Material den Palast. Zwischen dem Scheuch, dessen Kopf voll kluger Einfälle war, und Boril entspann sich folgendes Gespräch: „Lieber Doktor, wir werden Tausende und aber Tausende Menschen vor Krankheit schützen, doch was fangen wir mit den Tieren an? Sollen wir zuschauen, wie sie draufgehen?"
„Auf keinen Fall, Exzellenz!" ereiferte sich Boril. „Allerdings weiß ich noch nicht, wie wir es schaffen, das ist eine sehr schwierige Frage. Die Blätter müssen ihren Nüstern angepaßt werden, mit Fäden jedoch ist hier nichts auszurichten... "
„Können wir sie denn nicht ankleben?" fragte der Scheuch zaghaft. „Eure Exzellenz, das ist ein glänzender Einfall!" Die Augen des Doktors leuchteten vor Entzücken. „Ankleben ist gerade das richtige! Wir werden Stückchen von den Blättern an die Nüstern der Tiere ankleben... Und mit den Vögeln, ich darf es Euch versichern, wird es noch einfacher sein! Wir können es ja gleich ausprobieren! He, Frau Kaggi-Karr, kommen Sie doch für einen Augenblick her!"
Die Krähe, die den Saal noch nicht verlassen hatte, flog auf den Doktor zu. Dieser nahm ein Rafalooblatt, schnitt mit der Schere geschickt zwei kleine Scheiben heraus, nahm aus der kleinen Apotheke, die er stets mit sich trug, ein Fläschchen Klebstoff, betupfte die Ränder der ausgeschnittenen Scheiben und klebte sie geschickt vor die Nasenlöcher des Vogels. Ehe sich's Kaggi-Karr versah, schmückten zwei kleine grüne Filter beide Seiten ihres Schnabels. Diese Vorrichtung sollte ihr von jetzt an sicheren Schutz gegen die giftigen Nebelteilchen bieten.
„Nun, wie gefällt Euch das, meine Liebe?" lachte Boril. „Ich finde, die Klappen schmücken Euch. Guckt doch in den Spiegel!" Alle Anwesenden waren von der Geschicklichkeit des Doktors überrascht. Kaggi-Karr fühlte, wie das Atmen ihr jetzt ganz leicht wurde, und sie dankte dem Doktor überschwenglich.
***
In der Stadt wurden mehrere Arztstellen eröffnet, in denen Doktoren und Krankenschwestern die Menschen, vor allem Kinder und Greise, mit Rafaloofiltern versahen. Natürlich mußten diese Filter beim Essen und Trinken und beim Sprechen abgenommen werden. Für das Essen und Trinken braucht der Mensch jedoch nicht viel Zeit, und was das Sprechen anbetraf, rieten die Ärzte, es auf ein Mindestmaß einzuschränken. Einige Klatschbasen waren davon nicht gerade entzückt, doch sie mußten sich dreinfinden. Dafür aber wurde die Gesundheit der Einwohner mit jedem Tag besser, und sie lobten und priesen die einfallsreichen Doktoren Boril
und Robil. Auf Weisung des Scheuchs wurden Säcke mit Rafalooblättern an die Zwinkerer und in das Tal der Marranen geschickt. Auch an Urfin Juice dachte der Scheuch. Für seine Opferbereitschaft hatte er es verdient, vor dem Verderben gerettet zu werden. Da er kein Mittel gegen den schrecklichen Nebel wußte, war anzunehmen, daß er in seiner Abgeschiedenheit am Nebel ersticken würde, wenn man ihm nicht half. Auf Verfügung des Scheuchs machte sich der hölzerne Bote Rellem, der keine Müdigkeit kannte und gegen jedes Gift gefeit war, sofort auf den Weg. Mit einer Tasche, in der sich ein Päckchen Rafalooblätter, eine Anweisung für ihren Gebrauch und ein Fläschchen Klebstoff für die Eule befanden, lief er Tag und Nacht in Richtung der Weltumspannenden Berge. Außerdem sollte der Bote dem Tischler einen auf Bitten des Scheuchs von Faramant geschriebenen Brief überbringen, der ihn in die Smaragdenstadt einlud. In dem Brief, den der Hüter des Tores abgefaßt hatte, stand: „Allein kann ein Mensch Unheil nicht bekämpfen. Bei uns, unter Euren Mitmenschen, werdet Ihr Hilfe und Beistand finden. Was Eure Schuld vor den Einwohnern des Zauberlandes betrifft, könnt Ihr unbesorgt sein, denn diese ist vergessen und verziehen. Wir wissen, wie edel und unerschrocken Ihr Euch bei der Begegnung mit Arachna verhalten habt, wir wissen, daß Ihr es abgelehnt habt, in ihren Dienst zu treten... Leider können wir Euch nicht verraten, wie wir das erfahren haben. Denn das ist unser Kriegsgeheimnis..."
