Die Könige, die nach ihrer Regierungszeit jedes Mal ein halbes Jahr schlafen sollten, schlichen nun mit ihren Familien gähnend im Palast umher. Auch die Höflinge, Diener, Soldaten und Spione konnten nicht mehr eingeschläfert werden...
Das arbeitende Volk mußte diesen gefräßigen Haufen ernähren, doch da die vorhandenen Lebensmittel nicht ausreichten, brach eine Hungersnot aus. Gerade damals traf Elli im Unterirdischen Lande ein. „Ein patentes Mädchen, diese Elli, bestimmt eine Fee! Mit der werde ich wohl ein Hühnchen rupfen müssen, wenn sie mir in den Weg tritt!..." murmelte die Hexe.
Elli und ihr Cousin Fred Cunning waren auf dem unterirdischen Fluß mit einem Boot zur Höhle der Sieben Könige gefahren. Ruf Bilan hatte gelogen, als er sagte, Elli könne die Schlafwasserquelle wiederherstellen, deren Versickern so viel Leid über das Unterirdische Land gebracht hatte. Die Könige erklärten, sie würden Elli und ihren Cousin solange gefangen halten, bis das Wasser der Heiligen Quelle wieder da ist. Von einem Eilboten benachrichtigt, zogen der Scheuch, der Holzfäller und der Löwe aus, Elli und Fred Cunning aus der Gefangenschaft zu befreien. Mit ihnen ging der geschickte Mechaniker Lestar, der eine Brigade Holzköpfe mit Pumpen, Bohrern und anderem Werkzeug mitnahm. Sie bohrten einen tiefen Schacht, in den sie Rohre versenkten, die bis zu den wasserführenden Schichten reichten. Als das Schlafwasser wieder hervortrat, wurde den Königen gesagt, das habe Elli durch ihre Zauberkraft bewirkt.
„Ja, so muß es wohl gewesen sein,", murmelte Arachna kopfschüttelnd. Als das Schlafwasser wieder da war, dachte sich der Weise Scheuch einen schlauen Trick aus. Er ließ alle sieben Könige einschläfern, und als sie erwachten, waren sie wie Säuglinge, die sich an nichts erinnern konnten. Dem einen sagte man, er sei früher Weber, dem anderen, er sei Hufschmied, dem dritten, er sei Bauer gewesen usw. Nach einer kurzen Anlernzeit wurden sie es wirklich und führten von nun an ein rechtschaffenes Arbeitsleben. So wurde der Herrschaft der sieben Könige ein Ende gesetzt. Die Unterirdischen Erzgräber zogen in die obere Welt unter die wohltuende Sonne des Zauberlandes, wo sie sich Dörfer bauten, Ackerbau trieben und Vieh züchteten. Beim Lesen dieser Zeilen bekam Arachna schmale Augen, und ihre Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln: „So, so, ihr seid frei geworden? Na, wartet nur, ihr werdet's noch bereuen, die sieben Könige gestürzt zu haben! Dafür will ich sorgen!"
In den letzten Tagen ihres Aufenthalts bei den Erzgräbern sah Elli die Königin der Feldmäuse, Ramina, wieder. Diese prophezeite dem Mädchen, es werde niemals in das Zauberland zurückkehren. Der
Scheuch und die anderen Freunde Ellis waren sehr betrübt, als sie das hörten, und versprachen, das Mädchen aus der Großen Welt, das den Völkern des Zauberlandes so viel Gutes getan hatte, in ewiger Erinnerung zu behalten. Elli und Fred wurden in eine auf dem Rücken des zahmen Drachen Oicho angeschnallte Sänfte gesetzt und flogen nach Kansas in ihre Heimat zurück. Die Hexe fragte den Chronisten:
„Sag, Kastaglio, hat sich die Prophezeiung Rammas bewahrheitet? Ist Elli wirklich nie mehr in das Zauberland zurückgekehrt?" „Lest nur weiter, Herrin", antwortete der Zwerg ausweichend. „In der Chronik ist alles aufgeschrieben."
Arachna vertiefte sich wieder in die Chronik, die jetzt davon erzählte, wie Urfin Juice die langweiligen Jahre in seinem einsamen Haus im Lande der Käuer verbracht hatte.[6]
Zehn Jahre hatte Urfin in seinem Garten gegraben, als sich etwas zutrug, was sein Leben völlig veränderte. In der Nähe seines Hauses stürzte der Riesenadler Karfax nach einem Kampf mit zwei Rivalen schwer verwundet ab. Der ehemalige König legte Salbe auf die Wunden des Adlers, der bald genas, und die beiden wurden Freunde. Der schlaue Urfin versicherte dem edlen Vogel, er habe nur eins im Sinn: andere Menschen glücklich zu machen. Vorher müsse er aber König eines rückständigen Volkes werden, das in Not und Unwissenheit lebe. Unter seiner Herrschaft würde dieses Volk dann reich und glücklich werden. Das rückständigste Volk im Zauberland waren die Springer, die in einem abgeschiedenen Tal in den Bergen lebten. Sie nannten sich Marranen und standen hinter den anderen Völkern so weit zurück, daß sie nicht einmal die Verwendung des Feuers kannten. Das machte sich der schlaue Urfin zunutze, der eines Nachts auf dem Rücken des Riesenadlers in das Land der Marranen geflogen kam.
In ein Purpurgewand gehüllt und eine brennende Fackel in der erhobenen Hand, sagte er, er sei der Gott des Feuers, eigens vom Himmel herabgestiegen, um die Menschen glücklich zu machen. Die arglosen Marranen glaubten ihm und unterwarfen sich seiner Herrschaft. Urfin beschloß, vor allem die Fürsten und die Stammesältesten für sich einzunehmen. Anstelle der Hütten, in denen sie wohnten, ließ er für sie geräumige warme Häuser bauen. Er lehrte die adligen Marranen, auf dem Feuer schmackhafte Gerichte zuzubereiten, gewöhnte sie an Luxus und Schwelgerei, und bald standen sie geschlossen hinter ihm, der ihnen auf Kosten des einfachen Volkes ein ergötzliches Leben bot. Als das Volk zu murren begann, lenkte Urfin dessen Zorn gegen die Nachbarvölker. „Nicht hier ist euer Glück", sagte er zu den Marranen. „Ich will euch aus eurem unfruchtbaren Land hinausführen, damit ihr reiche Täler mit herrlichen Obstgärten und zahllosen Herden fetter Schafe erobert. Wir werden die Zwinkerer und Käuer aus ihren behaglichen Häusern vertreiben und die Schätze der Smaragdenstadt als Beute nehmen!" Die kampflustigen Marranen folgten dem Ruf mit Begeisterung und brachten eine starke Armee auf die Beine. Urfin nahm den Eisernen Holzfäller gefangen, unterwarf sich die Zwinkerer und führte seine Soldaten in den Krieg gegen das Smaragdenland. Zu dieser Zeit hatten die Holzköpfe unter der Führung des Scheuchs einen breiten Kanal um die Smaragdenstadt gebaut und diese in eine Insel verwandelt. Urfins Soldaten bauten eine Brücke über den Kanal, erstürmten die Stadt und nahmen sie ein. Der Scheuch, der langbärtige Soldat Din Gior und der Hüter des Tores Faramant gerieten erneut in die Gefangenschaft des dreisten Landräubers, aus der sie wieder von einem Mädchen und einem Jungen aus der Großen Welt befreit wurden. Beim Lesen dieser Stelle frohlockte Arachna: „Ich wußte ja, daß Ramina sich geirrt hat! Elli ist doch in das Zauberland zurückgekehrt!"