In der nächsten Nacht verließen sie ihr Zimmer wieder und begaben sich in den Navigationsraum. Ben stellte sich an eine zentrale Stelle, die einem Führersitz entsprach, und veränderte die Stellung mehrerer Hebel. Die Sterne auf den Bildschirmen begannen langsam zu wandern. Die Sonne mit ihren Planeten bewegte sich aus dem Fadenkreuz, glitt langsam gegen den Rand des Bildschirms, verschwand vom ersten Schirm und tauchte auf dem zweiten auf. Hier strebte sie der Mitte zu, erreichte sie und blieb in ihr stehen. Ben rückte die Hebel wieder an ihre ursprünglichen Plätze und drehte sich zu Kai um.
»Du steuerst der Erde zu«, rief der. Aber er vergaß nicht, seine Stimme gedämpft zu halten.
»Ganz richtig!« bestätigte Ben. »... da durch Beschleunigung ausgelöste Gravitationskräfte nicht von jenen zu unterscheiden sind, die durch Abbremsung entstehen, wird niemand etwas davon merken.«
»... wollen wir noch ein wenig nachhelfen«, sagte Kai. Er stellte die beiden Leuchtschirme ab, löste die Zuleitungskabel, die beide demselben Loch in der Wand entsprangen, und vertauschte sie. Nachdem er sie wieder eingeschaltet hatte, deutete nichts mehr auf das Manöver hin.
Ben lehnte an der Wand und sah den Arbeiten Kais lächelnd zu. »Du hast mich genau verstanden.« Er trat zu einigen Meßorganen und verstellte sie – Kreiselkompaß, Bahnschreiber, Entfernungsmesser. Dann warfen sie noch einen Blick in den Raum mit den Produkten einer fremdartigen, überlegenen Technik, den Leuchtzeigern an den Instrumenten, den farbigen Tastaturen unerklärlicher Einrichtungen, den Tabellen mit unleserlichen Strichzeichen, den großen Schirmen mit den tausend Sonnen und Planeten, die viel deutlicher zu sehen waren als mit freiem Auge. Dann schloß sich das Tor hinter ihnen. Sie begaben sich freiwillig in ihr Gefängnis.
Tage vergingen. Die Slepper brachten ihnen Wasser und Essen, sie versuchten sich zu verständigen, aber es gelang ihnen nicht. Jede Nacht kontrollierte Ben den Navigationsraum. Da er alle Anzeichen entfernt hatte, die den veränderten Kurs verraten könnten, stellte er dazu den Entfernungsmesser kurzfristig richtig ein und schätzte die Zeit, die sie noch benötigten, um die Erde zu erreichen. Eines Nachts sah er, daß die Entfernung der Planeten von der Sonne auf dem Bildschirm nun schon wahrnehmbar zuzunehmen begann.
»Dieser Effekt ist nicht zu unterbinden«, bedauerte er. »... müssen sehen, daß wir innerhalb von vier Stunden die Erde erreichen!«
»Wird das gehen?« fragte Kai.
»... fahren mit einer Beschleunigung, die offenbar die unter normalen Umständen höchstmögliche ist. Die logarithmische Skala geht aber noch ein gutes Stück über die Sperre hinaus. Ich werde sie lösen und Höchstbeschleunigung einschalten. Wir müssen aber darauf achten, im richtigen Moment auch durch Höchstverzögerung mit dem Bremsen zu beginnen!«
»Werden wir nicht Schaden nehmen?« sorgte sich Kai.
»Nein, ich habe ja schon einmal aufs äußerste beschleunigt – als ich das Schiff wendete. Ich überschritt den Normalwert um das Hundertfache. Nichts geschah. Mir ist nicht klar, warum sie nicht immer mit größerer Beschleunigung fahren.« Ben änderte wieder einige Hebelstellungen – nichts war davon zu spüren. Nur der Raum, den das Sonnensystem auf dem Bildschirm einnahm, wuchs nun mit beobachtbarer Geschwindigkeit.
»Diesmal würde es auffallen«, bemerkte Kai. »... müssen uns bis zur Landung hier verschanzen.«
»Du hast recht«, bestätigte Ben. »Hole bitte die Tonanlage her.«
Kai tat es. Er suchte auch nach Waffen, aber er fand keine.
»... sollen wir uns wehren, wenn sie uns angreifen?« fragte er.
