Aber, womit haben Sie die Tinte gemacht?
Früher war ein Kamin in meinem Gefängnisse, sagte Faria. Dieser Kamin wurde ohne Zweifel einige Zeit vor meiner Ankunft verstopft, aber man hatte wohl viele Jahre lang Feuer darin gemacht, und so ist das ganze Innere mit Rußbedeckt. Ich löse diesen Ruß mit einer Portion Wein auf, den man mir jeden Sonntag gibt, und das liefert mir vortreffliche Tinte. Umbesondere Stellen ins Auge fallen zu lassen, steche ich mir in die Finger und schreibe sie mit meinemBlut.
Und wann kann ich dies alles sehen? fragte Dantes.
Wann Sie wollen, antwortete Faria.
Oh, sogleich! rief der junge Mann.
Folgen Sie mir also, sagte der Abbé und kehrte in den unterirdischen Gang zurück, wo er verschwand; Dantes folgte ihm.
Das Zimmer des Abbés
Nachdem Dantes, sichbückend, aber doch ohne großeBeschwerde, den unterirdischen Gang durchschritten hatte, gelangte er an das entgegengesetzte Ende der Aushöhlung, die in das Zimmer des Abbés führte. Hier verengte sich der Gang undbot kaum Raum genug, daß ein Mann kriechend hineinschlüpfen konnte. Das Zimmer war mit Plattenbelegt. Unter einer im dunkelsten Winkel liegenden Platte hatte der Abbé die mühsame Arbeitbegonnen, die ihn schließlich mit Dantes zusammenführen sollte. Sobald der junge Mann drinnen war und sich wieder aufgerichtet hatte, betrachtete er das geheimnisvolle Zimmer mit der größten Aufmerksamkeit. Beim erstenBlickebot sich ihm nichtsBesonderes dar.
Gut, sagte der Abbé, es ist erst ein Viertel auf ein Uhr, und wir haben noch ein paar Stunden vor uns. Dantes schaute umher und suchte nach der Uhr, auf der der Abbé die Stunde hatte so genau lesen können.
Schauen Sie diesen Tagesstrahl an, der durch mein Fenster dringt, und sehen Sie an der Wand die Linien, die ich gezogen habe. Diese Linien geben mir die Stunde genauer an, als wenn ich eine Uhr hätte, denn die Uhr kann in Unordnung geraten, Sonne und Erde aber nicht, sagte der Abbé als Antwort auf Edmonds staunenden und fragendenBlick.
Dantes verstand diese Erklärung nicht. Ichbitte, sagte er, es drängt mich, Ihre Schätze zubetrachten.
Der Abbé ging nach dem Kamine und hobmit dem Meißel, den erbeständig in der Hand hielt, den Stein aus, der einst den Herdbildete und nun eine ziemlich tiefe Aushöhlung verbarg, in der alle Gegenstände eingeschlossen waren, von denen er gesprochen hatte.
Was wollen Sie zuerst sehen? fragte er.
Zeigen Sie mir Ihr großes Werk über Italien.
Faria zog aus dem kostbaren Schranke dreibis vier wie Papyrusblätter umeinander gewundene Leinwandrollen hervor. Es waren ungefähr vier Zollbreite und achtzehn Zoll langeBänder. Sehen Sie, sagte er, hier ist alles. Vor ungefähr acht Tagen habe ich das Wort Ende unten an das hundert und achtundsechzigsteBand geschrieben. Zwei von meinen Hemden und was ich an Taschentüchernbesaß, wurde dazu verwendet, und werde ich je wieder frei und es findet sich in ganz Italien ein Drucker, der mein Werk zu veröffentlichen wagt, so ist mein wissenschaftlicher Ruf für alle Zeitenbegründet.
Ja, antwortete Dantes, ich sehe es wohl. Und nunbitte ich Sie, zeigen Sie mir die Federn, mit denen Sie dieses Werk geschrieben haben!
Faria zeigte dem jungen Mann ein kleines, sechs Zoll langes Stäbchen, etwa so dick wie der Stiel eines Haarpinsels; am Ende desselben war mittels eines Fadens einer von den Knorpeln angebunden, von denen der Abbé gesprochen hatte. Er war schnabelförmig zugeschnitten und wie eine gewöhnliche Feder geschlitzt. Dantes schaute ihn an und suchte mit den Augen nach dem Instrument, mit dem der Abbé den Knorpel so fein geschnitten haben könnte.
