In der Tat, sagte die Marquise, dubist zum Verzweifeln kindisch; ich frage dich: Wie kannst du die Empfindeleien deiner Einbildungskraft und deines Herzens auf Staatsangelegenheiten übertragen?
Oh, meine Mutter, murmelte Renée.
Gnade für die schlechten Royalisten, Frau Marquise, sagte von Villefort, ich verspreche Ihnen, meine Aufgabe als Vertreter des Ersten Staatsanwalts gewissenhaft zu erfüllen, das heißt furchtbar streng zu sein.
Aber während derBeamte diese Worte an die Marquise richtete, warf er zu gleicher Zeit verstohlen seinerBraut einenBlick zu, und dieser sagte: Sei unbesorgt, Renée, um deiner Liebe willen werde ich nachsichtig sein.
Renée erwiderte diesenBlick mit ihrem süßesten Lächeln, und Villefort entfernte sich mit dem Paradiese im Herzen.
sgleichen zu entscheiden, berufen ist. Trotz derBeweglichkeit seiner Gesichtszüge, die der Staatsanwalt wie ein geschickter Schauspieler vor seinem Spiegel geübt hatte, fiel es ihm diesmal schwer, eine ernste Miene und einen düstern Ausdruckbeizubehalten. Abgesehen von der Erinnerung an die politische Laufbahn seines Vaters, die seiner Zukunft in den Weg treten konnte, war Gérard von Villefort in diesem Augenblick so glücklich, als es einem Menschen zu sein vergönnt ist. Schon an sich reich, nahm er mit siebenundzwanzig Jahren ein hohes Amt ein. Er war imBegriff, ein junges hübsches Mädchen, das er liebte, zu heiraten. Neben ihrer Schönheit hatte seineBraut noch den Vorzug, einer von den Familien anzugehören, die am Hofe im höchsten Ansehen standen, und außer dem politisch förderlichen Einflusse ihrer Elternbrachte sie ihrem Gatten eine Mitgift von 50 000 Talern, die sich eines Tages durch eine Erbschaft von einer halben Million vermehren sollte. Dies alles zusammen erhobden Staatsanwalt in einen solchen Zustand von Glückseligkeit, daß er sich jeden Augenblick zusammennehmen mußte, um die gewollte, seinem Amte angemessene Miene zur Schau zu tragen.
Vor der Tür fand er den Polizeikommissar, der auf ihn wartete. Beim Anblick des schwarzgekleideten Mannes viel er sofort aus der Höhe des dritten Himmels auf die materielle Erde, auf der wir einhergehen. Erbrachte nun sein Gesicht leichter in die gehörige Verfassung, näherte sich demBeamten und sagte: Hierbin ich, ich habe denBrief gelesen; Sie taten wohl daran, diesen Menschen zu verhaften. Geben Sie mir nun über ihn und über die Meuterei alle einzelnen Umstände an, die Sie in Erfahrung gebracht haben!
Über die Meuterei, mein Herr, wissen wir noch nichts; alle Papiere, die manbei ihmbekommen hat, sind in IhremBureau versiegelt niedergelegt worden. Was den Angeschuldigtenbetrifft, so haben Sie aus demBriefe, der ihn denunziert, ersehen, daß er Edmond Dantes heißt und Sekond anBord des Dreimasters» der Pharao «ist, derBaumwollenhandel mit Alexandrien und Smyrna treibt und dem Hause Morel und Sohn in Marseille gehört.
Hat erbei der Kriegsmarine gedient, ehe erbei der Handelsmarine diente?
Nein, er ist ein ganz junger Mensch.
In diesem Augenblicke, als Villefort, an die Ecke der Rue des Conseils gelangt war, redete ihn ein Mann an, der ihn zu erwarten schien; es war Herr Morel.
Ah, Herr von Villefort! rief derbrave Mann, ichbin sehr glücklich, Sie zu treffen. Denken Sie, daß man den seltsamsten, den unerhörtesten Mißgriffbegangen hat; man hat den Sekond meines Schiffes, Edmond Dantes, verhaftet.
Ich weiß es, mein Herr, antwortete Villefort, und werde ihn sogleich verhören.
Oh, Herr, fuhr Morel, hingerissen von seiner Freundschaft für den jungen Mann, fort, Sie kennen den nicht, den man anklagt, aber ich kenne ihn. Denken Sie sich den sanftesten, den redlichsten Menschen, und ich wage wohl zubehaupten, einen derbesten Seeleutebei der ganzen Handelsmarine. Oh, Herr von Villefort, ich empfehle Ihnen denselben aufrichtig und von ganzem Herzen.
Villefort gehörte, wie wir gesehen haben, der aristokratischen Partei der Stadt an und Morel der demokratischen. Der erste war Ultraroyalist, der zweite desBonapartismus verdächtig. Villefort schaute Morel mißtrauisch an und antwortete ihm mit kaltem Tone:
Sie wissen, mein Herr, daß man im Umgang sanftmütig, als Händler ehrlich, imBerufe geschickt und nichtsdestoweniger politisch ein großer Verbrecher sein kann. Sie wissen das, nicht wahr, mein Herr?