»Vielleicht können wir uns mit ihnen verständigen«, meinte Ben. »... haben die Zentrale in der Hand und damit die Regelung für Licht, Luft, Wärme und so weiter. Damit können wir sie zwingen. Hier ist es viel heller, als es für uns notwendig ist. Also drehe ich jetzt auf Dämmerlicht. Die Luft ist sehr sauerstoffreich – ich werde den Sauerstoff drosseln. Die Temperatur liegt ziemlich tief. Versuchen wir es einmal mit vierzig Grad Celsius. Wenn nötig, kann ich auch auf doppelte Erdbeschleunigung schalten – die Anziehungskraft ist hier geringer als auf der Erde. So sind sie es wahrscheinlich gewöhnt. Wir werden sehen, wie ihre gebrechlichen Beinchen mit der Schwere fertig werden!«
Sie warteten. Die Planetenbahnen auf dem Bildschirm vergrößerten ihre Durchmesser. In der künstlichen Dämmerung, die Ben erzeugt hatte, ging von den Leuchtscheiben ein unwirklicher Glanz aus. Es schien ihnen, als schauten sie direkt ins sternenübersäte Weltall.
Allmählich wurde die Luft schlechter, und trockene Hitze erfüllte den Raum.
Ben sprach einige Sätze in die Tonanlage: »... habt kein Recht, uns gefangenzuhalten. Laßt uns unangefochten auf die Erde zurück, und wir hindern euch nicht an der Rückreise. Vergeßt nicht, daß wir die Steuerung und die Energieversorgung in der Hand haben.« Er verstellte einige Knöpfe. »... die Übersetzung kann nun jederzeit ablaufen.«
Wenig später ertönte das Gongsignal. Die Freunde warteten gespannt. Bald öffnete sich die Tür, und ein Slepper trat herein. Ben stellte den Übersetzungsautomaten an, aber der Slepper stieß einen schrillen Warnruf aus und wollte fliehen. Kai lauerte neben der Tür. Er stürzte sich auf den Slepper und hielt ihn fest. Weitere Slepper hüpften herein, einige waren mit vibrierenden Metallfedern bewaffnet. Kai hielt seinen Gefangenen schützend vor sich, doch ein halbes Dutzend Slepper bedrängte ihn. In das Getöse des Handgemenges klangen die Tonfolgen der Übersetzungsanlage, doch niemand achtete darauf.
Ben stand noch immer an der Steuerung. Einige Slepper liefen auf ihn zu. Ihm entging aber nicht, daß ihre Bewegungen viel unsicherer und matter waren als sonst. Er bewegte einen Schaltgriff – den Gravitationsschalter. Die Schwere wuchs auf die Erdbeschleunigung, stieg weiter auf 1,5g, 2g... Bens Herz begann zu schlagen, sein Atem ging schneller, aber die Slepper schienen noch mehr betroffen. Sie alle standen still und stemmten ihre vier zitternden Beine leicht gegrätscht gegen den Boden, aber noch immer gelang es einem, seine Waffe gegen Kai zu heben. Da drehte Ben weiter auf: 2,5g, 3g... Der erste Slepper sank zu Boden, einer nach dem anderen folgte. Ihre Beine knickten ein, Leib und Kopf lagen am Boden, die Gliedmaßen zuckten.
Kai schleppte sich zu den Bewaffneten und nahm die elektrischen Federn an sich. Ben milderte die Schwere etwas. »... sich rührt, wird betäubt«, sprach er ins Mikrophon des Tonautomaten, der die Warnung sofort in die musikalische Sprache der Slepper übersetzte.
»Wann erreichen wir die Erde?« fragte Kai.
»Nach etwa drei Stunden«, antwortete Ben.
»Solange halten wir diese Anziehungskraft nicht aus«, ächzte Ben.
»... werden die Slepper einsperren. Dann kann ich auf eineinhalbfache Erdschwere zurückgehen – da sind sie noch immer genügend behindert. Geh durchs Schiff und bring alle in die Luftschleuse.«
Kai stöberte nach und nach 16 Slepper auf. Alle waren infolge der Schwere wehrlos. Er schleppte sie in die Luftschleuse und schloß die Glastür. Dann setzte er sich vor ihr nieder und beobachtete die Gefangenen. Ben stellte eilig die normalen atmosphärischen Verhältnisse her. Es war höchste Zeit, beide waren am Ende ihrer Kräfte...
Längst hatte Ben auf Verzögerung umgeschaltet, die Erde stand im Mittelpunkt des Fadenkreuzes, schon waren die Kontinente zu erkennen. Ben ließ das Raumschiff eine Spirale beschreiben. Dreimal umkreisten sie die Erde, dann näherten sie sich wieder dem östlichen Teil Afrikas. Plastisch traten die Berge hervor, wie blaue Korallen lagen dazwischen die Seen. Eine Hochebene schob sich über den Leuchtschirm, die Küste kam in Sicht.
»Neben diesem Dorf werden wir landen«, sagte Ben. Das Bild auf der Sichtscheibe wechselte jetzt rasend schnell – Wald, Steppe, Ödland und wieder Wald, Pflanzungen, Felder, Gehege, Straßen. Ben wählte eine gebüschumschlossene Wiese, in deren Nähe ein Weg vorbeilief. Sanft setzte er auf – die Automatik funktionierte bewundernswert.