten, die einer nach dem anderen im Rachen der Riesin verschwanden. Die Köche fielen vor Müdigkeit fast um, als die Hexe vom Tisch aufstand. „Jetzt will ich schlafen", brummte sie.

Doch bevor sie sich hinlegte, befahl Arachna den Zwergen, ihr ein Paar neue Schuhe zu nähen. Kastaglio, der Chronist, war sehr neugierig, wo die Schuhe der Herrin geblieben waren, doch er wagte es nicht, sie danach zu fragen. Seine Neugier befriedigte Ruf Bilan. Der klatschsüchtige Verräter konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Geschichte der traurigen Abenteuer Arachnas wiederzugeben. Kastaglio trug sie in den letzten, unabgeschlossenen Band der Chronik ein, und dadurch sind die damit zusammenhängenden Begebenheiten auch uns bekannt geworden. Kaum hatte sich die Zauberin hingelegt, da versank sie auch schon in einen tiefen Schlaf. Drei Wochen hintereinander schlief sie, und die Zwerge hofften schon, ihr Schlaf werde wieder viele Jahre dauern. Die kleinen Menschlein wagten es jedoch nicht, den Befehl der Gebieterin zu mißachten, und nähten ihr ein Paar neue Schuhe. Das war keine leichte Aufgabe! Zur Erfüllung des Auftrags waren die Häute von Hundert Ochsen notwendig, die sich in den Vorratsspeichern des vorsorglichen kleinen Volkes fanden. Man nahm das Fußmaß der schlafenden Hexe, und dreißig Schuster begannen auf der Wiese vor der Höhle die Schuhe zuzuschneiden, während zehn Gehilfen den Zwirn drehten und pechten. Die Sohlen schafften die Schuster mit Leichtigkeit, doch die Oberteile bereiteten ihnen viel Mühe, und erst als Leitern herangeschafft wurden, ging ihnen die Arbeit etwas schneller von der Hand. Beim Nähen der Schuhe wurden vierhundertsiebzehn Knäuel Zwirn verbraucht und siebenhundertvierundfünfzig Ahlen zerbrochen, denn das Leder war dick, und man mußte in einer unbequemen Lage arbeiten. Das alles kostete viel Schweiß, doch als Arachna erwachte, standen die riesigen Schuhe fertig vor ihr. Die Hexe zog sie an und war zufrieden, sie mußte zugeben, daß es gediegene Arbeit von Handwerkern war, die ihr Fach beherrschten.

„Bringt mir das Essen!" befahl sie.

Als sie satt war, legte sie sich in die Sonne und dachte nach, wie sie sich an den Menschen rächen könnte. „Nehmen wir an, ich versuche, ihnen ein markiges Erdbeben zu bescheren", überlegte Arachna. Das wird mir wahrscheinlich nicht gelingen. Wenn ich nicht einmal das Marranental gehörig durchschütteln konnte, wie sollten mir die Kräfte für das ganze Zauberland reichen? Vielleicht soll ich Heuschrecken auf sie hetzen? Vor meinem langjährigen Schlaf pflegte mir das zu gelingen. Die Heuschrecken werden das Korn auf den Feldern, das Gras auf den Wiesen und die Früchte in den Obstgärten auffressen... Aber was wird dann geschehen? Das Vieh wird vor Hunger krepieren, und ich selbst werde dann nichts zu essen haben. Nein, das kommt nicht in Frage! Was habe ich noch auf Lager? Aha, die Überschwemmung. Damit werde ich sie schon kleinkriegen! Wenn es drei Wochen unaufhörlich gießt, die Flüsse aus den Ufern treten und die Menschen auf die Dächer flüchten, um sich vor der Flut zu retten, ja, dann werden sie heulen!" Doch im selben Augenblick beschlichen sie Zweifeclass="underline" „Schön, sie werden heulen, doch was hab ich davon? Sie werden nicht glauben, daß ich ihnen das Hochwasser geschickt habe, sondern sagen: Die Natur! Das kommt von der Natur! Und niemand wird es ihnen ausreden können!" Arachna lag lange da und zerbrach sich den Kopf, dann sprang sie plötzlich auf und stieß einen Freudenschrei aus: „Ich hab's! Der Gelbe Nebel! Das wird für sie eine Bescherung sein! Oh, der Gelbe Nebel! Ich entsinne mich, wie meine Mutter Karena die stolzen Taureken mit dem Gelben Nebel kleingekriegt hat. Nur zwei Wochen hielten sie es aus, dann kamen sie voller Demut und unterwarfen sich ihr. Ja, der Gelbe Nebel ist wohl das Richtige! Ich kann ihn hervorrufen und nach Belieben wieder abstellen, also werden alle Menschen verstehen, daß die Zauberei von mir ausgeht... Vor allen Dingen aber hat es diesen Nebel noch nie im Zauberland gegeben, und er wird für die Menschen und für die Tiere eine schreckliche Neuheit sein!"

