Выбрать главу

Die Hexe war in das Land der Käuer gekommen, um sich an dem Anblick der Verwüstung, die sie angerichtet hatte, zu weiden. Den zusammengerollten Zauberteppich unterm Arm, stapfte sie über den gelben Backstein und wieherte vor Entzücken. Als sie den Gelben Nebel über das Zauberland ausbreitete, hatte sie keine Vorstellung davon, wie schrecklich die Folgen sein würden. Die Hexe brach in ein dröhnendes Gelächter aus, das sich im kahlen Wald wie Donner anhörte. Bald blieb jedoch die unheimliche Figur Arachnas zurück, und wieder wurde es unten öde und still. Nach dieser unerwarteten Begegnung war es Charlie Black klar, daß der Kampf mit der bösen Hexe, die so ungeheuer groß war, kein leichter sein würde. Doch der Gedanke schreckte den Einbeinigen Seemann nicht, sondern verstärkte in ihm nur die Entschlossenheit, alle Kräfte aufzubieten, um der Hexe das Handwerk zu legen. „Warte nur, verruchte Bestie!" knurrte der Kapitän. „Wenn ich Tilli-Willi auf dich hetze, wird dir der Schreck in die Glieder fahren, ich schwöre es bei allen Stürmen der östlichen Meere!" „Was sagst du da, Onkel Charlie?" wunderte sich Ann. „Wie soll unser kleines Göttchen die Riesin erschrecken können?" „Du wirst es schon noch sehen, Mädchen, nur etwas Geduld, alles hat seine Zeit!" erwiderte Charlie schmunzelnd.

Am folgenden Morgen ging der Drache auf den Großen Platz der Smaragdenstadt nieder.

DER GROSSE RAT

Die Ankunft Charlie Blacks und seiner jungen Gefährten war für die Einwohner der Smaragdeninsel ein großes Fest. Die Stadt hatte ihre ehemalige Pracht verloren: Schnee bedeckte Dächer und Pflaster, es funkelten keine Smaragde mehr, der Springbrunnen auf dem Platz war versiegt, die leuchtenden Farben der Häuser waren im gelben Dunst verblaßt. Doch die Kunde von der Ankunft des Riesen, die sich mit Windeseile über die ganze Stadt ausbreitete, hatte eine magische Wirkung. Wegen des Frostes, der mit jedem Tag grimmiger wurde, drängten sich die Bürger in Haufen zusammen. Im Palast des Scheuchs, wo Lestar mit Ach und Krach die Zentralheizung installiert hatte, saßen Frauen und Kinder und viele alte Leute zusammengepfercht da. Die Menschen, die im Palast keinen Platz gefunden hatten, drängten sich in die kleineren Gemächer, die sie mit der Wärme ihrer Körper zu erwärmen versuchten. Das Haus verließ man nur, wenn es nicht anders ging, zum Beispiel, wenn man an der Reihe war, Holz zur Heizung des Palastes aus dem Wald zu holen. Dann stülpte man sich alle Kleider über, die man nur hatte. Jetzt aber strömte jung und alt auf die Plätze und Straßen der Stadt. Die Leute warfen die Hüte in die Luft und ließen den Riesen von jenseits der Berge und die beiden tapferen Kinder, die ihn begleiteten, hochleben. Naiv wie sie waren, meinten die Menschen, die Rettung sei bereits da, jetzt werde es ihnen bald besser gehen. Doch bis zur Rettung war es noch weit. Wie ehedem war die Sicht auf einen kleinen Kreis beschränkt, in dem man sich vorsichtig bewegen und jeden Augenblick vor den Wegweisern stehenbleiben mußte, um sich zurechtzufinden. Wie ehedem trugen die Menschen Rafalooblätter vor dem Mund und Brillen mit Lederdichtungen vor den Augen. Am meisten aber litten sie unter dem grimmigen Frost, der durch Mark und Bein ging. Zum Empfang der lieben Gäste hatte der Scheuch den Palast verlassen, und das wurde in der Chronik als ein Zeichen außergewöhnlicher Ehrung vermerkt, die bisher noch kein Herrscher des Smaragdenlandes jemandem erwiesen hatte. Mehr noch: Nachdem der Scheuch Ann in seine schwachen Ärmchen geschlossen und wieder losgelassen hatte, machte er ein paar Tanzschritte und sang dabei:

