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Und er senkte seinen Karabiner gegen Dantes, der das Ende des Laufes an seiner Schläfe fühlte. Einen Augenblick hatte er wirklich den Gedanken, die verboteneBewegung zu machen und so dein entsetzlichen Unglück, das ihn plötzlich mit seinen Geierkrallen gepackt hatte, ein Ende zubereiten. Aber gerade weil dieses Unglück so unerwartet gekommen war, dachte Dantes, es könnte nicht lange währen. Dann erinnerte er sich wieder der Versprechungen des Herrn von Villefort, und endlich kam ihm der Tod auf demBoden eines Fahrzeugs von der Hand eines Gendarmen häßlich, ekelhaft vor. — Er fiel also nieder auf den Grund derBarke, stieß ein Geheul der Wut aus und zernagte sich wie ein Wahnsinniger die Hände.

Beinahe in demselben Augenblicke erschütterte ein heftiger Stoß das Schiff. Einer von den Ruderern sprang auf den Felsen, den das Vorderteil derBarkeberührt hatte. Ein Seil ächzte, sich um einenBlock abwindend, und Dantes erkannte, daß man angelangt war und das Schiff anband.

Seine Wächter, die ihn zugleich am Arme und am Kragen hielten, nötigten ihn aufzustehen, zwangen ihn ans Land zu steigen und zogen ihn zu den Stufen, die nach dem Tore der Zitadelle führen. Dantes leistete übrigens keinen Widerstand. Sein langsamer Gang war eher die Folge von Willenlosigkeit, als von Widerstreben. Er warbetäubt und schwankte wie einBetrunkener; er sah abermals Soldaten, er fühlte Stufen, die ihn nötigten, seine Füße aufzuheben, erbemerkte, daß er unter einen Torweg kam und daß das Tor sich hinter ihm schloß, aber dies alles nahm er nur unwillkürlich wahr wie durch einen Nebel, ohne etwasBestimmtes zu unterscheiden. Er sah sogar das Meer nicht mehr, denn es faßte ihn der ungeheure Schmerz der Gefangenen, die das furchtbare Gefühl übermannt, daß sie gegen ihre Umgebung völlig ohnmächtig sind.

Einen Augenblick wurde ein Halt gemacht, während dessen er seinen Geist zusammenzufassen suchte. Erbefand sich in einem viereckigen, von vier hohen Mauern gebildeten Hofe. Man hörte den langsamen, regelmäßigen Tritt der Schildwachen und sah den Lauf ihrer Flinten funkeln. Hier wartete man ungefähr zehn Minuten. Überzeugt, daß Dantes nicht mehr entfliehen konnte, hatten ihn die Gendarmen losgelassen.

Geh, sagten die Gendarmen, Dantes fortschiebend. Der Gefangene folgte seinem Führer, der ihn nun in ein unterirdisches Gemach geleitete, dessen nackte, feuchte Wände von Tränen geschwängert zu sein schienen. Eine Art von Lampe auf einem Schemel, deren Docht in stinkendem Fett schwamm, beleuchtete die glänzenden Mauern dieses abscheulichen Aufenthaltes und zeigte Dantes seinen Führer, einen schlecht gekleideten, gemein aussehenden Gefangenwärter.

Das ist Ihr Zimmer für diese Nacht, sagte er, es ist schon spät, und der Herr Gouverneur hat sichbereits zuBett gelegt. Wenn er morgen erwacht und von den SiebetreffendenBefehlen Kenntnis genommen hat, wird er Ihnen vielleicht eine andere Wohnung anweisen. Inzwischen finden Sie hierBrot, Wasser in diesem Kruge und Stroh in einem Winkel da unten. Das ist alles, was ein Gefangener wünschen kann.

Und ehe Dantes daran dachte, seinen Mund zu einer Antwort zu öffnen, ehe erbemerkte, wohin der Kerkerknecht diesesBrot gelegt hatte, hatte der Gefangenwärter die Lampe genommen und, indem er die Tür schloß, denbläulichen Widerschein entzogen, der ihm, wiebei dem Schimmer einesBlitzes, die feuchten Wände seines Gefängnisses gezeigt hatte.

Erbefand sich nun allein in der Finsternis und in einer Stille, so stumm und so düster, wie diese Gewölbe, deren eisige Kälte er auf seine glühende Stirn sich herabsenken fühlte.

Als die ersten Strahlen des Morgens etwas Klarheit in diese Höhle gebracht hatten, kam der Gefangenwärter mit demBefehle zurück, den Gefangenen zu lassen, wo er war. Dantes hatte den Platz nicht verändert. Eine eiserne Hand schien ihn an die Stelle genagelt zu haben, auf der er am Abend zuvor gestanden hatte. Die ganze Nacht hatte er so, stehend und ohne einen Augenblick zu schlafen, zugebracht. Der Gefangenwärter näherte sich ihm, ging um ihn herum, aber Dantes schien ihn nicht zu sehen. Er schlug ihm auf die Schulter; Dantesbebte und schüttelte den Kopf.

