Ann und Tim uns den Frieden mit den kriegerischen Marranen gesichert und die Macht des tückischen Urfin endgültig gestürzt haben..." Der Scheuch holte nach der langen, ermüdenden Rede tief Atem und schloß: „Deshalb wiederhole, betone und re-sü-mie-re ich: Nur Ann und Tim werden dem Zauberland Rettung bringen. Sie werden uns lehren, warme Häuser zu bauen und Winterkleider zu nähen. Und vielleicht ... ja vielleicht, wird es ihnen auch gelingen, die böse Arachna zu besiegen!" Die letzten Worte des Scheuchs gingen in stürmischem Beifall unter. Alle Mitglieder des Großen Rats waren von der Macht der Menschen, die jenseits der Berge lebten, so überzeugt, daß ihnen schien, nun seien alle Gefahren überwunden. Blieb nur noch zu überlegen, wie man Ann und Tim benachrichtigen und sie in das Zauberland bringen könnte. Das war eine schwierige Frage, und alle Anwesenden begannen angestrengt nachzudenken. Nach langem Schweigen sagte Ruschero: „Freunde, wir haben nur einen Ausweg. Wir müssen Oicho, den Drachen, nach den Kindern schicken. Er hat Elli und Fred nach Kansas geflogen, er kennt den Weg, und wir dürfen uns auf seine Treue und Klugheit verlassen." Gegen diesen vernünftigen Vorschlag konnte niemand etwas einwenden, alle stimmten dafür, und man ging zu den Einzelheiten über. Es fragte sich nun, ob man lieber einen Brief oder einen Boten schicken sollte. Ein Brief ist schnell geschrieben, doch in einem Brief läßt sich nicht alles sagen, worauf es ankommt, und außerdem haben die Buchstaben auf dem Papier nicht die Überzeugungskraft der lebendigen Sprache. Der Scheuch warf Kaggi-Karr einen Blick zu. Diese verstand und schüttelte den Kopf. „Lieber Freund, ich würde mich gern auf den Weg machen, aber du hast wohl vergessen, daß ich außerhalb der Grenzen des Zauberlandes nicht imstande bin, wie ein Mensch zu sprechen. Was nutzt aber ein Bote, der nicht sprechen kann? Wir müssen einen Menschen hinschicken." Es wurden zwei Namen genannt: Faramant und Lestar. Beide kannte Ann, beide konnten sprechen und taten es gerne. Den Mechaniker konnte man aber jetzt in der Zauberstadt nicht missen, war er doch gerade dabei, Zentralheizung im Palast zu installieren. Man einigte sich, Faramant nach Ann und Tim zu schicken. Der Hüter des Tores nahm den Auftrag an. Zwar war ihm bange vor einer solch weiten Reise, dazu noch in der Luft und auf dem Rücken eines Drachen. Andererseits schien ihm aber verlockend, als einziger unter Dutzenden Tausenden Einwohnern des Zauberlandes die Große Welt zu besuchen. Man durfte keine Zeit verlieren, denn mit jedem Tag rückte der Winter näher, eine hierzulande unbekannte und schreckliche Naturerscheinung, die seit vielen Jahrhunderten zum erstenmal das Zauberland bedrohte. Oicho hielt sich wie die anderen Drachen in der Höhle auf, die Schutz vor dem Gelben Nebel bot. Es hatte keinen Zweck, ihn in die Smaragdenstadt zu rufen, denn, bis er kam, würden mehrere kostbare Tage vergehen. Daß Faramant mit seinen kurzen Beinen den Weg in das Blaue Land zu Fuß zurücklegte, hatte gleichfalls keinen Sinn, denn das würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb fertigten Lestar und seine Gehilfen schnell eine leichte Trage an, die zwei Holzboten auf ihre Schultern nahmen. Schnellfüßig und unermüdlich wie sie waren, konnten sie Faramant in knapp vierzig Stunden zur Höhle bringen, wo die Erzgräber, dem schriftlichen Befehl des Herrschers Ruschero gehorchend, für