Orden des Smaragdensterns auszuzeichnen?! Lieber Freund, verzeiht mir mein Versäumnis und nehmt diese Auszeichnungen..."
Trotz aller (nebenbei gesagt, schwacher) Proteste Charlie Blacks heftete der Herrscher an dessen Matrosenjacke die drei höchsten Orden des Landes, die aus Gold gefertigt und mit Smaragden besetzt waren. Erst danach wurde der für Tilli-Willi bestimmte Orden in seine eiserne Brust geschraubt. „Schade, daß es keinen Spiegel gibt", seufzte der Riese, „ich hätte gerne gewußt, wie so ein Ding auf meiner Brust aussieht..."
Das nächste Hindernis auf dem Wege war ein gewaltiger Steinhaufen, der von einem Bergrutsch herzurühren schien. Arachna hatte viel gearbeitet, bis sie diesen Berg aus riesiger Steinbrocken aufgetürmt hatte.
Das nützte ihr jedoch wenig, denn in drei Stunden räumte TilliWilli alles fort. Etwas später fuhr der Wagen aus den Bergen hinaus und hielt auf einer Ebene, wo man Nachrichten von Ramina abzuwarten beschloß.
Seit einigen Tagen stand die Mäusearmee an der Grenze von Arachnas Besitzungen. Am Tag hielten sich die Mäuse in Erdlöchern verborgen, nachts marschierten sie in geschlossenen Reihen auf die vom giftigen Nebel unberührten Felder der Hexe, um ihren Hunger zu stillen. Jeden Tag beobachteten verborgene Späher, wie die Hexe mit ihrem Teppich davonflog und erst nach Stunden zurückkehrte. Ramina war zweimal beim Riesen von jenseits der Berge gewesen und hatte von ihm erfahren, daß die Kampfhandlungen der Hexe keinen Erfolg hatten. Nachts schlichen sich Kundschafter der Mäusearmee auf geheimen Pfaden an den Schlupfwinkel Arachnas heran und kehrten mit der Meldung zurück, daß der Teppich in der Höhle versteckt und für niemanden erreichbar sei. Es begab sich an einem regnerischen Tag, daß der Teppich sehr naß wurde und man ihn vor der Höhle zum Trocknen ausbreitete, wo er auch in der folgenden Nacht liegen blieb, wie es in der frohen Botschaft hieß, die ein Spähtrupp Ramina überbrachte. Sofort wurden Meldegänger auf die Felder ausgeschickt, wo die Mäuse nach einem hungrigen Tag wieder etwas zu sich nahmen. Der Befehl, den sie verkündeten, lautete: „Alle Abteilungen haben sich zu versammeln und die Stellungen einzunehmen, die in der Disposition angegeben sind!" In weniger als einer halben Stunde waren alle Divisionen und Regimenter marschbereit. In der Finsternis hätte niemand die grauen Fälle der Mäuse von der Erde unterscheiden können.
Von allen Seiten pirschten sich die Regimenter an den Teppich heran. Das Rascheln der winzigen Pfoten und die leisen Befehle, die von Zeit zu Zeit erteilt wurden, waren kaum vernehmbar. Die Teppichwache, zwei alte Zwerge, lag in festem Schlaf da, und auch Arachna schlief, erschöpft von den Anstrengungen des Tages. Tausende und aber Tausende Mäuse verteilten sich über den Zauberteppich, Hunderttausende scharfe Zähnchen bohrten sich in sein Gewebe, daß die Wolle zu knistern begann, und bald zeigten sich auch schon die ersten Löcher. Die Königin hatte ihrem Volk streng befohlen, mit voller Hingabe zu arbeiten und sich nicht darauf zu beschränken, den Teppich zu zernagen. „Jeder Faden muß aufgegessen werden, selbst wenn es noch so widerlich schmeckt!" hieß es im Befehl. „Bis zum Morgen ist die Arbeit abzuschließen, und wo der Teppich war, darf nichts als nackte Erde zurückbleiben!"
Die Mäuse scheuten keine Mühe. Ihre Zugführer paßten auf, daß kein Faden übrigblieb. Wenn eine Maus einen Faden nicht verschlingen konnte, weil er zu lang war, sprang ihr eine andere bei und biß das Stück ab, das jene nicht bewältigen konnte.
