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Diese im Augenblick der Trennung gesprochenen Worte gewährten Fernand wieder einige Hoffnung. Wenn Dantes nicht zurückkam, konnte Mercedes eines Tages die Seinige werden.

Mercedesblieballein auf dieser kalten Erde, die ihr nie so öde vorgekommen war, allein, mit dem unermeßlichen Meere als Horizont. Ganz in Tränen gebadet sah man siebeständig um das kleine Dorf der Katalonier irren. Bald stand sie unter der glühenden Mittagssonne, unbeweglich, stumm wie eineBildsäule, und schaute nach Marseille; bald saß sie am Rande des Gestades, horchte auf das Stöhnen des Meeres, so ewig wie ihr Schmerz, und fragte sich, obes nichtbesser wäre, sich vorwärts zubeugen, sich dem eigenen Gewichte zu überlassen, den Abgrund zu öffnen und sich darein zu versenken, statt diebeständige Trauer einer hoffnungslosen Erwartung zu ertragen. Es fehlte ihr nicht an Mut, dieses Vorhaben zu verwirklichen, aber die Religion kam ihr zu Hilfe undbewahrte sie vor dem Selbstmord.

Caderousse wurde einberufen wie Fernand; da er jedoch verheiratet und acht Jahre älter war, als der Katalonier, kam er zum dritten Aufgebote und wurde zur Küstenverteidigung verwandt.

Der alte Dantes, den nur die Hoffnung aufrecht erhalten hatte, verlor diesebei dem Sturze des Kaisers. Genau fünf Monate, nachdem er von seinem Sohne getrennt worden war, und fast zur selben Stunde, wo man ihn verhaftet hatte, gaber in Mercedes' Armen den Geist auf. Herr Morel übernahm alle Kosten seinerBeerdigung undbezahlte die geringen Schulden, die der Greis während seiner Krankheit gemacht hatte. Es war mehr als Wohltätigkeit, so zu handeln, es gehörte Mut dazu. Der Süden Frankreichs stand in Flammen, und den Vater eines so gefährlichenBonapartisten, wie Dantes, selbst auf dem Totenbette zu unterstützen, war ein Verbrechen.

Der wütende Gefangene und der verrückte Gefangene

Ungefähr ein Jahr nach der Rückkehr Ludwigs XVIII. unternahm der Generalinspektor der Gefängnisse eine Rundreise. Erbesuchte wirklich hintereinander alle Zellen und Kerker. Mehrere Gefangene des Kastells If wurden ebenfalls vernommen; der Inspektor fragte sie über die Nahrung, die man ihnen verabreichte, und was sie etwa sonst noch zu wünschen hätten. Sie antworteten einstimmig, das Essen sei abscheulich, und sie wünschten, frei zu sein.

Der Inspektor fragte sie, obsie ihm weiter nichts mitzuteilen hätten. Sie schüttelten den Kopf; was konnten Gefangene anderes verlangen, als die Freiheit?

Der Inspektor wandte sich um und sagte zu dem Gouverneur:»Ich weiß nicht, warum man uns diese unnützen Rundreisen machen läßt. Wer ein Gefängnis sieht, sieht hundert; wer einen Gefangenen hört, hört tausend. Es ist stets das gleiche: schlecht genährt und unschuldig. Haben Sie noch andere?

Ja, wir haben gefährliche Gefangene oder Narren, die im Kerkerbewacht werden müssen.

Laßt sie sehen, sagte der Inspektor gelangweilt, ich darf mir nichts sparen.

Warten Sie, sagte der Gouverneur, wir müssen wenigstens zwei Soldaten zum Schutze haben. Die Gefangenenbegehen zuweilen, und wäre es nur aus Lebensüberdruß und um sich zum Tode verurteilen zu lassen, Taten der Verzweiflung, und Sie könnten das Opfer einer solchen Handlung werden.

Man holte wirklich zwei Soldaten und stieg eine feuchte, übelriechende, schimmelige Treppe hinab.

Oho! rief der Inspektor, auf der Hälfte der Treppe stehenbleibend, wer zum Teufel kann hier wohnen?

Einer der gefährlichsten Meuterer, ein Mensch, der uns als zu allem fähig zubesonderer Wachsamkeit empfohlen ist.

Wie lange ist er hier?

Seit ungefähr einem Jahre, nachdem er den Schließer hatte töten wollen, hat man ihn in diesen Kerker gesetzt.

Er ist also toll?

