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EIN NEUER BUNDESGENOSSE

Als Tim mit der Nachricht zurückkehrte, der Teppich Arachnas sei vernichtet, brachen seine Gefährten in ein lautes Jauchzen aus, und selbst die Holzköpfe führten vor Freude einen Tanz auf, der jedoch so plump war, daß Lan Pirot, der von Tanzen immerhin etwas verstand, sich vor Ärger krümmte. „Jetzt wird uns die Hexe nicht entkommen!" sagte der Scheuch selbstgefällig. „Als sie fliegen konnte und wir nicht, konnten wir ihrer nicht habhaft werden. Wir können auch jetzt nicht fliegen, doch auch sie kann es nicht, folglich werden wir ihrer habhaft werden."

Alle stimmten dem Scheuch zu, nur Charlie nicht, der kopfschüttelnd sagte: „Ich fürchte, daß es nicht ganz so ist, wie du sagst. Natürlich sind unsere Siegeschancen gestiegen. Aber unser Knäblein Tilli-Willi entwickelt sich schrecklich schnell, man darf sagen, mit märchenhafter Geschwindigkeit. Ihr habt euch selbst überzeugt, wie er buchstäblich vor unseren Augen immer flinker, schneller und klüger wurde. Trotzdem fürchte ich, daß er, wenn Arachna flieht, sie nicht einholen können wird. Die Hexe hat leichte Beine, sie macht große Sprünge, sie kann die Richtung ihres Laufs blitzschnell ändern. Unser Junge aber ist schwerfällig..." Bei diesen klugen Worten Charlies ließen alle die Köpfe hängen. „Was fangen wir jetzt bloß an, Onkel Charlie?" fragte Ann. „Wir müssen einen Bundesgenossen suchen, der ebenso flink wie Arachna und so stark wie Tilli-Willi ist. Ein solcher Bundesgenosse könnte, meine ich, der Riesenadler sein", erwiderte Charlie. „Der Adler Karfax?" riefen Tim und Ann überrascht. „Ja, ihn habe ich gemeint", bestätigte der Seemann. „Dem Bericht über eure Abenteuer vom vorigen Jahr habe ich entnommen, daß Karfax ein edler Vogel ist, der Lug und Trug nicht duldet. Hat er nicht Urfin Juice verlassen, als er dessen tückische Pläne erriet? Karfax mag die Menschen, er hat euch, ohne daß ihr ihn darum batet, über den Abgrund getragen, der für eure Maulesel unpassierbar war. Ich meine, Karfax wünscht, wie alle anderen Einwohner des Zauberlandes, daß der verhaßte Gelbe Nebel so schnell wie möglich verschwindet." „Das stimmt, jedes deiner Worte stimmt, Kapitän", rief Tim, „ich mache mich sofort zu Karfax auf, um seine Hilfe zu erbitten." Über diese Worte war Ann schrecklich gekränkt. „Nur du, überall nur du", sagte sie verdrießlich. „Die Mäusearmee hast du ins Feld geführt, auf Kundschaft bist du geflogen, wann komm denn endlich ich an die Reihe?" „Weißt du, Ann, ein Flug nach dem Adlertal ist ein gefährliches Unternehmen", mischte sich der Seemann ein. „Mit einem Zauberteppich zu fliegen, ist was ganz anderes, als auf einem Maulesel zu reiten. Ja, übrigens, wer hat den Eltern versprochen, gefährliche Abenteuer zu meiden?"

„Hat denn Tim nicht auch versprochen?" fragte Ann, „oder irre ich mich vielleicht?"

Darauf wußte der Kapitän nichts zu erwidern.

„Ich ziehe mit Karfax, das könnt ihr mir nicht abschlagen!" fuhr Ann fort. „Er wird auf mich eher hören als auf Tim."

