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Graf, ich habe Ihr Wort, erwiderte Morel kalt, und, fügte er, seine Uhr ziehend, hinzu, es ist halbzwölf Uhr.

Morel! Bedenken Sie auch, unter meinen Augen, in meinem Hause?

Dann lassen Sie mich gehen, sprach Morel düster, oder ich fange an zu glauben, Sie lieben mich nicht meinetwegen, sondern Ihretwegen! Und er stand auf.

Es ist gut, sagte Monte Christo, dessen Gesicht sichbei diesen Worten aufklärte; Sie wollen es, Morel, und sind unbeugsam. Ja! Sie sind tief unglücklich, und es könnte Sie, wie Sie gesagt haben, nur ein Wunder heilen; setzen Sie sich, Morel, und warten Sie!

Morel gehorchte. Monte Christo stand ebenfalls auf und holte aus einem sorgfältig verschlossenen Schranke, dessen Schlüssel er an einer goldenen Kette an sich hängen hatte, ein kleines silbernes, wunderbar gearbeitetes Kästchen, dessen Ecken vier Figuren darstellten, Figuren von Frauen, Symbole von Engeln, die zum Himmel aufstreben.

Er stellte dieses Kästchen auf den Tisch, öffnete es und zog eine kleine goldene Kapsel daraus hervor, deren Deckel sich durch den Druck einer Feder hob.

Diese Kapsel enthielt eine salbenartige, halbfeste Substanz. Der Graf schöpfte eine kleine Menge davon mit einem goldenen Löffel undbot sie Morel mit einem langenBlicke.

Man konnte nun sehen, daß diese Substanz grünlich war.

Das ist es, was Sie von mir verlangten, sagte er, das ist es, was ich Ihnen versprochen habe.

Noch lebend, erwiderte der junge Mann, den Löffel aus den Händen Monte Christos nehmend, noch lebend danke ich Ihnen aus dem Grunde meines Herzens.

Der Graf nahm einen zweiten Löffel und schöpfte abermals aus der goldenen Kapsel.

Was wollen Sie machen, Freund? fragte Morel, seine Hand zurückhaltend.

Meiner Treu, Morel, erwiderte er lächelnd, Gott vergebe mir! Ich glaube, ichbin des Lebens so müde wie Sie, und da sich eine Gelegenheitbietet…

Halten Sie ein! rief der junge Mann. Oh! Sie, der Sie lieben, den man liebt, der Sie den Glauben und die Hoffnung haben, tun Sie nicht, was ich zu tun imBegriffebin!

Von Ihrer Seite wäre es ein Verbrechen. Gottbefohlen, mein edler und hochherziger Freund! Gottbefohlen! Ich werde Valentine alles sagen, was Sie für mich getan haben.

Und ohne weiter zu zögern, schlürfte Morel die geheimnisvolle Substanz.

Dann schwiegenbeide. Alibrachte still und aufmerksam den Tabak und die persischen Pfeifen, trug den Kaffee auf und verschwand. Allmählich erbleichten die Lampen in den Händen der Marmorstatuen, und der Geruch der Räucherflammen kam Morel minder durchdringend vor.

Ihm gegenübersitzend, schaute Monte Christo Maximilian aus der Tiefe des Schattens an, während Morel nur die Augen des Grafen glänzen sah.

Ein ungeheurer Schmerzbemächtigte sich des jungen Mannes; er fühlte die Pfeife seinen Händen entschlüpfen, die Gegenstände verloren unmerklich ihre Farbe, seinen getrübten Augen kam es vor, als öffneten sich die Türen und Vorhänge in der Wand.

Freund, sagte er, ich fühle, daß ich sterbe — Dank!

Er machte eine Anstrengung, um dem Grafen zum letzten Male die Hand zu reichen; aber die Hand fiel kraftlos an seiner Seite nieder.

Dann kam es ihm vor, als lächele Monte Christo, nicht mit seinem seltsamen, furchtbaren Lächeln, bei dem er wiederholt die Geheimnisse dieser tiefen Seele im Halbdunkel zu erkennen geglaubt hatte, sondern mit einembarmherzigen Wohlwollen, wie es Väter ihren kleinen Kindern zeigen, wenn diese unvernünftige Dinge reden.

Zu gleicher Zeit wuchs der Graf in seinen Augen; seine fast verdoppelte Gestalt trat auf den roten Tapeten hervor; er hatte seine schwarzen Haare zurückgeworfen und erschien aufrecht und stolz, wie einer von jenen Engeln, mit denen man dieBösen am Tage des jüngsten Gerichtesbedroht.

Gelähmt, gebändigt, warf sich Morel in seinen Stuhl zurück; eine sanfte Erstarrung durchdrang alle seine Adern.

