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Es war, wie sich Andrea sagte, offenbar zu früh am Tage, als daß der Untersuchungsrichter nach ihm senden konnte, und zu spät für einen etwaigen Ruf von seiten des Gefängnisdirektors oder des Arztes; es mußte also wirklich der erwarteteBeschützer sein. Da erblickte er hinter dem Gitter des Sprechzimmers mit seinen vor Neugierde weit aufgesperrten Augen das düstere, verständige GesichtBertuccios, der ebenfalls mit schmerzlichem Erstaunen die Gitter, die verriegelten Türen und den Schattenbetrachtete, der sich hinter den gekreuzten Stangenbewegte.

Ah! machte Andrea, im Herzen getroffen.

Guten Morgen, Benedetto, sagteBertuccio mit seiner hohlen Stimme.

Sieh! sagte der junge Mann, voll Schrecken umherschauend.

Du erkennst mich nicht, unglückliches Kind! entgegneteBertuccio.

Still! still doch! flüsterte Andrea, der das feine Gehör der Wände kannte; mein Gott, sprechen Sie nicht so laut!

Nicht wahr, du würdest gern mit mir allein reden?

Oh, ja.

Bertuccio griff in seine Tasche, machte einem Wärter, den man hinter der Scheibe der Pforte erblickte, ein Zeichen und sagte zu ihm: Lesen Sie.

Was ist das? fragte Andrea.

DerBefehl, dich in ein Zimmer zu führen und mich mit dir sprechen zu lassen.

Ah! Ah! machte Andrea, hüpfend vor Freude, dann sagte er zu sich: Abermals der unbekannteBeschützer! Man vergißt mich nicht! Man sucht die Heimlichkeit, da man in einem abgesonderten Zimmer mit mir sprechen will. Ich habe sie…Bertuccio ist vomBeschützer abgeschickt!

Der Wärterbesprach sich einen Augenblick mit einem Oberen, öffnete sodann die zwei vergitterten Türen und führte Andrea, der vor Freude außer sich war, in ein Zimmer des ersten Stockes, das die Aussicht aus den Hof hatte.

Das Zimmer war getüncht und kam dem Gefangenen wunderbar schön vor; ein Ofen, einBett, ein Stuhl, ein Tischbildeten die kostbare Ausstattung.

Bertuccio setzte sich auf den Stuhl. Andrea warf sich auf dasBett. Der Wärter entfernte sich.

Laß hören, was hast du mir zu sagen? sprach der Intendant.

Und Sie? versetzte Andrea.

Sprich, du zuerst…

Oh! nein, Sie haben mir viel mitzuteilen, da Sie mich aufsuchten!

Wohl! es sei. Du hast deine Verworfenheit fortgesetzt; du hast gestohlen, du hast gemordet.

Wenn Sie mich in einbesonderes Zimmer führen, um mir nur dies zu sagen, mein Herr, so hätten Sie sich lieber gar keine Mühe machen sollen. Es gibt anderes, das ich nicht weiß, sprechen wir lieber davon! Wer hat Sie geschickt?

Oh, oh! Sie gehen sehr rasch, HerrBenedetto.

Nicht wahr? Und gerade aufs Ziel. Ersparen wir uns alle unnützen Worte. Wer schickt Sie?

Niemand.

Woher wissen Sie, daß ich im Gefängnisbin?

Ich habe dich längst in dem frechenBurschen erkannt, der so zierlich sein Pferd auf den Champs‑Elysées tummelte.

Die Champs‑Elysées… Ah! ah!.. die Champs‑Elysées! Sprechen wir von meinem Vater, wenn'sbeliebt!

Werbin denn ich?

Sie, meinbraver Herr, sind mein Adoptivvater… Doch, ich denke, Sie haben nicht zu meinen Gunsten 100 000 Franken hergegeben, die ich in vierbis fünf Monaten verbrauchte; Sie haben mir nicht einen italienischen Vater und Edelmann verschafft; Sie haben mich nicht in die Gesellschaft eingeführt und zu einem gewissen Mittagsmahle, das ich noch zu genießen glaube, nach Auteul eingeladen… Vorwärts, reden Sie, ehrenwerter Korse…

Was soll ich dir sagen?

Auf den Champs‑Elysées wohnt ein sehr reicher Herr.

Bei dem du gestohlen und gemordet hast, nicht wahr?

Ich glaube, ja.

Der Herr Graf von Monte Christo?

Sie haben ihn genannt. Soll ich mich in seine Arme werfen und ausrufen: Mein Vater! Mein Vater!

Scherzen wir nicht, erwiderteBertuccio mit ernstem Tone, ein solcher Name soll nicht ausgesprochen werden, wie du ihn auszusprechen wagst.

