Nein, aber ich hörte, er sei ehrgeizig, und das ist dem sehr ähnlich.
Nun, wir wollen sehen, sagte Herr Morel mit einem Seufzer; gehen Sie anBord, ich komme zu Ihnen. Und er verließ die zwei Freunde, um den Weg nach dem Justizpalaste einzuschlagen.
Du siehst, welche Wendung die Sache nimmt, sagte Danglars zu Caderousse. Hast du noch Lust, Dantes zu unterstützen?
Gewiß nicht, aber es ist doch etwas Furchtbares, daß ein Scherz solche Folgen hat.
Der Teufel! Wer hat ihn gemacht? Weder du noch ich, sondern Fernand. Du weißt, daß ich das Papier in einen Winkel geworfen habe; ich glaubte sogar, ich hätte es zerrissen.
Nein, nein, erwiderte Caderousse.
Fernand wird es aufgehoben haben, sagte Danglars; er hat es wahrscheinlich kopieren lassen… vielleicht hat er sich nicht einmal diese Mühe genommen; wenn ichbedenke, mein Gott!.. er hat am Ende meinen eigenenBrief abgeschickt. Zum Glück hatte ich meine Handschrift verstellt.
Ich gäbe viel, wenn dies nicht geschehen wäre, versetzte Caderousse, oder wenn ich wenigstens in keinerBeziehung dazu stände. Du wirst sehen, esbringt uns Unglück.
Wenn es einem Unglückbringen soll, so ist das der wahre Schuldige, und der ist Fernand, wir sind es nicht. Was soll uns widerfahren? Wir haben uns nur ruhig zu verhalten, von der ganzen Geschichte keinen Ton zu reden, und das Gewitter geht vorüber.
Amen, sagte Caderousse, machte Danglars ein Zeichen des Abschiedes und wandte sich nach den Allées de Meillan, wobei er jedochbeständig den Kopf schüttelte und mit sich selbst sprach, ganz von peinigenden Gedanken erfüllt.
Gut, sagte Danglars, die Sache nimmt die von mir vorhergesehene Wendung; ichbin fürs erste Kapitän, und wenn dieser Dummkopf von Caderousse schweigen kann, für immer Kapitän. Es kann also nur das eine dazwischen treten, daß das Gericht Dantes freiläßt. Doch, fügte er lächelnd hinzu, die Justiz ist die Justiz, und ich verlasse mich auf sie.
Hierauf sprang er in eineBarke und gabden SchiffernBefehl, ihn nach dem Pharao zu rudern.
Der Staatsanwalt
In der Rue du Grand‑Cours, in einem der alten aristokratischen Häuser, feierte man zu derselben Stunde ebenfalls ein Verlobungsmahl. Nur gehörten die Gäste nicht dem Volke, sondern der Spitze der MarseillerBevölkerung an. Es waren ehemaligeBeamte, die unter dem Usurpator Napoleon ihren Abschied genommen hatten, alte Offiziere, die aus den Reihen des französischen Heeres desertiert waren, um zu Condés Armee überzugehen; junge Leute aus hoher Familie, in dem Hasse gegen den Mann erzogen, der dem französischen Volke nach fünf Jahren der Verbannung als Märtyrer und nach fünfzehn Jahren der Restauration als Gott erscheinen sollte.
Man saßbei Tische, und das Gespräch war im Schwunge, glühend von allen den Leidenschaften der Zeit, von den Leidenschaften, die um so lebendiger und erbitterter im Südenbrausten, als seit fünf Jahren der religiöse Haß den politischen unterstützte.
Der Kaiser, — Herr der Insel Elba, nachdem er der unumschränkteBeherrscher eines Weltalls gewesen war, eineBevölkerung von fünfbis sechstausend Seelen regierend, nachdem er: Es lebe Napoleon! von hundert und zwanzig Millionen in zehn verschiedenen Sprachen hatte rufen hören, wurde hier als ein für immer abgetaner Emporkömmling hingestellt. DieBeamten enthüllten seine politischen Mißgriffe, die Offiziere sprachen von Moskau und Leipzig, die Frauen von seiner Scheidung von Josephine.
Ein mit dem Sankt‑Ludwigskreuze geschmückter Mann erhobsich und schlug den Gästen die Gesundheit des Königs Ludwig XVIII. vor. Es war der Marquis von Saint‑Meran. Bei diesem Toast entstand eine gewaltigeBegeisterung. Die Gläser wurden emporgehoben, die Frauen machten ihre Sträuße los und streuten dieBlumen über das Tischtuch.