DerBeamte legte auf diese letzten Worte einenbesondern Nachdruck, als wollte er sie auf den Reeder selbst anwenden, während sein forschenderBlick dembis in die Tiefe des Herzens dringen zu wollen schien, der so kühn war, für einen andern einzutreten, während er wissen mußte, daß er selbst der Nachsichtbedurfte.
Morel errötete, denn er fühlte, daß sein Gewissen inBezug auf seine politische Gesinnung nicht ganz rein war, und überdiesbeunruhigte seinen Geist einigermaßen die vertrauliche Mitteilung, die ihm Dantes über die Zusammenkunft mit dem Großmarschall gemacht hatte, und die Worte, die vom Kaiser an Dantes gerichtet worden waren. Er fügte indessen mit dem Tone der tiefsten Teilnahme hinzu: Ichbitte Sie inständig, Herr von Villefort, seien Sie gerecht, wie Sie es sein müssen, gut, wie Sie es immer sind, und geben Sie uns schleunigst diesen armen Dantes zurück!
Das» geben Sie uns «klang in dem Ohre des Staatsanwalts ganz revolutionär.
Ei, ei, sagte er ganz leise zu sich selbst, geben Sie uns!.. sollte dieser Dantes zu irgend einer Massenverschwörung gehören, daß seinBeschützer sich unwillkürlich der Mehrzahlbedient? Man hat ihn, wie man mir sagte, in zahlreicher Gesellschaft verhaftet, das werden wohl seine Genossen gewesen sein! Laut fügte er hinzu: Mein Herr, Sie können vollkommen ruhig sein. Sie werden nicht vergeblich an meine Gerechtigkeit appelliert haben, wenn der Angeklagte unschuldig ist. Ist er dagegen schuldig, so werde ich genötigt sein, meine Pflicht zu tun.
Da er inzwischen die Tür seines unmittelbar an den Justizpalast stoßenden Hauses erreicht hatte, grüßte er mit eisiger Höflichkeit den unglücklichen Reeder, der wie versteinert auf dem Platzeblieb, und trat würdevoll in seine Wohnung. Das Vorzimmer war voll von Gendarmen und Polizeiagenten. Mitten unter ihnen stand, strengbewacht, ruhig und unbeweglich der Gefangene.
Villefort schritt durch das Vorzimmer, warf einen flüchtigenBlick auf Dantes, nahm einBündel Akten, das ihm ein Agent überreichte, und verschwand mit den Worten: Man führe den Gefangenen vor!
So rasch seinBlick auch gewesen war, so genügte er doch für Villefort, ihm einenBegriff von dem Menschen zu geben, den er verhören sollte. Auf dieserbreiten, offenen Stirn las er Verstand, im festen Auge Mut, in den fleischigen halbgeöffneten und elfenbeinweiße Zähne zeigenden Lippen Treuherzigkeit.
Einen Augenblick nach ihm trat Dantes ein. Der junge Mann war immer nochbleich, aber ruhig und sorglos. Er verbeugte sich vor seinem Richter mit ungezwungener Artigkeit und suchte dann mit den Augen einen Stuhl, alsbefände er sich im Zimmer des Reeders Morel.
Jetzt erstbegegnete er Villeforts düstermBlicke, demBlicke, der den Männern des Gesetzes eigentümlich ist, die nicht in ihren Gedanken lesen lassen wollen. DieserBlickbelehrte ihn, daß er sich vor der strengen Justizbefand.
Wer sind Sie und wie heißen Sie? fragte Villefort, in den Aktenblätternd, diebereits sehr umfangreich geworden waren.
Ich heiße Edmond Dantes undbin Sekond anBord des Schiffes Pharao.
Was taten Sie in dem Augenblick, wo Sie verhaftet wurden?
Ich wohnte meinem Verlobungsmahlebei, mein Herr, sagte Dantes mit leichtbewegter Stimme, so schmerzlich war der Kontrast jener Augenblicke der Freude mit der traurigen Szene, in der er hier auftrat, so sehr ließ Herrn von Villeforts, düsteres Gesicht seiner Mercedes' strahlendes Antlitz in um so hellerem Lichte erglänzen.
Sie wohnten Ihrem Verlobungsmahlebei? sagte Villefort, unwillkürlichbebend. So unempfindlich er gewöhnlich war, so erregte ihn doch dies Zusammentreffen lebhaft, und Dantes'bewegte Stimme erweckte eine sympathische Fiber im Grunde seiner Seele. Er heiratete auch, er war auch glücklich, wie Dantes, und man hatte ihn in seinem Glücke gestört, damit er zur Vernichtung der Freude eines Menschenbeitrüge, der, wie er, seiner Seligkeit so nahe stand.