das Weitere sorgen würden. Kaggi-Karr sagte, sie wolle Faramant begleiten, wogegen niemand Einspruch erhob. Zu zweit würde die Reise immerhin angenehmer sein, sagte sie, und weder die Boten noch der mächtige Drache würden sie, die leichte Kaggi-Karr, als Last empfinden. Schnellen, federnden Schrittes liefen die hölzernen Boten mit der Trage, auf der Faramant es sich bequem gemacht hatte. Ihnen voraus lief ein dritter hölzerner Bote, der in einem fort rief: „Bahn frei! Bahn frei!" An jenen Tagen war es nicht so einfach, auf der gelben Backsteinstraße vorwärtszukommen. Der Weg war vollgestopft mit Herden von Tieren, die in der Höhle Zuflucht zu finden hofften. Sie wußten nicht, ob die Menschen sie einlassen würden, doch sie hatten gehört, daß es dort, unter der Erde, niemals kalt sei. Auf der Straße bewegten sich Hasen, Waschbären und Kaninchen, Antilopen mit stolz gereckten Köpfen, schwer stampfende Bisons und Hirsche. Tiger, Luchse, Hyänen, Wölfe und Füchse trabten am Rande des Weges. Diese wilden Tiere wußten, daß man sie in die Höhle nicht einlassen werde und wollten sich deshalb bis zum Land der guten Fee Willina durchschlagen, wo nach wie vor Sommer war, wie die Vögel erzählten, die lange vor Anbruch der Fröste in den Besitzungen Stellas, Willinas und Arachnas Schutz gefunden hatten. Die böse Hexe schnaubte, als sie sah, wie sich ihre Wiesen und Felder jeden Tag mehr und mehr mit Tieren aus den Nebelgebieten füllten. Aber sie konnte gegen die ungebetenen Gäste nichts unternehmen, weil ihre Zahl bereits gewaltig war. Arachnas Zorn war auch durch den Widerstand der Menschen erregt worden. Der schnelle Sieg, auf den sie gerechnet hatte, blieb aus. Der Gelbe Nebel verrichtete sein schädliches Werk, er fraß die Lungen der Menschen und der Tiere, entzündete ihre Augen, daß die Tränen in Strömen flossen, schwächte ihre Sehkraft... Doch diese schlauen Menschen hatten Mittel zur Bekämpfung des Nebels gefunden. Sie atmeten die Luft durch Rafalooblätter, die die giftigen Tropfen zurückhielten und ihnen den Weg in die Lungen versperrten, und sie schützten ihre Augen mit lederumrandeten Brillen, auf deren Gläser der Nebel niederschlug. Sie reinigten die Luft in ihren Häusern nach dem Verfahren von Urfin Juice, der sich geweigert hatte, in ihren, der mächtigen Arachna, Dienst zu treten, und der sie jetzt an der Ausführung ihrer Pläne hinderte.
Die Menschen bewegten sich auf den in Nebel gehüllten Wegen fast so schnell wie früher, denn alle zwanzig bis dreißig Schritt standen Wegweiser mit Aufschriften. Arachna begriffjetzt, daß die Menschen sich nicht so leicht unterwerfen lassen.
Wie auf Windesflügeln hatten die mechanischen Traber Cäsar und Hannibal den langen Weg vom Violetten Palast zur Farm in Kansas zurückgelegt, und als sie ankamen, stürzten sich Ann und Tim in die Arme ihrer freudestrahlenden Eltern.[7]
Elli, die sich gerade beim Unterricht im College befand, wurde sofort benachrichtigt, und die tapferen Wanderer begannen auszupacken. Ihr Bericht nahm mehrere Tage in Anspruch. Elli bereute es jetzt, die Richter überredet zu haben, Urfin Juice die verdiente harte Strafe zu erlassen und ihn lediglich des Landes zu verweisen.
„Hätte ich gewußt, daß er die Springer betrügen wird... Hätte ich gewußt, daß er die Smaragdenstadt wieder erobern wird!... Ja, hätte ich gewußt...", wiederholte sie traurig. „Es hat doch alles gut geendet", versuchte Ann, sie zu trösten.