Die Hexe ging in die Höhle zurück, jagte die Zwerge hinaus, damit sie sie nicht beobachten konnten, und nahm aus einem Geheimfach das Beschwörungsbuch. Obwohl inzwischen Jahrtausende vergangen waren, hatte sich das Buch, das auf Pergament geschrieben war, gut erhalten. Arachna blätterte eine Weile, bis sie die Seite fand, die sie suchte. „Paß auf", sagte sie zu dem Buch, „ich warne dich: Du hast meinen Befehl zu erfüllen, wenn ich sage: Eins, zwei, drei! Aber merke dir: Der Gelbe Nebel darf nicht in die Besitzungen Willinas und Stellas eindringen. Ich möchte mich mit diesen Angeberinnen nicht einlassen, denn niemand weiß, was für Zaubereien sie noch vorrätig haben und womit sie es mir vergelten könnten. Zum zweiten: Der Gelbe Nebel darf sich nicht auf die Umgebung meiner Höhle, über meine Felder und Obsthaine oder über die Wiesen ausbreiten, auf denen meine Herden weiden. Und nun höre: Uburru-kuruburru, tandarra-andabarra, faradon-garabodon, schabarra-scharabara, erscheine, Gelber Nebel, über dem Zauberland, eins, zwei, drei!" Kaum hatte sie die letzten Worte ausgesprochen, da hüllte auch schon ein seltsamer gelber Nebel das ganze Zauberland, mit Ausnahme der Besitzungen Willinas, Stellas und Arachnas, ein. Der Nebel war nicht sehr dicht, man konnte durch ihn hindurch die Sonne sehen, doch schien sie jetzt wie eine große, fahle rote Scheibe, so, wie sie gewöhnlich vor dem Untergang schien, und man konnte auf sie schauen, ohne die Augen schließen zu müssen. Der Leser wird vielleicht meinen, der Gelbe Nebel sei kein sehr großes Unglück für das Zauberland gewesen, doch er gedulde sich eine Weile, denn aus der folgenden wahrheitsgetreuen Geschichte wird er erfahren, was dieser Nebel alles angerichtet hat. Fangen wir damit an, daß der Zauberfernseher im Palast des Scheuchs zu funktionieren aufhörte. Durch ihn hatten der Herrscher der Smaragdeninsel und seine Freunde die Mißerfolge Arachnas ständig beobachten können. Sie hatten gesehen, wie der schlaue Drache ein großes Stück des fliegenden Teppichs abgerissen hatte und wie der Teppich nachher nur noch wie ein weicher Lappen in der Luft flatterte. Sie hatten lachend zugeschaut, als Ruf Bilan in den von den Käuern verlassenen Dörfern nach etwas Eßbarem stöberte und jedes Mal mit leeren Händen zu seiner Herrin zurückkehrte. Die Art, wie die Hexe den armen Kater fertigmachte, hatte den Scheuch und seine Freunde vor Zorn erbeben lassen, und als sie später Arachna beim Gelage zusahen, bogen sie sich vor Lachen. „So eine Freßgier!" riefen sie, als ein Ochse nach dem anderen vom Tisch in den unermeßlichen Magen Arachnas wanderte. Mit Staunen hatten sie beobachtet, wie die Zwerge die gewaltigen Schuhe für Arachna nähten, und sie hatten das Geschick und den Fleiß der kleinen Menschlein bewundert. Der Scheuch und seine Gefährten ließen sich vom Zauberkasten auch zeigen, was im Marranental und im Land der Zwinkerer geschah. Sie hatten gesehen, daß nach dem Sieg über die böse Hexe alles wieder in Ordnung kam und jedermann erneut seinen Geschäfen nachgehen konnte. Und plötzlich war von alldem nichts mehr zu sehen: Der Bildschirm zeigte nur noch einen flatternden trüben Nebelvorhang. Die Kontrolle über die Handlungen des Feindes war verloren, und niemand konnte voraussagen, was Arachna jetzt unternehmen werde.