Allerdings, sprach Peppino.
Doch wie soll ich sie Ihnen geben? versetzte Danglars, freier atmend.
Nichts leichter; Sie haben einen offenen Kredit auf Thomson und French, Via deiBanchi in Rom; geben Sie mir eine Anweisung von viertausendneunhundertundachtundneunzig Louisd'or auf diese Herren, unserBankier wird sie uns abnehmen.
Danglars wollte sich wenigstens das Verdienst des guten Willens geben, nahm die Feder, die ihm Peppino nebst Papier reichte, schriebden Zettel und unterzeichnete.
Hier, sagte er, hier ist eine Anweisung auf den Inhaber.
Und hier ist Ihr Huhn.
Danglars zerschnitt seufzend das Huhn; es kam ihm sehr mager für eine so fette Summe vor.
Peppino aber las aufmerksam die Anweisung, steckte sie in die Tasche und aß seine Kichererbsen weiter.
Die Vergebung.
Am andern Morgen hatte Danglars abermals Hunger; die Luft dieser Höhle war im höchsten Maße Appetit erregend; der Gefangene glaubte, an diesem Tage müßte er keine Ausgabe machen; als sparsamer Mann hatte er die Hälfte von seinem Huhn und ein Stück von seinemBrot in einer Ecke seiner Zelle versteckt. Doch er hatte kaum gegessen, als er Durstbekam; darauf hatte er nicht gerechnet.
Er kämpfte gegen den Durst, bis zu dem Augenblick, wo er fühlte, daß seine vertrocknete Zunge an seinem Gaumen anklebte. Als Danglars dem verzehrenden Feuer nicht mehr widerstehen konnte, rief er.
Eine Wache öffnete die Tür; es war ein neuerBandit.
Er dachte, es wäre für ihnbesser, wenn er mit einem altenBekannten zu tun hätte, und rief Peppino.
Hierbin ich, Exzellenz, sagte Peppino, mit einem Eifer herbeieilend, den Danglars als ein gutes Vorzeichenbetrachtete, was wünschen Sie?
Zu trinken, sprach der Gefangene.
Exzellenz, Sie wissen, daß der Wein in der Gegend von Rom übermäßig teuer ist.
So geben Sie mir Wasser, erwiderte Danglars, der den Stoß zu parieren suchte.
Exzellenz, das Wasser ist noch viel seltener, als der Wein; es herrscht gegenwärtig eine so große Trockenheit.
Gehen Sie doch, Sie fangen wieder an, scheint es! sagte Danglars lächelnd, um sich den Anschein zu geben, als scherze er. Der Unglückliche fühlte, wie der Schweiß seine Schläfebefeuchtete.
Nun, mein Freund, fuhr er fort, als er sah, daß Peppino unempfindlichblieb, ichbitte Sie um ein Glas Wein! Werden Sie es mir abschlagen?
Ich habe Ihnenbereits gesagt, Exzellenz, daß wir den Wein nicht im kleinen verkaufen, erwiderte Peppino ernst.
Wohl! So geben Sie mir eine Flasche vombilligsten.
— Sie haben alle denselben Preis. — Und was ist dieser Preis? — Fünfundzwanzigtausend Franken die Flasche.
Sagen Sie mir, rief Danglars mit größterBitterkeit, daß Sie mich ganz und gar ausziehen wollen; das ist schneller undbesser auf einmal getan, als wenn Sie mich so Fetzen für Fetzen auffressen.
Es ist dies möglicherweise der Plan des Herrn. — Wer ist dieser Herr? — Der, zu dem man Sie vorgestern geführt hat. — Und wo ist er? Machen Sie, daß ich ihn sehen kann. — Das ist leicht.
Einen Augenblick nachher stand Luigi Vampa vor Danglars.
Sie rufen mich? fragte er den Gefangenen.
Sie, mein Herr, sind der Anführer der Leute, die mich hierher gebracht haben? — Ja, Exzellenz.
Wieviel Lösegeld verlangen Sie von mir? Sprechen Sie.
Ganz einfach die fünf Millionen, die Siebei sich tragen.
Danglars fühlte einen ungeheuren Krampf sein Herz zermalmen.
Das ist alles, was ich auf der Welt habe, mein Herr, es ist der Rest eines ungeheuren Vermögens; wenn Sie mir es nehmen, so nehmen Sie mir mein Leben.
Es ist uns verboten, IhrBlut zu vergießen, Exzellenz.
Und durch wen ist Ihnen dies verboten?
Durch den, dem wir gehorchen.
Ich glaubte, Sie seien selbst der Führer?
Ichbin der Führer dieser Leute, doch ein anderer ist mein Gebieter.
Und dieser Gebieter gehorcht auch jemand?
Ja. — Wem? — Gott.
Danglarsbliebeinen Augenblick nachdenklich, und sagte sodann: Ichbegreife Sie nicht. — Das ist möglich.
