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Maximilian schaute den Grafen voll Erstaunen an.

Wie, sagte er, Sie sind hier nicht mehr derselbe, der Sie in Paris waren?

Warum dies?

Ja, hier lächeln Sie.

Monte Christos Stirn verdüsterte sich plötzlich, und er sagte: Sie haben recht, daß Sie mich an mich selbst erinnern, Maximilian; Sie wiederzusehen war ein Glück für mich, und ich vergaß, daß jedes Glück vorübergehend ist.

Oh! nein, nein, Graf, rief Morel, abermals diebeiden Hände seines Freundes ergreifend; lachen Sie im Gegenteil, seien Sie glücklich, undbeweisen Sie mir, daß das Leben nur für die Leidenden schlecht ist. Oh! Sie sind menschenfreundlich, Sie sind gut, Sie sind groß, mein Freund, und um mir Mut zu verleihen, heucheln Sie diese Heiterkeit.

Sie täuschen sich, Morel, erwiderte Monte Christo, ich war in der Tat glücklich.

Dann ist es um sobesser, Sie vergessen mich.

Wieso?

Ja, denn Sie wissen, Freund, wie der Gladiator, der in den Zirkus trat, den erhabenen Kaiserbegrüßte, so sage ich zu Ihnen: Der den Tod erleiden wird, grüßt dich.

Sie sind nicht getröstet? fragte Monte Christo mit einem seltsamenBlicke.

Haben Sie wirklich geglaubt, ich könnte es sein? rief Morel mit einem Tone vollBitterkeit. Graf, hören Sie mich: Ichbin zu Ihnen gekommen, um in den Armen eines Freundes zu sterben. Allerdings gibt es noch Menschen, die ich liebe; ich liebe meine Schwester Julie, ich liebe ihren Gatten Emanuel; aber für mich ist esBedürfnis, daß man mir starke Arme öffnet, daß man mir in meinen letzten Augenblicken zulächelt. Meine Schwester würde in Tränen zerfließen und ohnmächtig werden; ich würde sie leiden sehen und habe selbst genug gelitten. Emanuel würde mir die Waffe aus den Händen reißen und das Haus mit seinem Geschrei erfüllen. Sie, Graf, dessen Wort ich habe, Sie, der Sie mehr als ein Mensch sind, Sie werden mich sanft und zärtlichbis zu den Pforten des Todes geleiten? Oh! Graf, wie sanft und wollüstig werde ich im Tode ruhen!

Morel sprach diese letzten Worte mit einem Ausdrucke von Energie, der den Grafenbeben ließ.

Mein Freund, fuhr Morel fort, als er sah, daß der Graf schwieg, Sie haben mir den fünften Oktober als das Ende der Fristbezeichnet, die Sie von mir verlangen… Mein Freund, heute ist der fünfte Oktober…

Morel zog seine Uhr.

Es ist neun Uhr, ich habe noch drei Stunden zu leben.

Es sei! sagte Monte Christo, kommen Sie!

Morel folgte mechanisch dem Grafen, und sie warenbereits in der Grotte, ehe es Maximilianbemerkte.

Er fand Teppiche unter seinen Füßen, eine Tür öffnete sich, Wohlgerüche umhüllten ihn, ein lebhaftes Licht traf seine Augen. Morel zögerte, weiterzugehen, undbliebstehen; er mißtraute den entnervenden Sinnenreizen, die ihn umgaben.

Monte Christo zog ihn sanft vorwärts und sagte: Geziemt es sich nicht, daß wir die drei Stunden, die uns nochbleiben, wie die alten Römer verwenden, die, von Nero, ihrem Kaiser und Erben, zum Tode verurteilt, sich mitBlumenbekränzt zu Tische setzten und den Tod mit dem Wohlgeruch von Heliotropen und Rosen einatmeten?

Morel lächelte.

Wie Sie wollen, sagte er; der Todbleibt immer der Tod, das heißt die Ruhe, das heißt die Abwesenheit des Lebens nd folglich des Schmerzes. Er setzte sich, Monte Christo nahm seinen Platz ihm gegenüber.

Manbefand sich in dem wundervollen, bereits von unsbeschriebenen Speisesaal, wo Marmorstatuen auf ihren Häuptern stets mitBlumen und Früchten gefüllte Körbchen trugen.

Morel hatte alles flüchtig angeschaut und ohne Zweifel nichts gesehen. Reden wir als Männer! sagte er mit einemBlicke auf den Grafen.

Sprechen Sie!

Graf, Sie sind der Inbegriff aller menschlichen Kenntnisse, und Ihr Wesen macht den Eindruck auf mich, als kämen Sie aus einer Welt, die weiter vorgerückt und reicher ist, als die unsrige.

Es ist etwas Wahres daran. Morel, sagte der Graf mit jenem schwermütigen Lächeln, das ihn so schön erscheinen ließ; ichbin von einem Planeten herabgestiegen, den man den Schmerz nennt.

