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Villefort rang mit aller Macht seineBewegung nieder und erwiderte: Der Name dieses jungen Mannes? Haben Sie die Güte, mir seinen Namen zu sagen.

Edmond Dantes. Villefort hätte offenbar lieber der Pistole eines Duellgegners stand gehalten, als diesen Namen so geradezu aussprachen hören; er verzog jedoch keine Miene. Dantes? Edmond Dantes, sagen Sie? wiederholte er und öffnete ein dickes Register, das in einem nahen Fache lag, ging an einen Tisch, von dem Tische zu einem Haufen Aktenbündeln und sagte, sich zum Reeder wendend, mit äußerst unschuldiger Miene:

Warten Sie, ich habe es. Es ist ein Seemann, nicht wahr, der eine Katalonierin heiratete? Ja, ja; oh, ich erinnere mich jetzt, die Sache war sehr ernster Natur.

Wieso?

Sie wissen, daß er von hier in das Gefängnis des Justizpalastes geführt wurde. Acht Tage daraufbrachte man ihn fort, man wird ihn nach Fenestrelles, nach Pignerol oder auf die Sainte‑Marguerite‑Inseln transportiert haben. Von dort werden Sie ihn eines schönen Tages wiederkehren und das Kommando seines Schiffes übernehmen sehen.

Er mag kommen, wann er will, seine Stellebleibt ihm offen. Doch warum ist er nicht zurückgekehrt?

Von dem durch das Gesetz vorgeschriebenen Wege dürfen wir nicht abweichen, erwiderte Villefort. Der Einkerkerungsbefehl war von oben gekommen, der Freilassungsbefehl muß auch von oben kommen. Napoleon aber ist erst seit vierzehn Tagen zurückgekehrt, und dieBegnadigungsschreiben können kaum ausgefertigt sein.

Gibt es denn kein Mittel, fragte Morel, die Förmlichkeiten zubeschleunigen, jetzt, da wir triumphieren? Ich habe verschiedene Freunde und einigen Einfluß; ich vermag die Aufhebung des Spruches zu erlangen.

Es fand kein Spruch statt.

Aber es muß doch eine Gefangenenliste geben.

Bei politischen Vergehen gibt es keine Gefangenenlisten. Die Regierungen haben oft ein Interesse daran, einen Menschen verschwinden zu lassen, ohne daß eine Spur von seinem Vorhandensein übrigbleibt.

Dies war unter denBourbonen so, doch jetzt…

Das ist zu allen Zeiten so, Herr Morel. Eine Regierung folgt der andern, und eine gleicht der andern. Die unter Ludwig XIV. eingerichtete Strafmaschine ist noch heutigen Tages im Gange fastbis auf dieBastille. Der Kaiser handhabte die Gefängnisvorschriften noch strenger als der große König selbst, und die Zahl der Eingekerkerten, von denen sich in den Registern keine Spur findet, ist unberechenbar.

Morel hegte nicht den geringsten Verdacht mehr und fragte: Was würden Sie mir raten zurBeschleunigung der Rückkehr des armen Dantes zu tun?

Es gibt nur ein Mitteclass="underline" Richten Sie eineBittschrift an den Justizminister.

Und Sie wollen es übernehmen, dieseBittschrift an ihr Ziel gelangen zu lassen?

Mit größtem Vergnügen. Dantes konnte damals schuldig sein, heute ist er unschuldig, und es ist meine Pflicht, dem die Freiheit wiederzugeben, den ich meiner Pflicht gemäß ins Gefängnis setzen mußte.

Villefort kam auf diese Art der Gefahr einer nicht sehr wahrscheinlichen, aber doch möglichen Untersuchung zuvor, die ihn hätte ins Verderben stürzen müssen.

Setzen Sie sich also hierher, Herr Morel, sagte Villefort, dem Reeder seinen Platz abtretend, ich will Ihnen diktieren. Villefortbebtebei dem Gedanken an den in der Stille und Finsternis ihn verfluchenden Gefangenen; aber er war zu weit gegangen, um zurückweichen zu können. Dantes mußte vom Räderwerke seines Ehrgeizes zermalmt werden.

Villefort diktierte nun eineBittschrift, in der er in anscheinend vortrefflicher Absicht Dantes' Patriotismus und die von ihm derbonapartistischen Sache geleisteten Dienste übertrieb. In dieserBittschrift war Dantes als einer der tätigsten Agenten für die Rückkehr Napoleons dargestellt, und es schien keinem Zweifel zu unterliegen, daß der Minister, der dieses Papier in die Händebekam, dem Armen sofort Gerechtigkeit widerfahren ließ.

Und diese Eingabe wirdbald abgehen? fragte Morel.

Noch heute. — Mit einemBegleitberichte von Ihnen?

DerbesteBericht, den ichbeifügen kann, besteht darin, daß ich alles, was Sie in dieserBittschrift sagen, bestätige.