Bah! rief Andrea, etwas verblüfft durchBertuccios feierliche Haltung, warum nicht?

Weil der, der diesen Namen führt, zu sehr vom Himmelbegünstigt ist, um der Vater eines Elenden deiner Art zu sein.

Oh! Große Worte…

Und große Wirkungen, wenn du dich nicht in acht nimmst!

Drohungen! Ich fürchte sie nicht… ich werde sagen…

Glaubst du es mit Pygmäen, wie du einerbist, zu tun zu haben? sagteBertuccio mit so ruhigem Tone und mit so sicheremBlicke, daß Andrea im Innersten erschüttert wurde, glaubst du es mitBagnohelden oder mit Toren, wie man sie gewöhnlich in der Welt trifft, zu tun zu haben?…Benedetto, dubist in einer furchtbaren Hand, diese Hand will sich dir öffnen; benutze es!

Mein Vater… ich will wissen, wer mein Vater ist, sagte er eigensinnig; ich will darüber sterben, wenn es sein muß, aber ich werde es erfahren. Was kümmere ich mich um den Skandal? Für mich ist er vorteilhaft, erbringt mir Ruhm, er verleiht mir Ansehen, er empfiehlt mich. Doch ihr Leute von der großen Welt habt trotz eurer Millionen und eurer Wappenbeim Skandal immer etwas zu verlieren… Nun, wer ist mein Vater?

Ichbin gekommen, es dir zu sagen…

Ah! riefBenedetto mit freudefunkelnden Augen.

In dieser Sekunde öffnete sich die Tür, und der Gefangenwärter sagte, sich anBertuccio wendend: Verzeihen Sie, der Untersuchungsrichter erwartet den Gefangenen.

Das ist der Schluß meines Verhörs, sagte Andrea zu dem würdigen Intendanten… zum Teufel mit dem Überlästigen!

Ich werde morgen wiederkommen, versetzteBertuccio.

Gut! sagte Andrea. Meine Herren Gendarmen, ichbin ganz zu Ihren Diensten… Ah, lieber Herr, lassen Sie doch ein Dutzend Taler in der Kanzlei zurück, daß man mir hier gibt, was ichbrauche.

Es soll geschehen, erwiderteBertuccio.

Andrea reichte ihm die Hand; Bertuccio hielt die seinigen in der Tasche und ließ nur das Klimpern von ein paar Goldstücken hören.

Das wollte ich sagen, versetzte Andrea mit einer lächelnden Grimasse, aber innerlich vonBertuccios seltsamer Ruhe ganz überwältigt.

Sollte ich mich getäuscht haben? sagte er zu sich selbst, in den länglichen und vergitterten Wagen steigend, den man den Salatkorbnennt. Wir werden sehen! Morgen also! fügte er, sich zuBertuccio umwendend, hinzu.

Morgen! antwortete der Intendant.

Der Richter.

Man erinnert sich, daß der AbbéBusoni alleinbei Noirtier im Sterbezimmer geblieben war, und daß sich der Greis und der Priester in das Wächteramtbei der Leiche des Mädchens geteilt hatten. Vielleicht waren es die christlichen Ermahnungen des Abbés, vielleicht war es das überzeugende Wort, das dem Greise den Mut zurückgab; denn seit dem Augenblick derBesprechung, die er mit dem Priester gehabt, tratbei Noirtier an Stelle der Verzweiflung, die sich anfangs seinerbemächtigt hatte, eine große Ruhe ein, diebei seiner tiefen Liebe und Zuneigung für Valentinebesonders überraschend war.

Herr von Villefort hatte den Greis seit dem Morgen des Todes nicht wiedergesehen. Die ganze Dienerschaft war erneuert worden; man hatte einen anderen Kammerdiener für ihn, einen anderenBedienten für Noirtier angeworben; zwei Kammerfrauen waren in den Dienst der Frau von Villefort getreten.

In ein paar Tagen sollten die Schwurgerichtssitzungenbeginnen; darum verfolgte Villefort, in sein Kabinett eingeschlossen, mit fieberhafter Tätigkeit den gegen Caderousses Mörder eingeleiteten Prozeß. Der Fall machte großes Aufsehen in der Pariser Welt. DieBeweise waren nicht überzeugend, weil sie auf einigen Worten von der Hand eines sterbenden Galeerensklaven, eines ehemaligenBagnogenossen des Angeklagten, beruhten, der seinen Gefährten aus Haß oder aus Rache anschuldigen konnte. Nur der Staatsanwalt hatte die feste Überzeugung gewonnen, Benedetto sei schuldig, und es sollte ihm aus dem schwierigen Siege dieser seiner Anschauung einer von jenen Genüssen der Eitelkeit erwachsen, die allein die Fibern seines vereisten Herzens einigermaßen erwärmten.