Die Mitglieder des Stabes schwiegen betroffen. Der Botschafter aber sagte herablassend:
„Ich verstehe, daß auch dieser Beweis euch unglaubwürdig scheint. Nun denn, ich habe noch einen anderen vorbereitet, der euch völlig überzeugen soll. Es ist jetzt ein paar Minuten vor zwölf, stimmt's?" fragte er. „Die Sonnenuhr funktioniert nicht, weil die Sonne keinen Schatten wirft", erwiderte Faramant. „Aber du hast recht, es ist wirklich bald zwölf." „Also höret, Eure Exzellenz und alle anderen Anwesenden", sagte Ruf Bilan triumphierend. „Punkt zwölf wird die Zauberin Arachna den Gelben Nebel auflösen, und ihr werdet wieder die helle Sonne am blauen Himmel sehen. Dieses Bild wird genau fünf Minuten dauern! Ich meine, das reicht, um euch von der Richtigkeit meiner Worte zu überzeugen. Danach will ich euch die Bedingungen mitteilen, zu denen Frau Arachna bereit ist, euch für immer vom Gelben Nebel zu befreien." Es vergingen einige Minuten qualvollen Wartens. Plötzlich erfüllte blendendes Licht den Thronsaal, und dieses Licht war so grell, daß Din Gior und Kaggi-Karr die Augen zukneifen mußten. Nur der Scheuch mit seinen aufgemalten Augen und Faramant sowie Ruf Bilan, die grüne Brillen trugen, konnten den plötzlichen Beleuchtungswechsel schmerzlos ertragen. Alles veränderte sich in höchst wunderlicher Weise. Es funkelten plötzlich zahllose Smaragde an den Wänden, an der Decke und in der Lehne des Thronsessels, und wer keine grüne Brille trug, war von diesem ungewöhnlichen Gefunkel wie geblendet. Noch bevor sich die Mitglieder des Stabes von ihrer Überraschung erholten, gab der Scheuch Faramant ein Zeichen und stürzte auf den Fernseher zu. Der Hüter des Tores verstand sofort, was er meinte, und führte den Botschafter hinaus, denn der Feind durfte das Geheimnis des Zauberkastens nicht erfahren. Der Scheuch wischte den beschlagenen Bildschirm ab und leierte die Beschwörung herunter, in der er den Kasten bat, die Zauberin Arachna zu zeigen. Im nächsten Augenblick erschien sie auf dem Schirm. Sie stand am Eingang der Höhle mit dem Zauberbuch in den Händen, und man konnte erraten, daß sie gerade die Beschwörung ausgesprochen hatte, die den Nebel zerstreute. Sie hatte ein triumphierendes Aussehen, zu ihren
Füßen liefen Zwerge hin und her, und in der Nähe lag der fliegende Teppich in der Sonne, um zu trocknen. Jetzt konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß der Gelbe Nebel das Werk Arachnas war. Alle Leute im Saale waren so überrascht, als wäre ein Blitz aus heiterem Himmel niedergegangen. Vom Bildschirm konnte man die Worte der Zauberin hören:
„Kastaglio, guck auf die Uhr, sind die fünf Minuten schon um?" „Ja, die Zeit läuft ab, Herrin", lautete die Antwort. Plötzlich war es, als fiele ein schwarzer Schleier vor den Augen des Scheuchs, Din Giors und der anderen. Das wirkte so bedrückend, daß sie fast in ein Wehgeheul ausbrachen.
„Jetzt seht ihr, wie mächtig meine Herrin ist", sagte Ruf Bilan, den man gerade hereinführte, vergnüglich. „Ihr gehorcht sogar das Sonnenlicht! Und daß der Gelbe Nebel giftig ist, davon habt ihr euch, scheint mir, schon früher überzeugt. Jetzt könnt ihr wählen: Entweder ihr unterwerft euch der mächtigen Arachna, willigt ein, ihr als Sklaven zu dienen, und zahlt ihr den Tribut, den sie euch aufzuerlegen geruht, oder ihr verkümmert in der giftigen Luft und wartet hier, daß euch der Tod ereilt." Der Scheuch und sein Stab bewahrten finsteres Schweigen. Was hätten sie auch sagen können? Der Tod ist schrecklich, aber ein Sklavenleben bestimmt nicht leichter. Allerdings drohte dem Strohmann kein Tod durch Ersticken, doch was würde er anfangen, wenn ihm nur die Holzköpfe als Untertanen blieben? Dann würde er es natürlich vorziehen, einen schnellen Tod im Feuer zu finden. Das stand für ihn fest. Ruf Bilan fuhr fort:
„Frau Arachna fordert keine sofortige Antwort. Sie gibt euch drei Tage zum Nachdenken. In dieser Zeit müßt ihr eine Entscheidung treffen und sie mir mitteilen."