„E-he-he-ha, Ann ist wieder-wieder-wieder da, e-he-he-hoo!" Diese letztere Begebenheit überging jedoch der Chronist in seinen Aufzeichnungen, offenbar, weil er meinte, die Nachfahren brauchten nicht unbedingt über alle kleinen Schwächen eines so hervorragenden Staatsmannes wie der Weise Scheuch unterrichtet zu werden. Als die Empfangszeremonie beendet war, trat im Thronsaal der Große Rat zu einer erweiterten Sitzung zusammen. Außer den ordentlichen Ratsmitgliedern hatten sich jetzt angesehene Bürger und sogar einige Holzköpfe eingefunden, unter ihnen die Brigadiere Watis und Daruk sowie der ehemalige General der Holzarmee Lan Pirot, der neuerdings Tanzunterricht in einem städtischen Gymnasium erteilte (seit kurzem aber arbeitslos war, weil die Schulen wegen der tragischen Ereignisse geschlossen werden mußten). Der Scheuch eröffnete die Sitzung. Er hielt keine lange Rede, sondern faßte sich kurz, wußten doch alle Anwesenden, was geschehen war. Der Scheuch sagte nur, wer sprechen wolle, möge sich in die Rednerliste eintragen. Als erster ergriff Charlie Black das Wort. „Ich bin kein Redner, sondern ein Mann der Tat", sagte der Einbeinige Seemann, der gewohnheitsmäßig an seiner erloschenen Pfeife sog. „Deshalb will ich konkrete Vorschläge machen. Für den Kampf mit Arachna brauchen wir eine fahrbare Festung, die uns ständigen Schutz vor den Überfällen der Hexe bieten soll und aus der wir nach allen Regeln der Kriegstechnik Ausfälle unternehmen können. Der Bau einer solchen Unterkunft würde jedoch lange dauern und viel Mühe kosten. Das können wir uns jetzt nicht leisten, zumal uns eine andere wichtige Arbeit bevorsteht, auf die ich noch zurückkommen werde. Ich schlage deshalb vor, für unsere Zwecke den Wohnwagen zu benutzen, mit dem Elli seinerzeit in das Zauberland gekommen ist."

Der Vorschlag des Kapitäns wurde einstimmig angenommen. „Diesen Wohnwagen habe ich selbst vor vielen Jahren für meine Schwester Anna und ihren Mann John gebaut", fuhr Charlie fort. „Und ich weiß, daß er noch lange dienen kann. Wir werden ihn mit Rädern versehen, und dann soll die Hexe nur versuchen, der Besatzung etwas anzutun!" Seine Rede wurde mit stürmischem Beifall und Hurraschreien quittiert. Ann und Tim teilten mit, daß sie den Wagen erst im vergangenen Jahr gesehen und in bestem Zustand gefunden hatten. Der Scheuch schob die Sache nicht auf die lange Bank, wie man es manchmal in einigen, sogar sehr geschätzten Einrichtungen tut, sondern gab den Brigadieren Watis und Daruk Order, Arbeiter zu holen und mit ihnen ungesäumt in das Land der Käuer aufzubrechen, um den Wagen von dort zu holen. Lan Pirot, der sich schon geraume Zeit vor Nichtstun langweilte, bot sich als Führer des Trupps an. Die unermüdlichen hölzernen Menschen, sagte er, denen der Gelbe Nebel nichts ausmache, würden Tag und Nacht gehen, und in etwa sechs Tagen würden sie mit dem Wohnwagen zurück sein. Kurz danach brachen Watis, Daruk und Lan Pirot als Führer des kleinen Trupps auf. „Und jetzt zur zweiten Frage", fuhr Charlie Black fort. „Meine Nichte Ann hat erzählt, sie habe den wunderbaren Silberreif, der seinen Besitzer jederzeit unsichtbar machen kann, beim Eisernen Holzfäller zurückgelassen. Diesen Reif brauchen wir jetzt. Mit ihm wird Tim O'Kelli unsichtbar in die Besitzungen Arachnas eindringen und dort alles auskundschaften. Vielleicht wird es ihm auch gelingen, ihr das Buch mit den Beschwörungen zu entwenden und es uns zu bringen. Dann werden wir den giftigen Gelben Nebel im Handumdrehen aus dem Lande schaffen." „Ich habe noch etwas mitzuteilen", sagte der Eiserne Holzfäller, sich erhebend. Er drehte den Trichter, der ihm als Kopfbedeckung diente, verlegen in der Hand und fuhr fort: „Wir selbst hätten den Silberreif zu dem Zweck verwendet, von dem Ihr spracht, doch leider..." „...habt Ihr ihn verloren!" beendete Ann aufspringend den Satz. „Ja, und das tut uns schrecklich leid!" gestand der Holzfäller. „Erlaubt mir zu erzählen, wie es sich zugetragen hat: Meine Köchin Fregosa hatte eine zahme Hindin namens Auna. Einmal setzte Fregosa der Auna scherzhalber den Reif auf und drückte dabei versehentlich auf den Rubinknopf, worauf die Hindin sofort verschwand. Vergeblich hat die arme Frau nach ihr gerufen, vergeblich geschrien, sie solle ihr den Reif zurückgeben, die Hindin kehrte nicht wieder..." Ann brach in Tränen aus und konnte sich trotz aller tröstenden Worte des Scheuchs, des Löwen und des Holzfällers lange nicht beruhigen, denn sie liebte zu sehr das schöne Geschenk des Fuchskönigs. „Ja, das ist ein großer und schwerer Verlust", sagte gramvoll Charlie Black. „Nur gut, daß ich mich nicht auf den Reif verlassen habe, sondern auch noch ein anderes Mittel zum Kampf mit der Hexe bereit habe. Habt ihr das Blech und die Federn vom Rücken Oichos abgeladen?" wandte er sich an Faramant.