Wenn sie da wären, sagte die Marquise von Saint‑Meran, eine Frau mit trockenem Auge, dünnen Lippen, mit aristokratischer und trotz ihrer fünfzig Jahre noch zierlichen Haltung, alle diese Revolutionäre, die uns vertrieben haben, und die wir nun ganz ruhig in unseren alten Schlössern, die sie unter der Schreckensregierung für ein StückBrot erkauft haben, Meutereien anzetteln lassen, sie müßten anerkennen, daß die wahre Ergebenheit auf unserer Seite war, denn wir hielten an der einstürzenden Monarchie fest, während sie die aufgehende Sonnebegrüßten und ihr Glück machten, indem wir das unsere verloren; sie müßten anerkennen, daß unser König Ludwig der Vielgeliebte wirklich gut war, während ihr Usurpator nie etwas anderes gewesen ist, als Napoleon der Verfluchte, nicht wahr, Villefort?
Sie sagen, Frau Marquise?… verzeihen Sie, ich war nichtbeim Gespräche…
Ah, lassen Sie die Kinder, Marquise, versetzte der Greis, der den Toast ausgebracht hatte; diese Kinder wollen sich heiraten und haben natürlich von etwas anderem miteinander zu sprechen, als von Politik.
Ichbitte um Vergebung, meine Mutter, sagte eine junge, hübsche Dame mitblonden Haaren und mit Samtaugen, ich gebe Ihnen Herrn von Villefort zurück, den ich für eine Minute in Anspruch genommen hatte. Herr von Villefort, meine Mutter spricht mit Ihnen.
Die Marquisebegann, zärtlich lächelnd: Ich sage, Villefort, dieBonapartistenbesitzen weder unsereBegeisterung, noch unsere Überzeugung, noch unsere Ergebenheit.
Ah! gnädige Fran, Sie haben wenigstens etwas, das alles dies ersetzt, es ist der Fanatismus. Napoleon ist der Mohammed des Westens, er ist für alle diese dem Volke entstammenden, aber ehrgeizigen Menschen nicht nur ein Gesetzgeber und Herr, sondern auch das Musterbild der Gleichheit.
Napoleon das Musterbild der Gleichheit, rief die Marquise, und was werden Sie dann aus Robespierre machen? Es scheint mir, Sie stehlen ihm seinen Platz, um ihn dem Korsen zu geben.
Nein, gnädige Frau, antwortete Villefort, ich lasse jeden auf seinem Piedestal, Robespierre auf seinem Schafott, Napoleon auf der Vendomesäule; nur hat der eine eine Gleichheit gemacht, die erniedrigt, der andere eine Gleichheit, die erhöht; der eine hat die Könige auf das Niveau der Guillotine, der andere hat das Volk auf das Niveau des Thrones erhoben. Damit will ich nicht sagen, fügte er lachend hinzu, es seien nicht allebeide heillose Empörer, und der 9. Thermidor und der 4. April 1814 seien nicht glückliche Tage für Frankreich und würdig, durch die Freunde der Ordnung und der Monarchie gleich festlichbegangen zu werden; aber dies erklärt auch, warum Napoleon, obgleich gefallen, um, wie ich hoffe, nie mehr aufzustehen, seine Anhänger, seine Freundebehalten hat.
Wissen Sie, daß das, was Sie da sprechen, auf eine Meile nach Revolution riecht? Aber ich vergebe Ihnen. Man kann nicht der Sohn eines Girondisten sein, ohne einen Erdgeruchbeizubehalten.
Eine lebhafte Rötebedeckte Villeforts Stirn.
Mein Vater war Girondist, sagte er, das ist wahr; aber mein Vater hat nicht für den Tod des Königs gestimmt. Mein Vater wurde geächtet von derselben Schreckensregierung, welche Sie ächtete, und es fehlte nicht viel, so hätte er sein Haupt auf dasselbeBlutgerüst legen müssen, welches das Haupt Ihres Vaters fallen sah.
Ja, sagte die Marquise, ohne daß dieseblutige Erinnerung irgend eine Veränderung in ihren Gesichtszügen zur Folge hatte, nur mit dem Unterschiede, daßbeide aus geradezu entgegengesetzten Gründen den Kopf verloren hätten. ZumBeweise mag dienen, daß meine ganze Familie den verbannten Prinzen anhänglich geblieben ist, während sich die Ihrige eiligst mit der neuen Regierung verband, und daß, nachdem derBürger Noirtier Girondist gewesen war, der Graf Noirtier Senator geworden ist.
Meine Mutter, rief Renée, Sie wissen, daß es verabredet war, von diesen üblen Erinnerungen gar nicht mehr zu sprechen.
Gnädige Frau, versetzte Villefort, ich verbinde mich mit Fräulein von Saint‑Meran, um Sie demütigst um Vergessenheit des Vergangenen zubitten. Wozu soll es nützen, über Dinge zu klagen, vor denen selbst der Wille Gottes ohnmächtig ist? Gott kann die Zukunft verändern, aber die Vergangenheit nicht. Ich habe mich nicht nur von den Ansichten, sondern auch von dem Namen meines Vaters getrennt. Mein Vater war und ist vielleicht noch jetztBonapartist und heißt Noirtier; ichbin Royalist und heiße von Villefort.