Als ich die Biluka erreichte, war weit und breit nichts zu sehen. Das Wasser strudelte trüb und gelblich, es reichte fast bis zum Rand des Flußbettes. Die paar Schritte bis zur Schwinde legte ich mehr stürzend als laufend zurück. Das Wasser fiel mit Gebraus in den runden Kessel hinein.
Einen Blick warf ich hinunter – da trieb ein heller Körper in dem aufgestauten Wasser! Von Mirko keine Spur.
Vorsichtig kletterte ich in einem Kluftriß hinunter, ein schmales ebenes Band zog hier in einem Halbkreis an der Wand entlang. Mit einer Hand an eine Felszunge geklammert, versuchte ich mit der andern, die treibende Gestalt zu ergreifen. Endlich konnte ich einen Arm erfassen, das gischtende Wasser wollte mir meine Beute wieder entreißen, aber es glückte mir doch, die Verunglückte aufs Land zu zerren. Noch immer war das Gesicht von einem unbeschreiblichen Liebreiz, kein Kratzer verunstaltete die feinen Züge. Mir fiel auf, daß überhaupt keine Verletzung zu bemerken war. Erst als ich den Körper auf den Rücken drehte, fand ich einen großen versengten Fleck an der Schulter und noch etwas: Ein Riß klaffte an der Achselhöhle, doch keine Spur von Blut war zu sehen, nur etwas Draht und einige Elektronenröhren kamen zum Vorschein.
20
Weiße Pupillen
Der in die Enge getriebene Verstand kommt schließlich zu jenem Punkt, wo er seine Situation nicht mehr erfaßt. Ein Denkfehler, eine falsche Einschätzung der Möglichkeiten, und das Unglück ist geschehen.
Oft glaubte ich, ich könnte es nicht mehr ertragen. Diese furchtbaren Experimente, diese Untersuchungen! Ein Leben als Gefangener ist schlechter als kein Leben. Und dazu immer wieder Infektionen durch fremdartige Bakterien und Viren! Ich war geistig und körperlich zerbrochen. Nur eins hielt mich aufrecht – daß Liz bei mir war. Aber auch sie wurde von Tag zu Tag schwächer.
Davonlaufen war unmöglich, sich wehren sinnlos. Sie taten mit uns, was sie wollten. Früher hatte ich oft auf sie geschossen. Niemand nahm meine Pistole weg. Sie standen vor mir und glotzten. Hätten sie lachen können, hätten sie mich sicher ausgelacht. Aber ich hatte noch keinen lachen gesehen.
Vorige Woche hatten sie uns einen synthetischen Pudel hereingeschickt. Ich merkte es erst gestern, als ich ihn scheren wollte – die Haare waren aus einer glasharten, aber geschmeidigen Kunstfaser.
Heute fühlte ich mich besonders elend. Wahrscheinlich wieder eine Krankheit – mein Kopf glühte, und manchmal legte sich etwas wie ein Schleier vor meine Augen – mit Begeisterung würden sie die Symptome studieren. Ich war lang allein – sie hatten Liz mitgenommen. Darunter litt ich natürlich ganz besonders.
Dann kam sie wieder. Schon von weitem fiel mir auf, daß irgend etwas an ihr verändert war... Und dann sah ich es: Sie hatte weiße Pupillen, und das Blau ihrer Iris, das mir stets so sehr gefallen hatte, setzte sich über die ganzen Augäpfel fort. Ich tat so, als hätte ich nichts bemerkt. Diesmal konnten sie mich nicht täuschen! Liz läßt sich nicht durch einen künstlichen Körper ersetzen. Sie hatten einen kleinen, aber entscheidenden Fehler begangen.
Während sie die Tür schloß, zog ich mich unauffällig zum Schreibtisch zurück. Als sie auf mich zutrat, öffnete ich das Schubfach. Als sie ihre Hand zu mir hob, ergriff ich die Pistole. Sie sagte: »... ist mit dir, Ted?«
Da jagte ich ihr sechs Schüsse in den Leib.
Und nun ist alles aus. Jeder wird verstehen, daß ich Schluß mache. Als ich vorhin beim Spiegel vorbeiging, fing ich meinen eigenen grauenhaften Blick auf: Das Braun der Iris überzog die ganzen Augäpfel, die Pupillen glänzten in fahlem Weiß.
21
Das Ei
Die ultraharten Röntgenstrahlen, die künstlichen Gammastrahlen des Betatrons, töten die Zellen, Aber was für uns tödlich ist, kann für andere Lebewesen erträglich sein, es kann sogar notwendig sein, um den Lebensfunken zu entfachen.