„Warum denn?" wunderte sich Tim. „Weil ich eine Frau bin!" sagte Ann stolz. Unter allgemeinem Gelächter wurde die Frage zu Anns Gunsten entschieden. Um auf dem Flug weniger Angst zu haben, nahm das Mädchen Arto mit. Anns Herz krampfte sich zusammen, als der Teppich, ihrem Befehl folgend, in die Luft aufstieg, über Felder und Wälder zog und vor den Bergen die Flughöhe steigerte. Das Mädchen und das Hündchen sprachen sich gegenseitig Mut zu und hatten nicht einmal so große Angst, wie man hätte meinen können. Über den Bergen schien die Sonne viel heller, als im Tal, die Luft war hier reiner, und Ann und Arto fühlten sich wohl. Unter ihrem Teppich zogen viele schneebedeckte Gipfel vorüber, und dem Mädchen fiel auf, daß der Schnee in diesem Jahr viel tiefer in die Täler hinabreichte, als im vergangenen. Das Mädchen erklärte sich diese Erscheinung damit, daß es in den Bergen, wie in allen anderen Gegenden des Zauberlandes, viel kälter geworden war. In der Tiefe der Täler konnte man wegen des Nebels nichts unterscheiden, doch unsere Reisenden waren fest davon überzeugt, daß der Teppich sie ans Ziel bringen werde. Sie hatten sich auch nicht getäuscht. Als Ann vom Teppich stieg, erblickte sie unweit ein Nest, so groß wie ein zweistöckiges Haus, aus dem der gewaltige Kopf eines jungen Adlers lugte. Im nächsten Augenblick erdröhnte die Luft von gewaltigen Flügelschlägen, und auf die Erde ging ein Riesenadler nieder. Es war kein anderer, als Karfax. Überrascht musterte er zunächst den kleinen Gast, doch Karfax hatte ein gutes Gedächtnis und erkannte das Mädchen sofort. „Guten Tag, edler Karfax", sagte Ann knicksend. „Willkommen, Mädchen, in unseren Bergen", krächzte der Adler. „Ich nehme an, du bist in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu mir gekommen, sonst hättest du diesem Lappen dein Leben gewiß nicht anvertraut." Gekränkt über diese Geringschätzung des Teppichs, sagte Ann, für seine Größe sei er hinreichend zuverlässig. „Aber nicht darum handelt es sich", fuhr sie fort. „Mich führt eine dringende Bitte zu Euch. Aber vor allem möchte ich wissen, ob auch ihr Riesenadler den Nebel, der über der Erde hängt, als sehr störend empfindet." „Wie soll ich's dir erklären", erwiderte Karfax nachdenklich. „Hier oben geht es noch, aber in den Tälern ist es jetzt furchtbar schwer, Gemsen und Auerochsen aufzustöbern, und deshalb müssen wir in letzter Zeit oft hungern."

„Dann laßt Euch erzählen, wie das alles gekommen ist!" sagte Ann, und sie erzählte vom langen Schlaf Arachnas, von ihrem Erwachen und davon, wie

die böse Hexe den Gelben Nebel heraufbeschworen hatte, um sich die Völker des Zauberlandes botmäßig zu machen.

„Mein Onkel Charlie Black, mein Freund Tim O'Kelli und ich sind in Euer Land gekommen, weil seine Einwohner uns darum gebeten haben. Wir haben den Kampf gegen Arachna aufgenommen und auch schon einige Erfolge erzielt, doch für den Endsieg fehlen uns die Kräfte. Wenn Ihr uns nicht helft, wird sich der Gelbe Nebel aus dem Zauberland nicht verziehen", schloß das Mädchen, glühend vor Überzeugung. „Wenn ich recht verstehe, ist diese Arachna von der Art des Urfin Juice, der sich im vergangenen Jahr die Marranen unterworfen und sich zu ihrem Herrscher ausgerufen hat, stimmt?"

„Aber nein", wehrte Ann lachend ab. „Im Vergleich zu Arachna ist Urfin nur ein kleines Fischlein, wie mein Onkel Charlie sagt. Selbst als Urfin die Smaragdenstadt erobert hatte, strahlte die Sonne weiter am blauen Himmel. Jetzt aber hat das Zauberland weder Sonne noch Himmel, und wenn sich nichts ändert, wird es bald verkommen. Außerdem kann ich noch sagen, daß Urfin längst nicht mehr Gott und auch nicht König ist, das Volk hat ihn nämlich durchschaut und davongejagt. Ja, er hat sich sogar in einen braven Mann verwandelt, denn er ist nicht in den Dienst der Hexe getreten und hat auch ein Mittel zur Bekämpfung des Gelben-Nebels erfunden." „Das freut mich", sagte Karfax. „Und was Arachna betrifft, bin ich bereit, mich mit ihr zu schlagen, wenn es sein muß."