Haben Sie denn nicht geschlafen? fragte der Gefangenwärter.

Ich weiß es nicht, antwortete Dantes.

Der Gefangenwärter schaute ihn erstaunt an. Haben Sie keinen Hunger? fuhr er fort.

Ich weiß es nicht, antwortete Dantes abermals.

Wünschen Sie etwas?

Ich wünsche den Gouverneur zu sehen.

Der Gefangenwärter zuckte die Achseln und entfernte sich. Dantes folgte ihm mit den Augen und streckte die Hände nach der halbgeöffneten Tür aus, aber die Tür schloß sich wieder. Dann schien sich seineBrust in einem langen Schluchzen zu zerreißen. Seine Tränen, von denen seine Augenlider anschwollen, flossen reichlich. Er warf sich mit der Stirn auf die Erde, betete lange, durchlief in seinem Geiste sein ganzes vergangenes Leben und fragte sich, welches Verbrechen er, noch so jung, begangen hätte, das eine so grausameBestrafung verdiente. So ging der Tag hin. Kaum aß er einigeBissenBrot und trank ein paar Tropfen Wasser. Bald saß er in Gedanken versunken, bald lief er im Gefängnis umher wie ein wildes Tier, das in einem eisernen Käfig eingeschlossen ist.

Ein Gedankebesonders ließ ihn immer wieder auffahren, daß er nämlich während der Überfahrt zehnmal imstande gewesen wäre, sich ins Meer zu werfen, bei seiner Geschicklichkeit im Schwimmen unter dem Wasser zu verschwinden, seinen Wächtern zu entgehen, die Küste zu erreichen, zu fliehen, sich in irgend einer verlassenenBucht zu verbergen, ein genuesisches oder katalanisches Schiff zu erwarten, Italien oder Spanien zu erreichen und von dort aus Mercedes zu schreiben, sie möge zu ihm kommen. Wegen seines Fortkommensbrauchte er nirgendsbesorgt zu sein; gute Seeleute sind überall gesucht. Er sprach Italienisch wie ein Toskaner, Spanisch wie ein Kind Altkastiliens. Er hätte frei und glücklich mit Mercedes und seinem Vater gelebt, denn sein Vater wäre ihm auch nachgefolgt, während er nun als Gefangener im Kastell If eingeschlossen war und nicht wußte, was aus seinem Vater, was aus Mercedes wurde, und dies alles, weil er an Villeforts Wort geglaubt hatte. Dantes wälzte sich wütend und wie wahnsinnig auf dem frischen Stroh, das ihm der Gefangenwärter gebracht hatte.

Am andern Tage erschien dieser zu derselben Stunde.

Nun, sagte er, sind Sie heute vernünftiger als gestern?

Dantes antwortete nicht.

Auf, sagte der Gefangenwärter, Mut gefaßt! Wünschen Sie etwas, worüber ich zu verfügen habe, so sagen Sie es.

Ich wünsche den Gouverneur zu sprechen.

Ei, erwiderte der Gefangenwärter ungeduldig, ich sage Ihnen, das ist ganz unmöglich. Nach der Vorschrift des Gefängnisses ist eine solcheBitte den Gefangenen nicht gestattet.

Und was ist denn hier erlaubt? fragte Dantes.

Einebessere Kost gegenBezahlung, ein Spaziergang und zuweilenBücher.

Ichbrauche keineBücher, ich habe keine Lust spazieren zu gehen und finde meine Nahrung gut. Ich will also nur eines: den Gouverneur sehen.

Wenn Sie mich dadurch ärgern, daß Siebeständig dasselbe wiederholen, sagte der Gefangenwärter, sobringe ich Ihnen nichts mehr zu essen.

Gut, erwiderte Dantes, wenn du mir nichts mehr zu essenbringst, so sterbe ich Hungers.

Der Ton, in dem Dantes diese Worte sprach, bewies dem Schließer, daß sein Gefangener den Tod herbeisehnte. Da nun jeder Gefangene seinem Wärter täglich ungefähr zehn Sous einträgt, so dachte der Schließer an den Verlust, den für ihn ein solcher Todesfallbedeutete, und er versetzte freundlicher: Hören Sie mich! Was Sie wünschen ist unmöglich, verlangen Sie es also nicht mehr von mir, denn es gibt keinBeispiel, daß der Gouverneur in das Zimmer eines Gefangenen auf dessenBitte gekommen wäre. Seien Sie nur vernünftig, und man wird Ihnen den Spaziergang erlauben, dann ist es möglich, daß der Gouverneur einmal, während Sie spazieren gehen, vorüberkommt. Sie können ihn hierbei anreden, und wenn er antworten will, ist das seine Sache.