Ich glaube alles, was Sie mir sagen, ohne daß ich den Sinn davon zu ergründen suche. ZumBeweise hierfür mag dienen: Sie hießen mich leben, und ich lebte; Sie hießen mich hoffen, und ich hofftebeinahe. Ich wage es daher, Graf, sie zu fragen, als obSie schon einmal tot gewesen wären: Graf, tut das wehe?

Monte Christo schaute Morel mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit an und erwiderte: Ja, allerdings, es tut sehr wehe. Wenn Sie auf eine rohe Weise die sterbliche Hülle zerreißen, die hartnäckig zu leben verlangt; wenn Sie Ihr Fleisch unter den unmerklichen Zähnen eines Dolches aufschreien lassen; wenn Sie mit einer unverständigen Kugel Ihr Hirn durchbohren, dasbei dem geringsten Stoße von Schmerzenbefallen wird, — so werden Sie sicher leiden und mit Widerwillen das Leben verlassen, das Sie mitten unter Ihrem verzweiflungsvollen Todeskampfe immer noch schöner finden, als eine so teuer erkaufte Ruhe.

Ja, ichbegreife, sagte Morel; der Tod hat wie das Leben seine Geheimnisse des Schmerzes und der Wollust, und es kommt nur darauf an, sie kennen zu lernen.

Ganz richtig, Maximilian, Sie haben das große Wort ausgesprochen. Der Tod ist, je nachdem wir uns gut oder schlimm mit ihm stellen, entweder ein Freund, der uns ebenso sanft wiegt, wie eine Amme, oder ein Feind, der uns mit Gewalt die Seele aus dem Leibe reißt. Eines Tags, wenn unsere Welt noch tausend Jahre gelebt, wenn man sich aller zerstörenden Kräfte der Naturbemächtigt haben wird, um sie der allgemeinen Wohlfahrt der Menschheit dienstbar zu machen; wenn der Mensch einmal die Geheimnisse des Todes kennt, — wird dieser ebenso sanft, ebenso wollüstig sein, wie der Schlummer in den Armen unserer Geliebten.

Und wenn Sie sterben wollten, wüßten Sie so zu sterben? — Ja.

Morel reichte ihm die Hand und sagte: Ichbegreife nun, warum Sie mich hierherbeschieden haben, auf diese einsame Insel, mitten in den Ozean, in diesen unterirdischen Palast… ein Grab, das den Neid eines Pharao erregt haben würde; es geschah dies, weil Sie mich liebten, nicht wahr, Graf? Weil Sie mich hinreichend lieben, um mir einen Tod ohne Kampf zu gönnen, einen Tod, der mir gestattet, zu sterben, während ich den Namen Valentine ausspreche und Ihnen die Hand drücke?

Ja, Sie haben richtig erraten, Morel, sagte der Graf einfach, dies war meine Absicht.

Ich danke; die Hoffnung, daß ich morgen nicht mehr leben werde, ist so süß für mein armes Herz.

Bedauern Sie keinen Verlust? fragte Monte Christo.

Nein! antwortete Morel.

Bedauern Sie nicht, von mir scheiden zu müssen? fragte der Graf mit tiefer Rührung.

Morel hielt inne. Sein so reines Auge trübte sich plötzlich und glänzte dann wieder in ungewöhnlichem Feuer, eine große Träne strömte hervor und rollte an seiner Wange herab.

Wie! rief der Graf, Siebeklagen den Verlust von irgend etwas auf Erden und wollen sterben?

Oh! Ich flehe Sie an! rief Morel mit mattem Tone, kein Wort mehr, verlängern Sie meine Qualen nicht, Graf.

Hören Sie, Morel, sagte der Graf, im innersten Herzenbewegt, Ihr Schmerz ist ungeheuer, das sehe ich; aber dennoch glauben Sie an Gott und setzen das Heil Ihrer Seele nicht aufs Spiel!

Morel lächelte traurig und erwiderte: Graf, ich schwöre Ihnen, meine Seele gehört nicht mehr mir.

Hören Sie, Morel, ich habe keine Verwandten auf der Welt, ich habe mich daran gewöhnt, Sie als meinen Sohn zubetrachten; um meinen Sohn zu retten, würde ich mein Leben und noch viel mehr mein Vermögen opfern.

Was wollen Sie damit sagen?

Ich will damit sagen, Morel, daß Sie das Leben verlassen, weil Sie nicht alle Genüsse kennen, die es einem großen Vermögen verheißt. Morel, ichbesitze hundert Millionen: mit einem solchen Vermögen können Sie jedes Ziel erreichen, das Sie sich vorsetzen. Sind Sie ehrgeizig? Jede Laufbahn ist Ihnen geöffnet. Setzen Sie die Welt in Aufruhr, vollführen Sie wahnsinnige Streiche, seien Sie ein Verbrecher, wenn es sein muß, aber leben Sie.