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Es ist nichts, sagte der Graf, ichbitte tausendmal um Vergebung, mein lieber Freund, ichbin ausgeglitten und habe dabei an das Fenster gestoßen. Da es nun einmal zerbrochen ist, so will ich diesbenutzen, umbei Ihnen einzutreten; bemühen Sie sich nicht!

Der Graf streckte den Arm durch die zerbrochene Scheibe und öffnete die Tür. Morel erhobsich offenbar ärgerlich und ging dem Grafen entgegen, doch weniger um ihn zu empfangen, als um ihm den Weg zu versperren.

Sind Sie verwundet, mein Herr? fragte er.

Ich weiß es nicht. Doch was machten Sie denn da? Sie schrieben?

Es ist wahr, antwortete Morel, ich schrieb; das kommtbei mir manchmal vor, obgleich ich Soldatbin.

Monte Christo machte einige Schritte im Zimmer, Morel mußte den Grafen vorüberlassen, folgte ihm jedoch.

Sie schrieben? versetzte Monte Christo mit einem unheimlich scharfenBlicke, dann schaute er umher.

Ihre Pistolen neben dem Schreibzeug? sagte er, auf die Waffen deutend, die auf dem Schreibtisch lagen.

Ich mache eine Reise, antwortete Maximilian trotzig.

Mein Freund! sagte Monte Christo mit unendlich weicher Stimme, mein lieber Maximilian, keine heftigen Entschlüsse, ichbitte Sie!

Ich, heftige Entschlüsse, versetzte Morel, die Achseln zuckend; ich frage Sie, wieso ist eine Reise ein heftiger Entschluß?

Maximilian, sagte Monte Christo, legen wir die Maskebeiseite, die wir gegenseitig tragen. Maximilian, Sie täuschen mich ebensowenig durch diese erheuchelte Ruhe, wie ich Sie mit dem Anschein oberflächlicher Teilnahme täusche. Morel, meine herzliche Empfindung für Sie sagt es mir, Sie wollen sich töten.

Gut! versetzte Morel schauernd. Woher kommen Sie auf diesen Gedanken, Herr Graf?

Ich sage Ihnen, daß Sie sich töten wollen, fuhr der Graf mit demselben Tone fort, hier ist derBeweis.

Und er trat zu dem Schreibtisch, hobdas weißeBlatt auf, das der junge Mann auf einen angefangenenBrief geworfen hatte, und nahm denBrief.

Morel stürzte auf ihn zu, um das Papier seinen Händen zu entreißen. Doch Monte Christo sah dieseBewegung voraus und kam ihm zuvor, indem er ihnbeim Faustgelenk faßte und zurückhielt.

Sie sehen, daß Sie sich töten wollten, Morel, sagte der Graf, Sie haben es hier selbst geschrieben!

Nun wohl! rief Morel mit einmal von scheinbarer Ruhe zur größten Heftigkeit übergehend; nun wohl, wenn dem so wäre, wenn ichbeschlossen hätte, den Pistolenlauf gegen mich zu richten, wer wollte mich hindern, wer hätte den Mut, mich zu hindern? Wenn ich sage: Alle meine Hoffnungen sind zertrümmert, mein Herz ist gebrochen, mein Leben ist erloschen, es gibt nur noch Trauer und Ekel um mich her! Wenn ich sage: Es ist Mitleid, mich sterben zu lassen, denn wenn man mich nicht sterben läßt, so verliere ich den Verstand und werde wahnsinnig. Sprechen Sie, mein Herr, wenn ich dies sage, und man sieht, daß ich es mit der Angst und den Tränen meines Herzens sage, wird man mir antworten: Du hast unrecht? Wird man mich verhindern, nicht mehr der Unglücklichste zu sein? Sprechen Sie, mein Herr, haben Sie den Mut hierzu?

Ja, Morel, erwiderte Monte Christo mit einer Stimme, deren Ruhe seltsam mit der Ausregung des jungen Mannes im Widerspruche stand; ja, ich habe den Mut.

Sie! rief Morel mit einem wachsenden Ausdrucke von Zorn und Vorwurf; Sie, der mich mit einer törichten Hoffnung kirrte; Sie, der mich mit leeren Versprechungen zurückhielt und einschläferte, während ich durch einen äußersten Entschluß sie vielleicht hätte retten oder wenigstens in meinen Armen sterben sehen können; Sie, der alle Mittel des Geistes, alle Kräfte der Materie zubesitzen vorgibt; Sie, der aus der Erde die Rolle der Vorsehung spielt oder zu spielen sich den Anschein verleiht, und der nicht einmal die Machtbesitzt, einem vergifteten Mädchen ein Gegengift zu reichen! Ah! In der Tat, mein Herr, Sie würden mir Mitleid einflößen, flößten Sie mir nicht Abscheu ein!