Er ist noch viel schlimmer, sagte der Schließer, er ist ein Teufel.

Wollen Sie, daß ich Klage über ihn führe? fragte der Inspektor den Gouverneur.

Esbedarf dessen nicht, mein Herr, er ist so hinreichendbestraft. Überdies grenzt sein Zustand gegenwärtig an Narrheit, und nach der Erfahrung, die wir gemacht haben, wird er, ehe ein weiteres Jahr vergeht, verrückt sein.

Destobesser für ihn, sagte der Inspektor. Ist er einmal ein völliger Narr, so wird er weniger leiden.

Sie haben recht, sagte der Gouverneur, so haben wir in einem Kerker, der von diesem nur durch etwa zwanzig Fuß Mauerwerk getrennt ist, einen alten Abbé, einen ehemaligen italienischen Parteiführer. Er ist seit 1811 hier, wurde gegen das Ende des Jahres 1813 verrückt, und seit dieser Zeit ist er körperlich nicht mehr zu erkennen; früher weinte er, jetzt lacht er; früher magerte er ab, jetzt wird er fett.

Bei dem Klirren der schweren Schlösser, bei dem Ächzen der verrosteten Angeln, die sich auf ihren Zapfen drehten, erhobDantes sein Haupt. Beim Anblick eines unbekannten Mannes, der von zwei fackeltragenden Schließern und zwei Soldatenbegleitet war, und mit dem der Gouverneur sprach, erriet er, worum es sich handelte, und sprang, da er sah, daß sich ihm endlich eine Gelegenheitbot, einen höherenBeamten anzuflehen, mit gefalteten Händen vorwärts. Die Soldaten kreuzten sogleich dasBajonett, denn sie glaubten, der Gefangene stürze inböser Absicht auf den Inspektor los; auch dieser selbst machte einen Schritt rückwärts.

Als Dantes sah, daß man ihn als einen gefährlichen Menschen hingestellt halte, sammelte er in seinemBlicke alles, was das Herz des Menschen an Sanftheit und Demut zu enthalten vermag, und suchte mit ergreifenden, Gott als Zeugen seiner Unschuld und seines Elends anrufenden Worten, welche die Anwesenden in Erstaunen setzten, die Seele des hohenBesuchers zu rühren.

Der Inspektor hörte Dantes' Redebis zum Ende an.

Er fängt an, fromm zu werden, sagte er hierauf zum Gouverneur mit halber Stimme; schon gibt er sanfteren Gefühlen Raum. Sehen Sie, die Furchtbringt ihre Wirkung auf ihn hervor. Er ist vor denBajonetten zurückgewichen, ein Narr aber weicht vor nichts zurück; ich habe hierüber in der Irrenanstalt in Charenton seltsameBeobachtungen gemacht. Dann sich an den Gefangenen wendend, fragte er: Was verlangen Sie also?

Ich verlange zu wissen, welches Verbrechen ichbegangen habe; ich verlange, daß man mir Richter gibt; ich verlange, daß mein Prozeß eingeleitet wird; ich verlange, daß man mich erschießt, wenn ich schuldigbin, aber auch, daß man mich in Freiheit setzt, wenn ich unschuldigbin.

Bekommen Sie gute Speise? fragte der Inspektor.

Ja, ich glaube; ich weiß es nicht. Doch daran ist wenig gelegen. Aber was nicht allein mich, den armen Gefangenen, sondern auch alle Justizbeamten und sogar den König angeht, das ist, daß ein Unschuldiger nicht das Opfer einer schändlichen Denunziation sein und nicht seine Henker verfluchend eingekerkertbleiben soll.

Sie find heute sehr demütig, sagte der Gouverneur, Sie waren nicht immer so. Sie sprachen ganz anders, mein lieber Freund, an dem Tage, wo Sie Ihren Wärter ermorden wollten.

Das ist wahr, antwortete Dantes, und ichbitte diesen Mann um Verzeihung, denn er ist stets gut gegen mich gewesen; aber was wollen Sie? Ich war verrückt, ich war wütend.

Und Sie sind es nicht mehr?

Nein, Herr; denn die Gefangenschaft hat mich gebeugt, gebrochen, vernichtet… Es ist schon so lange, daß ich hierbin!

So lange… wann sind Sie denn verhaftet worden?

Am 28. Februar 1815 um zwei Uhr nachmittags.

Der Inspektor rechnete: Wir haben den 30. Juli 1816; was wollen Sie? Sie sind erst seit siebzehn Monaten gefangen.