Als erste kehrten die Holzköpfe aus dem Violetten Land zurück. Der Eiserne Holzfäller, sagten sie, sende seinen herzlichen Dank für das unschätzbare Mittel zur Bekämpfung des Hustens. Man habe es sofort unter die Bevölkerung verteilt, und es werde schon angewandt. Er selbst brauche allerdings das Mittel nicht, doch von den giftigen Tröpfchen des Gelben Nebels seien seine eisernen Gelenke überraschend schnell gerostet. Damit sie nicht knarrten und damit sich seine Kiefern bewegten, müsse der Holzfäller sie zweimal täglich ölen, am Morgen und am Abend. Wenige Tage später kehrte der zweite Trupp Holzköpfe aus dem Land der Marranen zurück. Er brachte die überraschende Nachricht, daß er das Tal völlig leer vorgefunden habe. Kein Mensch und kein Tier waren zu sehen gewesen. Die hölzernen Menschen hatten bereits geglaubt, die Bevölkerung sei ausgestorben. Doch als sie keine Leichen vorfanden, wurden sie stutzig. Der Führer des Trupps, Giton, scheute nicht die Mühe, mehrere Meilen nach Nordost zu gehen. Er kam, berichtete er, aus dem Nebel heraus und erblickte plötzlich eine strahlende Sonne und einen heiteren Himmel über sich. Dort begannen nämlich die Besitzungen Stellas, wo es keinen Gelben Nebel gab. Im Rosa Land, sagte Giton, habe er den ganzen Stamm der Springer vorgefunden. Sie hatten bei Stella um Asyl gebeten, und die gute Fee hatte sie allesamt mit ihrem bescheidenen Hab und Gut und ihren
Haustieren gastfreundlich aufgenommen (die wilden Tiere und die Vögel des Waldes brauchten natürlich keine Erlaubnis dafür!). Viele Marranen hatten bei den Schwätzern (so hießen die Untertanen Stellas) Unterkunft gefunden, und wer keinen Platz fand, richtete sich in Laubhütten und Zelten ein. Auch die Führer der Marranen übermittelten dem Scheuch ihre Grüße und ihren aufrichtigen Dank. Die Rafalooblätter und die Gebrauchsanweisung hatten sie für alle Fälle behalten, denn man konnte nicht wissen, was die Arachna noch im Schilde führte. Schließlich traf auch der schnellfüßige Rellem mit einem Brief von Urfin Juice ein. Der gestürzte König schrieb, er sei hocherfreut über die Nachricht, daß die Menschen ihm alles verziehen, was er ihnen angetan hatte. Er hoffe, stand weiter in dem Brief, sich für ihre Großmut noch dankbar erweisen zu können. Mit feinem Humor erwähnte er das „Kriegsgeheimnis", von dem Faramant ihm geschrieben hatte. Er verstehe natürlich, hieß es in seinem Brief, daß es sich um den Zauberkasten Stellas handle, den ein Junge aus der Großen Welt vor vielen Jahren auf seinen, Urfins, Schädel niedersausen ließ, aber von ihm aus möge das Geheimnis gewahrt bleiben. Was die angebotene Gastfreundschaft betreffe, erwiderte Urfin, falle es ihm noch schwer, den Menschen in die Augen zu schauen, die er einmal unterdrückt und verhöhnt hatte. Es müsse noch Zeit vergehen, bis er diese unangenehme Erinnerung überwinden würde. Gegen den Gelben Nebel habe er ein eigenes Kampfmittel gefunden. In seinem Anwesen stehe ein kleiner Schuppen mit dichten Wänden. Er habe alle Ritzen verschmiert, die Tür mit Kaninchenfellen ausgeschlagen und sich so vom Gelben Nebel, der den Raum füllte, befreit. Er habe, schrieb er, zu diesem Zweck aus Spänen und feuchtem Gras ein Feuer angezündet, das viel Rauch machte. Beim Niederschlagen rissen die Rauchteilchen die Nebeltröpfchen mit und dadurch wurde die Luft im Schuppen rein. Jetzt verbringen er und die Eule Guamoko ihre Tage dort wie in einer belagerten Festung, die sie nur für sehr kurze Zeit verlassen. Er hoffe, schrieb Urfin bescheiden, das von ihm erfundene Mittel zur Bekämpfung des Gelben Nebels könnte auch den Einwohnern der Smaragdenstadt und anderer Länder wenigstens einen kleinen Nutzen bringen. Als Faramant die Botschaft Urfins verlesen hatte, geriet der Scheuch in helle Begeisterung.