Morel…

Ja, Sie haben mir gesagt, wir wollen die Masken ablegen: wohl, Sie sollenbefriedigt werden, ich lege sie ab. Ja, als Sie mir nach dem Kirchhofe folgten, antwortete ich Ihnen noch, denn ichbin gutmütig; als Sie hier eintraten, ließ ich Siebis zu dieser Stelle kommen… Doch da Sie meine Güte mißbrauchen, da Sie mir sogar in meinem Zimmer trotzen, in das ich mich als in mein Grabzurückgezogen habe, da Sie mir eine neue Qualbringen, mir, der alle erschöpft zu haben glaubte, Graf von Monte Christo, mein angeblicher Wohltäter; Graf von Monte Christo, allgemeiner Retter, seien Sie zufrieden, Sie werden Ihren Freund sterben sehen.

Und das Lächeln des Wahnsinns auf den Lippen, stürzte Morel zum zweiten Male nach den Pistolen.

Bleich wie ein Gespenst, aber mitblitzenden Augen streckte Monte Christo die Hand nach den Waffen aus und sagte: Und ich wiederhole Ihnen, Sie werden sich nicht töten!

Hindern Sie mich doch! versetzte Morel mit einem letzten Sprunge, der sich, wie der erste, an dem stählernen Arme des Grafenbrach.

Ich werde Sie hindern.

Doch wer sind Sie denn, daß Sie sich dieses Recht über freie und denkende Geschöpfe anmaßen? rief Maximilian.

Wer ichbin? wiederholte Monte Christo. Hören Sie: Ichbin der einzige Mensch auf der Welt, derberechtigt ist, Ihnen zu sagen: Morel, ich will nicht, daß der Sohn deines Vaters heute stirbt!

Und majestätisch, erhaben, ging Monte Christo mit gekreuzten Armen auf den zitternden jungen Mann zu, der, unwillkürlich durch das erhabene Wesen dieses Menschenbesiegt, einen Schritt zurückwich.

Warum sprechen Sie von meinem Vater? stammelte er, warum mischen Sie die Erinnerung an meinen Vater in das, was mir heutebegegnet?

Weil ich derbin, der deinem Vater eines Tages das Leben gerettet hat, als er sich töten wollte, wie du dich heute töten willst; weil ich der Mannbin, der deiner jungen Schwester dieBörse und dem alten Morel den Pharao geschickt hat; weil ich Edmond Dantesbin, der dich als Kind auf seinem Schoße spielen ließ!

Morel machte wankend, keuchend noch einen Schritt rückwärts, dann verließen ihn seine Kräfte, und er stürzte mit einem gewaltigen Schrei zu den Füßen Monte Christos nieder.

Plötzlich trat in Morels starkem Geiste eine rasche, vollständige Wiedergeburt ein; er stand auf, sprang aus dem Zimmer, eilte auf die Treppe und rief mit der ganzen Macht seiner Stimme: Julie! Julie! Emanuel!

Monte Christo wollte ebenfalls hinauseilen; doch Maximilian hätte sich lieber töten lassen, als daß er von den Angeln der Tür gewichen wäre, die er gegen den Grafen zurückdrückte.

Auf Maximilians Geschrei liefen Julie, Emanuel, Penelon und einige Diener erschrocken herbei.

Morel faßte siebei den Händen, öffnete die Tür wieder und rief mit einer fast erstickten Stimme: Auf die Knie! Auf die Knie! Es ist der Wohltäter, es ist der Retter unseres Vaters! Es ist…

Er wollte sagen: Es ist Edmond Dantes! Doch der Graf hielt ihn zurück.

Julie stürzte auf die Hand des Grafen, Emanuel umfaßte ihn wie einen Schutzgott, Morel fiel zum zweiten Male auf die Knie und schlug mit der Stirn aus denBoden.

Da fühlte der eherne Mann, wie sein Herz sich in seinerBrust erweiterte; die verzehrende Flamme stieg von seiner Kehle in seine Augen, er neigte das Haupt und weinte!

Einige Augenblicke erfüllte das Zimmer ein Zusammenklang edler Herzensergüsse, der denBewohnern des Himmels harmonisch geklungen haben müßte.

Julie hatte sich kaum von ihrer tiefen Erschütterung erholt, als sie hinausstürzte, die Treppe hinabeilte, mit einer kindischen Freude in den Salon lief und die kristallene Kugel aufhob, welche die ihr von dem Unbekannten der Allées de Meillan geschenkteBörsebeschützte.

Während dieser Zeit sprach Emanuel mit erschütterter Stimme zum Grafen: Oh! Herr Graf, wie konnten Sie, der uns so oft von unserem unbekannten Wohltäter sprechen hörte, wie konnten Siebis heute warten, ohne sich uns zu offenbaren? Oh! das ist eine Grausamkeit gegen uns, und ich möchtebeinahe sagen, Herr Graf, gegen Sie selbst.