Faramant führte Ruf Bilan zum Stadttor hinaus und nahm ihm die grüne Brille ab. Als es heller vor seinen Augen wurde, lächelte der Botschafter herablassend. Er dachte: „Diese Käuze, machen sich selbst das Leben schwer!"
Ruf Bilan fuhr über den Kanal, ging in einen nahen Hain und wartete auf die Ankunft Arachnas. Der fliegende Teppich war inzwischen so umgenäht worden, daß er seine rechteckige Form zurückerhalten hatte. Zwar war seine Fläche jetzt kleiner, doch dafür flatterte er nicht mehr in der Luft und verlor auch nicht das Gleichgewicht.
Die von Arachna gewährte Bedenkzeit lief ab. Der dritte Tag war angebrochen, und um die Mittagszeit sollte Ruf Bilan nach der Antwort des Scheuchs kommen. Der Gelbe Nebel hing weiter über dem Land, und der Husten, der die Menschen und Tiere schüttelte, wurde immer quälender. Im Palast des Scheuchs fanden ständig Beratungen statt, denen ein jeder, der es wünschte, beiwohnen durfe. Zu den Beratungsteilnehmern gehörten auch Prem Kokus und Ruschero. Einige Tage nach dem Auftauchen des Gelben Nebels hatte der besorgte Ruschero den kleinen fliegenden Teppich bestiegen und sich von ihm in die Residenz Prem Kokus, des Herrschers der Käuer, tragen lassen. Glücklicherweise besaß der Zauberteppich die Fähigkeit, jedes Ziel selbst bei undurchdringlicher Finsternis anzufliegen -sonst wäre Ruschero in dem gelben Dunst, der alles einhüllte, bestimmt vom Weg abgekommen.
Nach einer kurzen Beratung beschlossen die zwei Freunde, den Weisen Scheuch um Rat zu fragen, denn er war das gescheiteste Wesen im Zauberland und besaß ein Gehirn, das von Goodwin, dem Großen und Schrecklichen, selbst stammte. Der Teppich war zwar nicht für zwei Personen bestimmt, doch unter Aufbietung aller Kräfte konnte er Ruschero und Prem Kokus dennoch bis zur Smaragdenstadt befördern. Jetzt standen sie da und zerbrachen sich neben den anderen Ratsmitgliedern den Kopf auf der Suche nach einem Ausweg aus der tragischen Lage, die Arachna geschaffen hatte. Sollte man nachgeben, sich von Arachna zu Sklaven machen lassen und darin einwilligen, daß auch kommende Geschlechter ihre Sklaven werden? Oder sollte man ihren Vorschlag stolz zurückweisen und dadurch das ganze Volk dem Untergang preisgeben? Vor allem würden die unschuldigen Kinder daran glauben müssen, die in der vergifteten Luft am schwersten litten. Faramant schlug vor, so zu tun, als nehme man die Forderung der Hexe an. Auf diese Weise würde man eine Atempause erhalten, in der man nach Mitteln für den Kampf mit Arachna suchen könnte. Andere Ratsmitglieder wieder meinten, die böse Hexe werde sich nicht so leicht übers Ohr hauen lassen. Sie werde, sagten sie, Geiseln fordern, und wenn das Volk sich erhebt, würde sie die Geiseln umbringen. Als der Streit seinen Höhepunkt erreichte, wurde die Tür des Thronsaals plötzlich aufgestoßen, und es stürzten die Doktoren Boril und Robil herein. Der Leser wird sich wahrscheinlich an den rundlichen quicklebendigen Boril und den langaufgeschossenen hageren Robil noch erinnern können - die zwei Doktoren aus dem Land der Unterirdischen Erzgräber, die unzertrennliche Freunde waren, aber immer stritten, ständig übereinander lachten, aber keinen Tag einander missen konnten.
Boril und Robil sahen gar sonderbar aus. Ihre Nasen waren mit Watte verstopft, und vor den Mündern hingen an dünnen Fäden Blätter. Die Doktoren gestikulierten lebhaft und stießen Laute hervor, die niemand verstehen konnte, was an den Blättern lag, die sie am Sprechen hinderten. Plötzlich riß Boril sein Blatt von dem Mund, warf es zornig von sich und schrie: