Was ist das? fragte Mercedes.
1000 Franken, meine Mutter.
Woher hast du diese tausend Franken?
Hören Sie undbeunruhigen Sie sich nicht, gute Mutter!
Albert stand auf, küßte seine Mutter wiederholt und hielt nur inne, um ihr ins Gesicht zu schauen.
Sie können sich gar nicht denken, meine Mutter, wie schön ich Sie finde! sagte der junge Mann mit dem tiefen Gefühle kindlicher Liebe; Sie sind in der Tat die schönste, wie Sie die edelste aller Frauen sind, die ich je gesehen habe.
Teures Kind! sagte Mercedes, vergebensbemüht, eine Träne zurückzuhalten.
In der Tat, Sie mußten nur noch unglücklich werden, damit sich meine Liebe in Anbetung verwandle.
Ichbin nicht unglücklich, solange ich meinen Sohn habe.
Ganz richtig; doch hier fängt die Prüfung an, meine Mutter! Sie wissen, was verabredet ist?
Ist denn etwas zwischen uns verabredet?
Ja, daß Sie in Marseille wohnen, und daß ich nach Afrika abreise, wo ich mir einen neuen Namen verdienen will.
Mercedes stieß einen Seufzer aus.
Nun, meine Mutter, seit gesternbin ichbei den Spahis eingereiht, fügte der junge Mann mit niedergeschlagenen Augen hinzu. Ich glaubte, mein Körper gehöre mir und ich könnte ihn verkaufen; seit gesternbin ich Stellvertreter von irgend jemand. Ich habe mich verkauft, wie man sagt, und um eine größere Summe, als ich wert zu sein glaubte, nämlich um 2000 Franken.
Also diese 1000 Franken? fragte Mercedesbebend.
Sind die Hälfte der Summe, meine Mutter, die andere Hälfte kommt in einem Jahre.
Mercedes schlug die Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke zum Himmel auf, und Tränen strömten unter der inneren Aufregung über ihre Wangen.
Der Preis seinesBlutes! murmelte sie.
Ja, wenn ich getötet werde, erwiderte Albert. Aber ich versichere Ihnen, gute Mutter, daß ich im Gegenteil die Absicht habe, meine Haut grausam zu verteidigen; ich habe nie so viel Lust zu leben in mir gefühlt, wie gegenwärtig.
Mein Gott! mein Gott! rief Mercedes.
Überdies, warum soll ich getötet werden, meine Mutter? Ist Morel getötet worden? Bedenken Sie doch, welche Freude, wenn Sie mich mit einer gestickten Uniform zurückkommen sehen! Ich erkläre Ihnen, daß ich herrlich darin auszusehen hoffe und dieses Regiment aus Eitelkeit gewählt habe.
Mercedes seufzte, während sie zu lächeln versuchte; die Mutterbegriff, daß sie ihr Kind nicht dürfe die ganze Last des Opfers tragen lassen.
Sie sehen also, meine Mutter, fuhr Albert fort, es sindbereits mehr als 4000 Franken für Sie gesichert; mit dieser Summe werden Sie zwei volle Jahre leben.
Glaubst du? versetzte Mercedes.
Diese Worte entschlüpften der Gräfin mit dem Ausdruck so tiefen Schmerzes, daß ihr wahrer Sinn Albert nicht entging; er fühlte, wie sein Herz sich zusammenschnürte, nahm die Hand der Mutter, drückte sie zärtlich und sagte: Ja, Sie werden leben.
Ich werde leben, rief Mercedes, aber nicht wahr, du wirst nicht abreisen?
Meine Mutter, ich werde reisen, sagte Albert mit ruhiger, fester Stimme; Sie lieben mich zu sehr, um mich müßig und unnützbei sich zu lassen; überdies habe ich unterzeichnet.
So tu' nach deinem Willen, mein Sohn.
Nicht nach meinem Willen, meine Mutter, sondern nach den Geboten der Vernunft und der Notwendigkeit. Nicht wahr, wir sind zwei verzweifelte Geschöpfe? Was ist heute das Leben für Sie? Nichts. Was ist das Leben für mich? Oh! sehr wenig ohne Sie, meine Mutter, das glauben Sie mir; denn ohne Sie, das schwöre ich Ihnen, hätte dieses Leben an dem Tage aufgehört, wo ich an meinem Vater zweifelte und seinen Namen verleugnete! Ich lebe, wenn Sie mir versprechen, noch Hoffnung zu hegen; überlassen Sie mir die Sorge für Ihr zukünftiges Glück, so verdoppeln Sie meine Kräfte. Ich werde dort den Gouverneur von Algerien aufsuchen, der ein redliches Soldatenherz ist, ich erzähle ihm meine traurige Geschichte, ichbitte ihn, von Zeit zu Zeit die Augen dahin zu wenden, wo ich sein werde, und wenn er mir Wort hält, wenn er mich handeln sieht, sobin ich vor sechs Monaten Offizier oder tot. Bin ich Offizier, so ist Ihr Schicksal gesichert, meine Mutter, denn ich habe Geld für Sie und für mich und überdies einen neuen Namen, auf den wirbeide stolz sein können, denn es wird Ihr Name sein. Werde ich getötet… nun wohl! Werde ich getötet, liebe Mutter, so sterben Sie, wenn Sie so wollen, und dann hat unser Unglück sein Ziel gerade in seinem Übermaße gefunden.
