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Er rollte den Teppich zusammen und nahm ihn unter den Arm. Die Mäusekönigin, die ihr Köpfchen aus Tims Hemdausschnitt herausstreckte, wies piepsend den Weg, und bald stand der Junge vor dem unterirdischen Gang. Er zündete die Laterne an, die der vorsorgliche Faramant ihm mitgegeben hatte, und stieg den steilen Abhang hinab.

„Gebt bitte acht, Freund Tim", bat Ramina, „daß Ihr meine Untertanen nicht zertretet."

Das war keine überflüssige Mahnung. Im Schein der Laterne erblickte Tim unzählige Scharen von Mäusen, die den Gang füllten. Sie flitzten hin und her, lugten aus Ritzen, hingen wie Trauben an Wänden oder krallten sich an Felsvorsprünge. Sie piepsten und stritten um jedes freie Plätzchen, doch als sie die Königin und ihr Gefolge erblickten, verstummten sie wie auf Befehl. Auf der Hand Tims wie auf einer Tribüne stehend, hielt Ramina eine Ansprache, in der sie kurz über die Ankunft der Rettungsexpedition von jenseits der Berge berichtete. Sie schloß mit den Worten: „Wir müssen den Menschen helfen, der grausamen Arachna das Handwerk zu legen, nur dann werden Licht und Wärme zu uns wiederkehren. Wir müssen alles tun, damit die Hexe den Zauberteppich verliert, sonst wird sie der Vergeltung entgehen, und wir müßten dann bis ans Ende unserer Tage im Gelben Nebel leben." „Eure Majestät, mir ist was eingefallen", wandte sich Tim an Ramina. „Wenn wir so viele Mäuse auf den Teppich nehmen, wie er tragen kann, und mit ihnen zum Schlupfwinkel Arachnas fliegen, werden sie den großen Teppich der Hexe schnell unbrauchbar machen." „Ihr irrt, Freund Tim", entgegnete die Königin. „Mit der Zernagung des Teppichs ist es nicht getan, denn die Zwerge werden die Zauberwolle rasch wieder einsammeln, sie zwirnen und einen neuen Teppich daraus weben. Damit das nicht geschieht, muß er ganz aufgegessen werden, das aber ist nur dann möglich, wenn alle meine Untertanen im Einsatz sind." Tim kratzte sich am Nacken, als er diese Erklärung hörte. „Wenn dem so ist", sagte er, „brechen wir sofort auf." Aber fürchtet Ihr nicht, daß Eure Mäuse umkommen, wenn sie so viel giftigen Nebel atmen werden?" „Das kann passieren, wenn sie eine Woche oder anderthalb durch den Nebel marschieren, wir aber werden die Besitzungen Arachnas viel früher erreichen." Ramina hatte eben immer eine Antwort bereit. Tims Befürchtungen, auf dem Marsch werde keine Ordnung herrschen, erwiesen sich als unbegründet. Die Mäusearmee war sehr gut organisiert. Sie bestand aus Divisionen, die sich in Regimenter unterteilten, diese wieder in Bataillone, welche sich in Kompanien gliederten, die aus Zügen bestanden. Jede Abteilung wurde von einer erfahrenen und verdienten Maus im Range eines Leutnants, Hauptmanns oder Obersten geführt, deren Befehle man genau befolgte. Der Armeestab bestimmte die Marschordnung der Divisionen und Regimenter, und Verbindungsmänner gaben die Weisungen an alle Unterabteilungen weiter. Tim, in dessen Hemdausschnitt und Taschen die Königin und der Armeestab saßen, ging an der Spitze, ihm folgten die Adjutanten und Verbindungsmänner. Der Junge zweifelte, ob er im Nebel den Weg finden würde, doch Ramina beruhigte ihn: „Eine Fee kann sich in den Feldern und Wäldern ihrer Heimat nicht verirren. Wenn Ihr vom richtigen Weg abkommt, werde ich es sofort merken und Euch sagen."