Die Strahlung fehlte auf der Erde, aber sie wußten sich zu helfen. Sie hatten einen sauber durchdachten Plan. Die Zeiteinteilung war so gut überlegt, daß sie eine Minute gewannen. Aber eben dadurch wurde ihr Werkzeug frei.
Was im Koffer war, wußte ich nicht. Aber ich wußte, was ich zu tun hatte. Ich hatte einen Plan – alles andere war völlig unwichtig. Wer ich war, hatte ich vergessen. Vergessen hatte ich, was ich vorher getan hatte. Vergessen, warum ich es tat. Glasklar aber war jede Einzelheit meines Plans, jeder Schritt, der dazu nötig war. Innerhalb von zwanzig Minuten mußte alles erledigt sein. Ich hatte keine Zeit zu langen Vorbereitungen. Mir blieb nur die Forschungsstation der Luftwaffe. Es war mir auch gleichgültig, was nachher mit mir geschehen würde. Ich nahm ein Taxi und war in zwölf Minuten vor dem Eingang zum Versuchsgelände. Mir blieben noch acht Minuten. Ich konnte nicht erst mit dem Posten verhandeln, einen Bluff versuchen. Als er einem Offizier das Gittertor öffnete, stieß ich diesen beiseite und lief quer durch die Anlage, auf das Institut für Strahlenforschung zu.
Der Posten rief mich dreimal an, dann rannte er hinter mir her und schoß. Er schoß im Laufen und schoß schlecht. Obwohl ich mich nahe an die Büsche hielt, hatte das Kommando des Wachtturms manchmal freie Sicht auf mich. Von ihm stammt die Kugel in der Hüfte.
Ich konnte noch laufen, und die Wunde war mir gleichgültig. Mir blieben noch sieben Minuten, da ertönten die Alarmsirenen. Viele sahen mich in das Gebäude hineinrennen, aber sie kamen zu spät, um festzustellen, wohin ich verschwunden war. Ein Soldat trat mir entgegen. Ich stieß ihn die Treppe hinunter. Noch im Fallen stellte er mir ein Bein, und beim Sturz kegelte ich mir den Arm aus. Ich stand wieder auf, aber er blieb liegen. Als ich schon im Keller war, hörte ich die andern oben die Stiegen hinaufstürmen.
Mir blieben noch fünf Minuten. Ich wußte, wo das Betatron stand, und verlor keine Sekunde. Im Apparatraum arbeitete eine Assistentin. Ich schlug ihr die Faust ins Genick, und sie rührte sich nicht mehr. Drei Griffe: Wasserkühlung, Vorwahlschalter, Spannung. Während der einen Minute Anheizzeit betrat ich den Strahlenbunker. An meinem Bein hinunter lief Blut, doch ich spürte nichts. Ich stellte den Koffer ab und öffnete ihn. Eine watteartige Masse quoll mir entgegen, darin eingebettet ein eiähnlicher Körper mit mattglänzender grauer Oberfläche. Vorsichtig legte ich ihn in den Wirkungsbereich der ringförmigen Vakuumröhre. Fünf Schritte hinaus. Laut ließ ich den Hauptschalter herumschnappen. Das Kontrollicht flammte auf, die beiden Räume waren durch die elektronische Automatik hermetisch abgeschlossen. Die Röhre spuckte ultraharte Röntgenstrahlung. Noch drei Minuten, dann war alles erledigt. Eine Minute hatte ich sogar gewonnen.
Ich stand neben der Strahlenquelle und starrte auf den grauen Körper. Was kümmerte mich die Strahlung. Ich hatte alles richtig erledigt. Wie ein Film war mein Plan abgewickelt. Was vorbei war, war vergessen. Nichts blieb. Ich war leer. Mir war, als ob ich langsam erwachte. Plötzlich schmerzte mein Arm, und meine Hüfte brannte, ich konnte mich nicht mehr aufrecht halten. Wie ein einem Traum Entronnener sah ich das ellipsoidische Gebilde vor mir liegen, wie etwas Beängstigendes, etwas Ungeheures. Zwei Minuten lag es schon da. Ich stieß es aus dem Strahlengang. Bevor mir schwarz vor den Augen wurde, hörte ich noch ein schwaches Kratzen herausdringen. Aber die Schale zerbrach nicht.
22
Aktion 3
Das Eindringen fremder Intelligenzen auf die Erde kann kriegerisch oder friedlich vor sich gehen, offen oder heimlich. Aktion 3 ist nur eine Möglichkeit unter vielen.
Notiz, Mt. Palomar
Zylindrischer Körper, selbstleuchtend, bläuliches Licht, 30 km hoch, 2000 m/sec, Richtung Süd-Nord. Beobachtet