„Gegen mein Schwert ist dieses Holzstück eine Nichtigkeit, das kann ich bei allen Fockmasten schwören!"
Nachdem sie ergebnislos nach dem Zauberbuch Arachnas gesucht hatte, machte sich die Schar wieder auf den Weg. Das ganze schwere Gepäck blieb auf dem Platz vor der Höhle liegen. Arto lief schnup-pernd voran. Er hatte die Spur der Hexe aufgenommen und folgte ihr so sicher wie ein Mensch, der sich frei auf der Straße einer Stadt bewegt. Lestar und Tilli-Willi hatten es nicht leicht, dem zottigen schwarzen Tier zu folgen, das wie ein Knäuel durch Büsche, mannhohes Gras und Geröll rollte. Deshalb flog Kaggi-Karr über ihren Köpfen und wies ihnen den Weg. In der hintersten Reihe schritten die Holzköpfe und die Menschen, und über ihnen schwang Karfax gleichmäßig seine gewaltigen Flügel. Er trug jetzt niemanden auf dem Rücken, denn es stand ein schwerer Kampf bevor, und er wäre glatt überfordert gewesen, wenn er sich noch um einen Reiter zu kümmern und auf ihn acht zu geben hätte. Alle halbe Stunden prüfe der Scheuch im Fernseher, ob die Hexe noch in ihrem Schlupfwinkel steckte. Arachna war noch da, doch ihr Verhalten wurde immer unruhiger. Sie hielt ihre Augen so starr auf den Himmel gerichtet, daß man befürchten mußte, sie werde den Adler entdecken. Charlie Black gab Karfax durch ein Zeichen zu verstehen, er solle niedriger fliegen, worauf dieser in Tiefflug überging. „Die Spur Arachnas ist jetzt frischer und deutlicher zu erkennen", meldete Arto. „Wir nähern uns ihrem Schlupfwinkel."
Der Weg wurde inzwischen immer schlechter. Viele Schluchten, schmale und breite, unterbrachen ihn. Über die schmalen schlugen die Holzköpfe Brücken aus den mitgenommenen Stämmen, die breiten mußten umgangen werden. Tilli-Willi, der an der Spitze des Zuges schritt, mußte größte Vorsicht beobachten, denn ein winziger Fehltritt hätte genügt, damit er abstürzte und sich schwere Verletzungen zuzog, was den ganzen Feldzug gefährden konnte.
„Wie weit sich diese verdammte Hexe verzogen hat!" ächtze der kurzbeinige Boril, der seinen Gefährten kaum noch folgen konnte. „Bleibt doch zurück, Doktor!" schlug ihm Charlie Black mehrmals vor. „Um nichts in der Welt! Die Medizin muß immer auf ihrem Posten sein!" erwiderte jedes Mal der tapfere kleine Doktor und setzte keuchend und schwitzend den Weg fort. Plötzlich tauchte auf einem Berggipfel die riesige schwarze Figur Arachnas auf, die das Nahen ihrer Feinde entdeckt hatte. Der Zug Charlie Blacks war jetzt Zielscheibe eines schweren Steinbombardements, das die Hexe eröffnete. Mit ihren gewaltigen Händen hob sie riesige Steine auf und schleuderte sie auf weite Entfernung. Beim Aufschlag zerbrachen die Steine, und mächtige Brocken flogen nach allen Seiten. Einer hatte bereits einen Holzkopf getroffen und zerfetzt. Die Steine, die auf Tilli-Willi zuflogen, wurden von ihm geschickt mit dem Schild pariert. Kapitän Black hatte in der Nähe zwei große gegeneinander gelehnte Steinplatten entdeckt, die eine Art Dach bildeten, unter dem er und seine Gefährten Deckung vor dem Steinhagel fanden. Der Seemann sagte: „Wenn Giganten kämpfen, sollen sich Zwerge lieber fernhalten. Unsere Schläge sind für die Riesen nicht mehr, als Mückenstiche." Um das Bild der Schlacht besser verfolgen zu können, hatte sich der Seemann dicht am Ausgang postiert. Er sah, wie Tilli-Willi zäh den Hang erklomm, während die Hexe gewaltige Steine auf ihn hinabwarf. Bangen Herzens beobachtete er, wie die Felsbrocken mit schrecklichem Gedröhn hinabrollten. Sie waren so groß, daß kein Schild sie hätte abwehren können. Wenn ein Brocken auf Tilli-Willi zuflog, wich er geschickt aus, und das Geschoß flog sausend an ihm vorbei.
