Anmerkung des Herausgebers
Kapitel 1 bis 6 dieses Buches entstammen einer Reihe von Vorträgen, die Osho in Pune, Indien, vor einem Zuhörerkreis von Freunden und Suchenden hielt. Ursprünglich standen sie unter dem Motto »Gott ist tot, und Zen ist nun die einzige lebendige Wahrheit«. Zusammen mit anderen Vorträgen, die Osho gegen Ende seines Lebens hielt, bilden sie den Höhepunkt von mehr als 30 Jahren öffentlicher Vorträge und Reden. Jeder der ursprünglichen Vorträge endete mit einer von Osho geleiteten Meditation, die aus aktiven und passiven Phasen bestand und durch Musik und Trommelklänge unterteilt war. Diese Teile wurden im Interesse eines besseren Leseflusses weggelassen, ebenso bestimmte Abschnitte des Textes, die sich auf spezifische aktuelle Ereignisse bezogen.
Das Vorwort stammt aus anderen, früheren Vorträgen Oshos.
Die Auswahl ist dazu gedacht, dem Leser einen Kontext zu vermitteln, in dem sich die nachfolgenden Texte leichter verstehen lassen.
Sarito Carol Neiman
Vorwort
Der skeptische Verstand ist eins der wunderbarsten Dinge in dieser Welt.
Er wurde von den Religionen immer verdammt, weil sie nicht fähig waren, seine kritischen Fragen zu beantworten; sie wünschten sich nur Gläubige. Und der skeptische Verstand ist das genaue Gegenteil eines Gläubigen.
Ich bin absolut für den skeptischen Verstand. Glaubt nichts, wenn ihr es nicht selbst erfahren habt. Glaubt nichts – sucht und fragt immer weiter, solange es auch dauert.
Die Wahrheit ist nicht billig. Dem Gläubigen steht sie nicht zur Verfügung; nur für den Skeptiker ist sie verfügbar.
Und denkt daran: Seid nicht nur mit halbem Herzen Skeptiker.
Seid vollkommene Skeptiker. Wenn ich sage, seid vollkommene Skeptiker, meine ich damit, dass ihr eure eigenen skeptischen Vorstellungen ebenso einer Prüfung unterziehen sollt wie die Glaubensvorstellungen der anderen. Vollkommener Skeptizismus führt sich selbst ad absurdum, denn er hinterfragt sich selbst ebenfalls. Man kann seinen Skeptizismus nicht einfach ohne Zweifel hinnehmen, denn das wäre der Standpunkt eines Gläubigen.
Wenn du an dem Skeptiker in dir zweifeln kannst, ist der Mystiker nicht mehr weit entfernt.
Was ist ein Mystiker? – Jemand, der keine Antworten weiß, jemand, der alle nur möglichen Fragen gestellt hat und herausgefunden hat, dass sich keine dieser Fragen beantworten lässt. Nachdem er das festgestellt hat, hat er das Fragen aufgegeben.
Nicht dass er die Antwort gefunden hätte – er hat einfach nur festgestellt, dass es keine Antworten gibt.
Das Leben ist ein Mysterium, keine Frage. Es ist kein Rätsel, das es zu lösen gilt, keine Frage, die es zu beantworten gilt, sondern ein Mysterium, das es zu leben gilt, das es zu lieben gilt, das es zu tanzen gilt.
Ein vollkommen skeptischer Verstand muss irgendwann zu einem Mystiker werden; daher sind meine Türen für alle offen. Ich akzeptiere den Skeptiker, denn ich weiß, wie ich einen Mystiker aus ihm machen kann. Ich lade den Theisten ein, weil ich weiß, wie ich seinen Theismus zerstören kann. Ich lade den Atheisten ein, weil ich weiß, wie ich ihm seinen Atheismus nehmen kann. Meine Türen halten niemanden ab, weil ich euch keinen Glauben gebe. Ich gebe euch nur eine Methode, eine Meditation, damit ihr für euch selbst herausfinden könnt, was die Wahrheit ist.
Ich habe festgestellt, dass es keine Antworten gibt. Alle Fragen sind sinnlos, und alle Antworten sind noch sinnloser. Dumme Menschen haben Fragen gestellt, und aus diesen Fragen sind großartige Philosophien entstanden. Die Schlauen und die Scharfsinnigen haben diese Philosophien entwickelt. Doch wenn ihr im Einklang mit der Wirklichkeit sein wollt, dürft ihr weder dumm noch schlau sein. Ihr müsst unschuldig sein.
Mit was immer ihr also ankommt – Skeptizismus, Atheismus, Theismus, Kommunismus, Faschismus, mit jeder möglichen Art von Unsinn könnt ihr hier ankommen –, meine Medizin ist immer dieselbe.