Es ist gut, sagte Mercedes mit ihrem edlen, beredtenBlicke; du hast recht, mein Sohn; beweisen wir gewissen Leuten, die unsbeobachten, daß wir wenigstens desBeklagens würdig sind!
Keine traurigen Gedanken, teure Mutter, rief der junge Mann; ich schwöre Ihnen, daß wir glücklich sind, oder wenigstens glücklich werden können. Einmal im Dienste, bin ich reich; einmal in dem Marseiller Hause, sind Sie ruhig. Versuchen wir es, ichbitte Sie, meine Mutter.
Ja, versuchen wir es, mein Sohn, denn du sollst leben, du sollst glücklich sein.
Unsere Teilung ist also gemacht, fügte der junge Mann hinzu, indem er sich den Anschein gab, als fühle er sich ganz leicht. Ich denke, wir können noch heute reisen.
Gut, es sei, reisen wir! sagte Mercedes, sich in ihren einzigen Schal hüllend.
Albert sammelte hastig seine Papiere, klingelte, um die dreißig Franken zubezahlen, die er dem Hausmeister schuldig war, bot seiner Mutter den Arm und stieg die Treppe hinab.
Es ging ein Mann vor ihnen; als dieser das Streifen eines seidenen Kleides an dem Geländer hörte, wandte er sich um.
Debray! murmelte Albert.
Sie, Morcerf! erwiderte der Sekretär des Ministers.
Die Neugierde trugbei Debray den Sieg über das Verlangen, sein Inkognito zubewahren, davon; überdies sah er sich erkannt. Es war doch interessant, in diesem unbekannten Hause den jungen Mann wiederzufinden, dessen unglückliches Abenteuer ein so großes Aufsehen in Paris erregt hatte.
Morcerf, wiederholte Debray. Als er dann im Halbdunkel die Gestalt und den schwarzen Schleier der Frau von Morcerfbemerkte, fügte er lächelnd hinzu: Ah! verzeihen Sie, ich entferne mich, Albert.
Albertbegriff Debrays Gedanken und sagte, sich zu Mercedes wendend: Meine Mutter, dies ist Herr Debray, Sekretär des Ministers des Innern, ein ehemaliger Freund von mir.
Wie! ehemalig! stammelte Debray; was wollen Sie damit sagen?
Ich sage dies, Herr Debray, weil ich heute keine Freunde mehr habe und keine mehr haben soll. Ich danke Ihnen, daß Sie so gütig waren, mich zu erkennen.
Debray stieg zwei Stufen zurück, gabAlbert einen kräftigen Händedruck und sagte mit aller Rührung, deren er fähig war: Glauben Sie, lieber Albert, daß ich innigen Anteil an Ihrem Unglück genommen habe, und daß Sie in jederBeziehung über mich verfügen können.
Ich danke, mein Herr, erwiderte Albert lächelnd; doch mitten in unserem Unglück sind wir reich genug geblieben, um zu niemand unsere Zuflucht nehmen zu müssen; wir verlassen Paris, und esbleiben uns nachBezahlung unserer Reise noch 5000 Franken.
Schamröte übergoß Debrays Stirn, der eine Million in seinem Portefeuille trug. Trotz seiner geringen poetischen Veranlagung konnte er nicht umhin, Vergleiche darüber anzustellen, daß dasselbe Haus noch vor wenigen Augenblicken zwei Frauen enthielt, von denen die eine mit 1 500 000 Franken doch arm wegging, während die andere, erhaben in ihrem Unglück, mit wenigen Pfennigen reich war.
DieseBetrachtung störte ihn in seinen Höflichkeitsphrasen; er stammelte ein paar allgemeine Worte und ging rasch die Treppe hinab.
An diesem Tage hatten die ihm untergeordneten Schreiber im Ministerium viel unter seiner verdrießlichen Laune zu leiden. Doch am Abend kaufte er sich ein schönes, auf demBoulevard de l'a Madeleine liegendes Haus.