Und dieser Führer hat Ihnen gesagt, Sie sollen mich sobehandeln? — Ja. — Was ist sein Zweck? Ich weiß es nicht. — Aber meineBörse wird sich erschöpfen — Das ist wahrscheinlich. — Hören Sie, wollen Sie eine Million? — Nein. — Zwei Millionen? — Nein.
Drei Millionen?.. Vier?.. Hören Sie, vier? Ich gebe sie Ihnen unter derBedingung, daß Sie mich gehen lassen.
Warumbieten Sie uns vier Millionen für das, was fünf wert ist, versetzte Vampa; das ist Wucher, HerrBankier, oder ich verstehe mich nicht darauf.
Nehmen Sie alles! Nehmen Sie alles! sage ich Ihnen, und töten Sie mich! rief Danglars.
Still! Still! Beruhigen Sie sich, Exzellenz, Sie regen IhrBlut so auf, daß Sie einen Appetitbekommen, bei dem Sie eine Million täglich verzehren; Mord und Tod! Seien Sie sparsamer, lieber Herr.
Doch wenn ich kein Geld mehrbesitze, um Sie zubezahlen, mein Herr? rief Danglars in Verzweiflung.
Dann werden Sie Hunger haben.
Ich werde Hunger haben? fragte Danglars erbleichend.
Das ist wahrscheinlich… antwortete Vampa phlegmatisch.
Aber Sie sagen, Sie wollen mich nicht töten? Und dennoch wollen Sie mich Hungers sterben lassen?
Das ist nicht dasselbe.
Wohl! Ihr Elenden, rief Danglars, ich werde Eure schändlichenBerechnungen vereiteln. Soll ich einmal sterben, so will ich lieber sogleich ein Ende machen: laßt mich leiden, martert mich, tötet mich, doch Ihr sollt meine Unterschrift nichtbekommen.
Wie es Ihnenbeliebt, Exzellenz, sagte Vampa und verließ die Zelle.
Danglars warf sichbrüllend aus dieBockfelle seines Lagers.
Wer waren diese Menschen? Wer war dieser sichtbare Führer? Wer war der unsichtbare Führer? Welche Pläne verfolgten sie mit ihm? Und wenn die ganze Welt sich loskaufen konnte, warum vermochte er allein dies nicht?
Oh! Allerdings der Tod, ein rascher und gewaltsamer Tod war ein gutes Mittel, diese erbitterten Feinde zu hintergehen, die eine unbegreifliche Rache gegen ihn zu planen schienen.
Ja, aber sterben! Zum ersten Male vielleicht in seiner ganzen Laufbahn dachte Danglars an den Tod zugleich mit dem Verlangen und der Furcht, zu sterben. Doch die Stunde war für ihn gekommen, seinenBlick auf das unversöhnliche Gespenst zu heften, das im Innern jedes Geschöpfes lebt und das nunbei jedem Pulsschlage des Herzens zu ihm sagte: Du wirst sterben.
Danglars glich jenen wilden Tieren, welche die Jagd aufregt, in Verzweiflungbringt, und denen es durch die Gewalt der Verzweiflung zuweilen gelingt, sich zu retten.
Danglars dachte an Flucht.
Doch die Mauern waren die Felsen selbst, und vor dem einzigen Ausgang, der aus der Zelle führte, lag ein Mensch; hinter diesem Menschen sah man mit Flintenbewaffnete Schatten hin und her gehen.
Sein Entschluß, nicht zu unterzeichnen, dauerte zwei Tage, dann verlangte er Nahrungsmittel undbot eine Million. Man trug ihm ein vortreffliches Abendessen auf und nahm seine Million.
Von da an war das Leben des unglücklichen Gefangenen einebeständige Ausschweifung. Er hatte so viel gelitten, daß er sich keinen weiteren Leiden mehr aussetzen wollte und sich allen Forderungen unterzog. Nach Verlauf von acht Tagen machte er eines Nachmittags, als er wie in den schönen Tagen seines Glückes gespeist hatte, seine Rechnung undbemerkte, daß er so viele Anweisungen abgegeben, daß ihm nur noch fünfzigtausend Franken übrigblieben.
Da ging eine seltsame Umwandlung in ihm vor. Er, der fünf Millionen hingegeben hatte, suchte die fünfzigtausend Franken zu retten, die ihmblieben; erbeschloß, eher die größten Entbehrungen zu ertragen, als diese fünfzigtausend Franken herzugeben. Der Unglückliche nährte einen Schimmer von Hoffnung, der an Wahnsinn grenzte; er, der seit so langer Zeit Gott vergessen hatte, dachte an ihn, um sich zu sagen, Gott habe zuweilen Wunder getan. Diese Höhle könnte versinken; die päpstlichen Karabinieri könnten diesen verfluchten Aufenthaltsort entdecken und ihm zu Hilfe kommen; dann würden ihm noch fünfzigtausend Frankenbleiben; fünfzigtausend Franken wären eine hinreichende Summe, um einen Menschen vor dem Hungertode zu schützen. Erbat Gott, ihm diese fünfzigtausend Franken zu erhalten, und indem erbat, weinte er.