Liegend, entkräftet, fühlte er nichts Lebendes mehr in sich als diesen Traum; es kam ihm vor, als liefe er mit vollen Segeln in den schwankenden Zustand ein, der dem unbekannten Dunkel vorhergeht, das man Tod nennt. Noch einmal versuchte er, dem Grafen seine Hand zu geben; diesmal aber rührte sich seine Hand nicht mehr. Er wollte ein letztes Lebewohl aussprechen; doch seine Zunge wälzte sich schwerfällig im Munde umher, wie ein Stein, der ein Grabverstopfen soll.

Seine mitbetäubender Schlafsuchtbelasteten Augen schlossen sich unwillkürlich; hinter seinen Augenlidern aberbewegte sich einBild, das er erkannte, trotz der Dunkelheit, mit der er sich umhüllt glaubte. Es war der Graf, der eine Tür öffnete.

Sogleich übergoß eine unermeßliche, aus einem anstoßenden mit unendlicher Pracht geschmückten Gemache hervorstrahlende Klarheit den Saal, in dem sich Morel seinem süßen Todeskampfe hingab.

Da sah er auf der Schwelle dieses Saales zwischenbeiden Gemächern eine Frau von wunderbarer Schönheit stehen, Bleich und sanft lächelnd, schien sie der Engel derBarmherzigkeit, der den Engel der Rachebeschwört.

Öffnet sich schon der Himmel für mich? dachte der Sterbende; dieser Engel gleicht dem, welchen ich verloren habe.

Monte Christobezeichnete der jungen Frau mit dem Finger das Sofa, auf dem Morel ruhte.

Sie ging auf ihn zu, die Hände gefaltet und ein Lächeln auf den Lippen.

Valentine! Valentine! rief Morel aus dem Grunde seiner Seele.

Aber sein Mundbrachte keinen Ton hervor, und er stieß, als wären alle seine Kräfte in dieser innerenBewegung vereinigt, einen Seufzer aus und schloß die Augen.

Valentine stürzte auf ihn zu.

Morels Lippen machten abermals eineBewegung.

Er ruft Sie, sprach der Graf, er ruft Sie aus der Tiefe seines Schlummers, er, dem Sie Ihr Schicksal anvertraut hatten, und von dem Sie der Tod trennen wollte! Aber zum Glück war ich da; und ich habe den Todbesiegt! Valentine, fortan sollt ihr euch auf Erden nicht mehr trennen; denn damit ihr einander wiederfändet, stürzte er sich in das Grab. Ohne mich wäret ihrbeide gestorben; ich gebe euch einander zurück: möge Gott mir das doppelte Dasein, das ich rettete, in Rechnung stellen!

Valentine ergriff die Hand Monte Christos und drückte sie in einem Ergusse unwiderstehlicher Freude an ihre Lippen.

Oh! Danken Sie mir sehr, sagte der Graf, oh! Wiederholen Sie mir, ohne des Wiederholens müde zu werden, daß ich Sie glücklich gemacht habe; Sie ahnen nicht, wie sehr ich dieser Gewißheitbedarf.

Oh! Ja, ja, ich danke Ihnen von ganzer Seele, sagte Valentine, und wenn Sie an der Aufrichtigkeit meines Dankes zweifeln, so fragen Sie Haydee, die mich seit unserer Abreise von Frankreichbewog, mit Gesprächen über Sie den glücklichen Tag, der heute für mich erglänzt, geduldig zu erwarten.

Sie lieben also Haydee? fragte Monte Christo mit einer Rührung, die er vergebens zu verbergenbemüht war.

Oh! Von ganzer Seele!

Nun wohl, so hören Sie, sagte der Graf, ich habe mir eine Gunst von Ihnen zu erbitten.

Von mir? Großer Gott! Bin ich so glücklich?…

Ja. Sie haben Haydee Ihre Schwester genannt, möge sie in der Tat Ihre Schwester sein, Valentine; geben Sie ihr alles zurück, was Sie mir schuldig zu sein glauben, beschützen Sie mit Morel die arme Haydee, denn sie wird fortan allein auf der Welt sein…

Allein auf der Welt! wiederholte eine Stimme hinter dem Grafen; und warum?

Monte Christo wandte sich um.

Haydee stand da, bleich und in Eis verwandelt, und schaute den Grafen mit einer Gebärde tödlicher Starrheit an.

Weil du morgen frei sein wirst, meine Tochter, antwortete der Graf; weil du in der Welt den dir gebührenden Platz einnehmen wirst; weil mein Verhängnis das deinige nicht verdunkeln soll. Fürstentochter! Ich gebe dir die Reichtümer und den Namen deines Vaters zurück!

Haydee erbleichte, öffnete ihre durchsichtigen Hände, wie es die Jungfrau tut, die sich Gottbefiehlt, und sprach mit einer von Tränen heiseren Stimme: Also du verläßt mich, Herr?