Villefort setzte sich nun ebenfalls und schriebauf eine Ecke der Eingabe seine Zustimmung.

Was soll ich nun weiter tun? sagte Morel.

Warten, versetzte Villefort, ich stehe für alles.

Diese Versicherung gabMorel die Hoffnung wieder. Er verließ entzückt den Staatsanwalt und kündigte Dantes' altem Vater an, er würde seinen Sohnbald wiedersehen. Villefort aber, statt dieseBotschaft nach Paris zu schicken, behielt sie in seinen Händen und verwahrte sie sorgfältig.

Dantesbliebalso gefangen; in der Tiefe seines Kerkers verloren, hörte er nichts von dem geräuschvollen Einsturz des Thrones Ludwigs XVIII., oder von dem noch lauteren Krachenbeim Zusammenbruch des Kaiserreiches. Villefort aber hatte alles mit wachsamem Auge verfolgt, alles mit aufmerksamem Ohre gehört. Zweimal war während dieser kurzen Kaiserzeit, die man die hundert Tage nannte, Morel, auf Dantes' Freilassung dringend, zu Villefort gekommen, und jedesmal hatte dieser ihn durch Versprechungen und Hoffnungenbeschwichtigt. Endlich kam der Tag von Waterloo, und Napoleon wurde Gefangener auf Sankt Helena. Jetzt zeigte sich Morel nicht mehrbei Villefort. Der Reeder hatte für seinen jungen Freund alles getan, was ein Mensch tun konnte. Neue Versuche unter dieser zweiten Restauration machen, hieß sich nutzlos selbst gefährden.

Ludwig XVIII. bestieg wieder den Thron. Villefort, für den Marseille voll von Erinnerungen war, die ihm zuweilen Gewissensbissebereiteten, erbat sich und erhielt die unbesetzte Stelle des Staatsanwalts in Toulouse. Vierzehn Tage später heiratete er Fräulein von Saint‑Meran, deren Vaterbei dem Hofe höher als je in Gunst stand.

So verharrte Dantes während der hundert Tage und auch nach Waterloo hinter Schloß und Riegel.

Danglars, der vorher triumphiert und das Gelingen seiner Denunziation in heuchlerischer Verblendung eine Fügung der Vorsehung genannt hatte, wurde von Angst ergriffen, als Napoleon wieder in Paris war und seine Stimme abermals gebieterisch erschallte. Er erwartete jeden Augenblick, Dantes drohend und stark wieder erscheinen zu sehen. Er eröffnete deshalbHerrn Morel seinen Wunsch, den Seedienst zu verlassen, und reiste nach Madrid ab. Seitdem hörte man nichts mehr von ihm.

Fernandbegriff nichts von allem. Dantes war nicht da; was aus ihm geworden war, wollte er gar nicht wissen. Während der ganzen Frist, die ihm die Abwesenheit des Nebenbuhlers gewährte, strengte er seine Erfindungskraft an, teils um Mercedes über die Ursachen undBeweggründe dieser Abwesenheit zu täuschen, teils um Auswanderungs- und Entführungspläne auszusinnen. Manchmal, in trüben Stunden, setzte er sich wohl auf die Spitze des Kap Pharao und schaute traurig und unbeweglich wie ein Raubvogel hinaus, ober nicht den jungen Mann mit dem freien Gange und dem hoch erhobenen Kopfe erblickte, der auch für ihn der Künder schwerer Rache sein mußte. Dann stand sein Plan fest. Er wollte Dantes mit einem Flintenschusse den Schädel zerschmettern und sich hernach selbst töten, wie er sich, um seinen Mordplan zubeschönigen, vorredete.

Mittlerweile rief das Kaiserreich einen neuen Heerbann auf, und alles, was sich in Frankreich an waffenfähiger Mannschaft vorfand, eilte auf die mächtige Stimme des Kaisers herbei. Auch Fernand mußte dem Rufe folgen. Er verließ seine Hütte und Mercedes, von dem grausamen Gedanken zermartert, sein Nebenbuhler könnte in der Zwischenzeit kommen und die Geliebte heiraten.

Seine Aufmerksamkeiten für Mercedes, das Mitleid, das er für ihr Unglück zu empfinden schien, die Sorge, mit der er ihren geringsten Wünschen zuvorkam, hatten die Wirkung hervorgebracht, die der Schein der Ergebenheit auf edle Herzen immer hervorbringt. Mercedes hatte stets eine freundschaftliche Zuneigung für Fernand gehegt, und ihre Freundschaft für ihn vermehrte sich durch ein neues Gefühl, durch die Dankbarkeit. MeinBruder, sagte sie, als sie den Tornister auf den Schultern des Kataloniersbefestigte, meinBruder, mein einziger Freund, laßt Euch nicht töten, laßt mich nicht allein in dieser Welt, wo ich weinen muß und völlig vereinsamtbin, sobald Ihr nicht mehr lebt.