Die Wache schnarchte friedlich, während der Teppich sich nach und nach in ein Sieb verwandelte. Mit ihren Pfötchen die prallen Bäuche streichelnd, begannen sich die Mäuse zurückzuziehen, obwohl noch viel Wolle dalag. Die kluge Ramina, die das vorausgesehen hatte, schickte sofort ihre Adjutanten aus, die bald neue Divisionen herbeiholten, welche mit frischen Kräften über die Teppichreste herfielen. Es gab auch komische Bilder, zum Beispiel, wenn zwei Mäuschen von beiden Seiten an einem langen Faden zerrten, bis dieser zerriß, und die Rivalinnen mit zuckenden Pfötchen auf den Rücken fielen. Der Befehl Raminas wurde mit militärischer Pünktlichkeit ausgeführt. Am Morgen war vom Teppich nichts mehr da. Allerdings konnte sich die graue Armee nicht von der Stelle rühren, so sehr waren die Bäuchlein der winzigen Tiere mit Wolle vollgestopft. An diesem Morgen erwachte Arachna früher als sonst. Ihr war, als hätte man sie in die Seite gestoßen, und sie trat aus der Höhle. Sie warf einen Blick dorthin, wo gestern noch der Teppich gelegen hatte, und das Herz stockte ihr, als sie statt der bunten Farben eine graue wogende Masse ohne deutliche Umrisse gewahrte. Vergeblich hielt die Hexe nach den Wachen Ausschau. Diese hatten das Verschwinden des Teppichs längst entdeckt und waren - weil sie nur zu gut wußten, welch schreckliche Strafe ihnen jetzt drohte - geflohen. Arachna machte ein paar Schritte, worauf das graue Tuch in Wallung geriet und seine Form zu verändern begann. „Mäuse!" schrie die Hexe entsetzt. „Mäuse haben den Teppich gefressen!" Sie hätte sich auf diese wogende Masse stürzen und sie zertreten können, aber Arachna fürchtete sich, wie viele andere Frauen auch, vor Mäusen.
Der Leser soll sich darüber nicht wundern, weiß er doch, daß selbst die Elefanten, die Riesen unter den Tieren, sich vor Mäusen fürchten. Die Kater werden mir helfen, dachte Arachna, stürzte in die Höhle, nahm das Zauberbuch und stieß eine Beschwörung aus, die die Kater herbeirief. Damals hatten sich im Lande Arachnas viele wilde Kater angesammelt, die aus den Nachbargebieten vor dem Gelben Nebel geflohen waren. Braune, gestreifte und schwarze Kater, mit Rißnarben und Schrammen, die sie sich in Raufereien geholt hatten, stürzten, die Schwänze gereckt und laut miauend, auf den Ruf der Hexe von allen Seiten herbei. Doch da geschah etwas, wovon die Chronik der Zwerge mit Staunen und Begeisterung erzählt. Die Mäuse wünschten sehnlichst, den Katern zu entrinnen, und weil die Kater von allen Seiten auf sie zukamen, gab es nur einen Rettungsweg: Den Weg in die Luft. Die Bäuche der Mäuse waren mit Wolle vollgepfercht, und weil es Zauberwolle war, hatte sie auch in den Tierbäuchen ihre Auftriebskraft nicht verloren. Wieviel solcher Kraft aber braucht schon eine Maus, um in die Luft aufzusteigen! Die Zauberwolle hörte den gedachten Befehl ihrer neuen Besitzer und hob das unübersehbare Mäuseheer mit der Königin an der Spitze in die Luft empor. So kam es, daß die wilden Kater statt der leckeren Beute einen leeren Platz vorfanden, und, da es niemanden gab, auf den sie sich hätten stürzen können, fielen sie schreiend und fauchend übereinander her. Die Mäuschen aber ruderten hurtig mit ihren Schwänzchen, als wären es Steuer, und während sie sich schnell von der Höhle Arachnas entfernten, piepsten sie munter darauf los und riefen sich gegenseitig ihre Eindrücke von dieser neuen Art der Vorwärtsbewegung zu. Leider hielt dieser Zustand der Mäuse nicht lange an. Nach und nach verwandelten sie sich in einfache irdische Wesen zurück, die auf vier Beinen laufen. Doch die Zauberwolle hatte sich über das ganze Land verstreut, und jetzt konnten sogar die emsigen Zwerge sie nicht wieder einsammeln. So verlor die Hexe ihren Zauberteppich. Nun war ihr völlig klar, daß eine Schlacht mit dem eisernen Riesen, der den Wagen begleitete, nicht mehr zu vermeiden war. Mit dem Zauberteppich hätte sie vor ihm fliehen können, wenn sie es wollte, doch jetzt war sie wie Tilli-Willi an die Erde gekettet. Und wieder mußte sie, wie so oft schon, an die schlimme Prophezeiung Urfin Juices denken... Sie versammelte etwa zwei Dutzend Zwerge, die noch nicht das Weite gesucht hatten, und schickte sie auf Kundschaft aus. Sie sollten herausfinden, sagte Arachna, wo sich die fahrbare Festung befinde und ob sie auch wirklich den Weg eingeschlagen habe, der zur Höhle führt. Unterdessen begann sie eine Waffe zu zimmern, mit der sie dem Riesen entgegentreten wollte. Es war eine gewaltige Keule aus Eichenholz, dessen Festigkeit allgemein bekannt ist.