Es spielt keine Rolle, mit welcher Art von Unsinn euer Kopf gefüllt ist, wenn ihr hierher kommt. Ich schlage euch allen den Kopf ab, ohne Unterschied. Wer in eurem Kopf sitzt, spielt keine Rolle – mir geht es nur ums Abschlagen!
Ich bin einfach nur ein Holzfäller.
Kannst du etwas über Zweifel und Negativität sagen? Was ist der Unterschied?
Zwischen Zweifel und Negativität besteht ein großer Unterschied. Beides sieht gleich aus; an der Oberfläche haben beide dieselbe Farbe, doch tief darunter ist der Unterschied unüberbrückbar.
Erstens handelt es sich bei Zweifel nicht um Negativität; genauso wenig ist er Positivität. Zweifel bedeutet einen offenen Geist, ohne Vorurteile. Er bedeutet ein forschendes Herangehen.
Zweifel bedeutet, nichts zu sagen, sondern einfach nur eine Frage zu stellen. Der Sinn dieser Frage ist, zu erkennen und herauszufinden, was die Wahrheit ist.
Zweifel ist eine Pilgerschaft. Zweifel ist einer der heiligsten Werte des Menschen. Zweifel bedeutet kein Nein. Er sagt einfach:
»Ich weiß es nicht, und ich bin bereit, es zu wissen. Ich bin bereit, so weit wie möglich zu gehen, doch wie kann ich ja sagen, solange ich es nicht weiß?«
Negativität hat bereits nein gesagt. Sie ist keine Suche. Sie ist zu einer Schlussfolgerung gekommen, so wie jemand anderer zu der Schlussfolgerung gekommen ist, ja zu sagen. Der eine sagt, es gibt einen Gott; seine Aussage ist positiv. Der andere sagt, es gibt keinen Gott; seine Aussage ist negativ. Doch beide sitzen im selben Boot, sie unterscheiden sich nicht. Sie haben nicht wirklich geforscht. Weder der Theist noch der Atheist haben wirklich gezweifelt; beide haben geborgtes Wissen übernommen. Der Zweifel sagt: »Ich möchte gern wissen, doch solange ich es nicht selbst weiß, ist es kein Wissen. Nur meine eigene Erfahrung kann den Ausschlag geben.« Er ist nicht arrogant, er leugnet nichts. Er ist einfach nur bereit zu forschen.
Zweifel ist nicht dasselbe wie Unglauben – damit haben die Religionen die Menschen verwirrt. Sie haben Zweifel mit Unglauben verwechselt. Tatsächlich sind Glauben und Unglauben genau dasselbe. Beide übernehmen Wissen von anderen, aus Büchern, von Meistern. Und denkt daran, immer wenn ihr etwas nicht wisst, doch angefangen habt, an es zu glauben oder nicht an es zu glauben ... dann habt ihr eine große Chance vertan, zu forschen.
Ihr habt die Tür bereits verschlossen, durch ein Ja oder ein Nein. Ihr seid nicht gereist. Es ist leichter, ja zu sagen, es ist leichter, nein zu sage n, denn dafür muss man nichts tun. Um zu zweifeln, braucht es Mut.
Um zu zweifeln, braucht es den Mut, im Zustand des Nichtwissens zu bleiben und immer weiter alles in Frage zu stellen, bis zu dem Augenblick, in dem man selbst bei der Wirklichkeit angekommen ist. Wenn man bei der Wirklichkeit ankommt, gibt es keine Negativität und auch keine Positivität. Man weiß einfach – es ist eine eigene Erfahrung. Ich sage nicht, dass es sich um Positivität handelt, weil Positivität immer einen Gegenpol hat, die Negativität.
Die Erfahrung geht über beides hinaus; die Welt der Polaritäten wird dabei transzendiert. Das ist wahre Weisheit.
Zweifel ist der Weg zur Wahrheit. Ja oder Nein sind keine Wege zur Wahrheit; sie halten einen vielmehr davon ab. Es scheint vielleicht seltsam, wenn man sagt, dass ein Ja dasselbe bewirkt wie ein Nein. Im Wörterbuch sind sie Gegensätze, doch in Wirklichkeit sind sie das nicht. Sie sehen nur gegensätzlich aus. Doch beide haben keine Fragen gestellt. Beide haben nicht versucht herauszufinden, was wirklich wahr ist.
Der Kommunist ist genauso ein Gläubiger wie der Katholik. Der Kommunist glaubt, dass es keinen Gott gibt. Man kann das als Unglauben bezeichnen, doch es handelt sich dabei um einen Glauben. Er hat nicht nachgeforscht, er hat nicht meditiert; er hat nichts getan, um herauszufinden, ob es wirklich keinen Gott gibt.