„Potzdonnerwetter!" schrie plötzlich der Seemann händefuchtelnd: „Endlich ist der Adler in den Kampf getreten!"
Karfax hatte lange auf den richtigen Augenblick gewartet, um wie ein Pfeil niederzugehen und seinen riesigen Schnabel in den Rücken Arachnas zu stoßen, was mit solcher Wucht geschah, daß die Hexe fast umfiel und den Stein fallen ließ, den sie gerade werfen wollte. Mit wutverzerrtem Gesicht drehte sie sich zum neuen Angreifer um, packte die Keule und schwang sie hoch. Trotz seiner gewaltigen Größe war der Adler sehr flink und wich geschickt den Hieben Arachnas aus. Während die Hexe sich des Adlers erwehrte, stapfte Tilli-Willi mit riesigen Schritten den Hang immer höher.
Seine mechanischen Muskeln, die Stahlfedern, ächzten und knarrten vor Anspannung, während Lestar mit seinen kleinen Füßen auf den Kabinenboden trommelte und dem eisernen Ritter Ermunterungen zurief: „Bitte, noch ein Schrittchen. Oh, das war großartig! Bitte noch eins! Das ist famos. Streng dich noch ein kleines bißchen an, mein Kind, bald ist's geschafft"
Der Riese stieg, Drohungen ausstoßend, immer höher. „Blitz und Donner!" grölte er. „Du sollst mich kennenlernen, verdammte Hexe, warte, bald hab ich den Berg bestiegen!" Die Unerbittlichkeit im Gesicht Tilli-Willis und der Zorn, der in seinen schrägen Augen flackerte, flößten Arachna Entsetzen ein. Der eiserne Ritter beschleunigte seinen Schritt. Durch den Einsatz von Karfax in den Kampf gegen Arachna hatte Charlie Black bewiesen, daß er ein hervorragender Kenner der militärischen Kunst war: Für die mächtige Hexe war der Kampf an zwei Fronten kein Honiglecken. Wenn sie sich nach Tilli-Willi umwandte, um ihm einen Felsbrocken zu verpassen, fiel der Adler sie mit Schnabel, Krallen und Flügeln von hinten an. Wandte sie sich wieder Karfax zu, brachte der eiserne Riese unangefochten ein weiteres Stück des Hanges hinter sich. Die Hexe begriff die Aussichtslosigkeit ihrer Lage. „Oh, hätte ich nur den Zauberteppich!" flüsterten ihre Lippen. Mit den Zauberteppich hätte sie dem eisernen Riesen entrinnen können und hätte den Lufkampf nur mit dem Riesenadler allein auszutragen brauchen. In einem solchen Zweikampf hätte sie vielleicht einen Sieg errungen. Doch die Überreste des Teppichs waren jetzt längst über das ganze Land verstreut, und sie mußte den schweren Kampf ohne Teppich ausfechten. Es blieb Arachna nichts übrig, als ihr Heil in der Flucht zu suchen. Durch einen geschickten Keulenhieb betäubte sie Karfax einen Augenblick lang und stürmte in gewaltigen Sätzen den Hang hinab - fort vom unerbittlich nahenden Tilli-Willi. Die Riesenfigur der Hexe verschwand aus dem Blickfeld Charlie Blacks und seiner Gefährten, die die Schlacht aufmerksam verfolgt hatten. Der Seemann packte den kleinen Teppich, den Tim in den Händen hielt, stellte sich auf ihn und befahl ihm, zum Schlachtfeld zu fliegen. Der Zauberteppich zuckte und erhob sich nur wenige Zentimeter über die Erde -der Seemann war eben zu schwer für ihn. Tim, der den Vorgang gespannt beobachtete, sprang auf Charlie Black zu. „Verzeihung, Kapitän", rief er, „den Flug werde wohl ich machen müssen!" „Ja, Junge, du hast eben Schwein!" sagte Black mürrisch und trat Tim den Platz auf dem Teppich ab.