Bis zum Abend bewegte sich die Armee in strenger Ordnung, Kompanie auf Kompanie, Regiment auf Regiment. Tim war zum Umfallen müde, als Ramina an einem Weizenfeld das Haltezeichen gab. Die Mäuse verstreuten sich über das Feld und begannen mit ihren scharfen Zähnen die welken und runzligen Körner zu zermalmen. Tim verschlang sein Abendbrot und schlief, in den Zauberteppich eingerollt, sofort ein. Am Morgen, als die feuerrote Sonne aus dem Nebel lugte, brach man auf. Der zweite Marschtag war schwerer als der erste. Oft versperrten breite Wildbäche den Weg. Dann fällte Tim mit seiner Axt ein paar Bäume, die er so umlegte, daß sie die Ufer verbanden. Auf diese Weise überwanden die Mäuse schnell das Hindernis und ordneten sich auf dem anderen Ufer wieder in Kolonnen. In Raminas Armee herrschte eben strenge Disziplin. Am dritten Tag brach, als alles noch schlief, ein Schneegestöber aus. Eisiger Wind fegte über das Tal und trieb weiße Flockenwirbel hoch. Ein Schneegestöber im Zauberland! Noch vor einem Monat hätte das niemand im Reich des ewigen Sommers für möglich gehalten! Wer hätte sich auch einen so heulenden Wind vorstellen können, der die Sträucher zur Erde bog, Zweige von den, Bäumen riß und Legionen von Mäusen schüttelte? Von einem Verbleiben am Übernachtungsort konnte keine Rede sein, wenn man nicht erfrieren wollte, und Ramina gab den Befehl zum Aufbruch. Die Verbindungsmänner wateten mit erhobenen Schwänzchen durch den Schnee, um den Befehl an die Abteilungen weiterzugeben. Züge und Kompanien sammelten sich, gegen den Wind ankämpfend, zu Marschkolonnen. Tim O'Kelli schritt an der Spitze dieser wunderbaren grauen Armee. Er hatte seinen Rücken mit dem Zauberteppich zugedeckt und die Brille aufgesetzt, an der jetzt Schnee klebte. Er dachte bei sich: "Würde meine Mutter nur sehen, wie ich das Versprechen halte, mich im Zauberland vor Gefahren in acht zu nehmen... "

Ramina, mit ihrem unfehlbaren Orientierungssinn, wies dem Jungen die Richtung. Wie viel Gepieps und Getümmel herrschte in den unübersehbaren Kolonnen der kleinen grauen Tierchen und wie viele Heldentaten wurden hier vollbracht! Da fiel eine alte Maus in ein Loch, das wegen des Schnees nicht zu sehen gewesen war. Sofort sprangen mehrere Nachbarinnen aus dem Zug und hielten ihr die Pfötchen und Schwänzchen hin, an die geklammert, sie sich wieder hervorarbeitete. An anderer Stelle stützten zwei große kräftige Mäuse von beiden Seiten eine ermattete junge Maus und munterten sie zum Weitergehen auf. Am schwersten hatten es die Adjutanten und Verbindungsmänner. Sie flitzten hin und her zwischen den Kolonnen, sammelten Zurückgebliebene und führten sie zu ihren Einheiten zurück. Man hätte sie um ihren Opfermut und ihre Tapferkeit beneiden können! Ein Verbindungsmann rettete ein ganzes Bataillon, das vom Weg abgekommen und in eine steile Schlucht geraten war. Er fand einen Weg aus der Schlucht und geleitete das Bataillon zurück zu seinem Verband. Ein Adjutant, sein Name war Zerrissenes Ohr, trug eine ganze Meile lang auf seinem Rücken das Mäuschen Schwarzfell, das sich an einem spitzen Ast gestochen hatte, bis er Tim einholte und ihm die Verwundete übergab. Das war nicht die einzige Maus, die sich jetzt in der Obhut des Jungen befand. In seinen Taschen lagen unzählige verwundete, entkräfete und halberfrorene graue Tierchen. Viele ruhten in seinem Hemdausschnitt, auf den Schultern, auf der Mütze und in seinen Ärmeln... Der erbitterte Kampf gegen Frost und Sturm dauerte mehrere Stunden. Da und dort lichteten sich die Reihen der Mäusearmee, und wer weiß, was noch geschehen wäre, hätte sich der Wind nicht gelegt. Danach wurde es etwas wärmer, und am Himmel kam eine glühendrote Sonne zum Vorschein. Die Königin befahl zu halten und ein Lager für die Nacht aufzuschlagen. Sie ließ die Bataillone zum Appell antreten, wobei sich herausstellte, daß die Armee an Erfrorenen und Vermißten 785 Mann, darunter auch Kommandeure, verloren hatte. Das war eine mäßige Zahl für ein vieltausendköpfiges Heer, doch wenn sich das wiederholte, konnte es schlimme Folgen haben. Am vierten Marschtag verschlechterte sich der Weg erheblich. Das Gelände war jetzt bergig, und die Mäuse konnten sich nicht so schnell bewegen, wie in der Ebene. Sie mußten sich jedoch beeilen, denn vom Erfolg ihres Unternehmens hing das Schicksal des Landes ab. Es galt vor allem, die Fahrgeschwindigkeit des Wohnwagens mit der Marschgeschwindigkeit der Armee abzustimmen, damit Charlie Black nicht vor den Mäusen bei der Höhle der bösen Hexe eintraf, denn in diesem Falle würde sie mit dem Teppich fortfliegen, und dann wäre es für die Mäuse wie für den Riesen Tilli-Willi sehr schwer, sie wieder aufzuspüren..