Ah, ja, das Federmesser, nicht wahr? Das ist mein Meisterwerk. Ich habe es, sowie das Messer, das Sie hier sehen, aus einem alten eisernen Leuchter gemacht.
Das Federmesser schnitt wie ein Rasiermesser: das Messer hatte den Vorteil, daß es zugleich als Messer und Dolch dienen konnte. Dantes untersuchte diese Gegenstände mit derselben Aufmerksamkeit, mit der er in den Raritätenhandlungen in Marseille die von Wilden verfertigten und von Schiffskapitänen aus der Südsee zurückgebrachten Werkzeuge untersucht hatte.
Was die Tintebetrifft, sagte Faria, so wissen Sie, wie ich dabei zu Werke gehe; ich mache sie nach meinemBedarf.
Nun staune ich nur über eins, sagte Dantes, darüber, daß die Tage Ihnen für diese Arbeit genügten.
Ich hatte die Nächte, antwortete Faria.
Die Nächte? Besitzen Sie die Natur der Katzen und sehen Siebei Nacht?
Nein, aber Gott hat dem Menschen den Verstand gegeben, um die Armut seiner Sinne zu unterstützen. Ich habe mir Licht verschafft. Von dem Fleische, das man mirbringt, trenne ich das Fett; ich lasse es schmelzen und ziehe eine Art von verdicktem Öl daraus. Sehen Sie hier meine Kerze!
Und der Abbé zeigte Dantes eine Art von Lämpchen, denen ähnlich, deren man sichbei öffentlichen Illuminationenbedient.
Aber wie machen Sie Feuer?
Hier sind zwei Kieselsteine und verbrannte Leinwand.
Dantes legte die Gegenstände, die er in der Hand hielt, auf den Tisch und neigte das Haupt, ganz niedergebeugt von der Kraft und Ausdauer diesesbeharrlichen Geistes.
Das ist noch nicht alles, fuhr Faria fort; denn man darf nicht alle seine Schätze in ein Versteck legen; verschließen wir dieses!
Siebrachten die Platte wieder an ihre Stelle; der Abbé streute etwas Staubdarauf, fuhr mit seinem Fuße darüber, ging dann auf seinBett zu und rückte es von der Stelle.
Hinter dem Kopfkissen, unter einem Stein verborgen, der es fast völlig verschloß, war ein Loch und unter diesem Loch eine etwa fünfundzwanzigbis dreißig Fuß lange Strickleiter. Dantes untersuchte sie; sie war von tadelloser Festigkeit.
Wer hat Ihnen die zu diesem vortrefflichen Werke erforderliche Schnur geliefert? fragte Dantes.
Zuerst einige Hemden, die ichbesaß, dann meineBetttücher, die ich während einer dreijährigen Gefangenschaft in Fenestrelle ausfädelte. Als man mich nach dem Kastell Ifbrachte, fand ich Mittel, das ausgefädelte Zeug mitzunehmen. Hier setzte ich meine Arbeit fort.
Ich hatte anfangs den Gedanken, diese Stangen loszumachen und durch dieses Fenster zu entfliehen, das, wie Sie sehen, etwasbreiter ist, als das Ihrige, und von mir im Augenblicke meiner Entweichung noch erweitert worden wäre. Aber ichbemerkte, daß dieses Fenster auf einen innern Hof geht, und leistete auf diesen Fluchtversuch als zu unsicher Verzicht. Die Strickleiter war aber einmal gemacht, und ich hebe sie mir für alle Fälle auf.
Während es schien, als untersuchte Dantes noch länger die Strickleiter, dachte er an etwas ganz anderes. Der Gedanke durchzog seinen Geist, daß dieser so außerordentlich scharfsinnige Mann vielleicht das Dunkel seines eigenen Unglücks zu durchdringen vermöchte.
Woran denken Sie? fragte der Abbé lächelnd. Er hielt Dantes' Versunkenheit für eine auf den höchsten Grad gesteigerteBewunderung.
Ich denke vor allem an die ungeheure Summe von Verstand, die Sie aufwenden mußten, um zu einem solchen Ziele zu gelangen. Was hätten Sie erst getan, wenn Sie frei gewesen wären!
Vielleicht nichts, diese Überfülle meines Gehirns wäre in Kleinlichkeiten verpufft. Esbedarf des Unglücks, um gewisse geheimnisvolle, im menschlichen Verstande verborgene Minen zu graben; esbedarf des Druckes, um das Pulver zum Ausbruch zubringen. Die Gefangenschaft hat alle meine dahin und dorthin flatternden Geisteskräfte in einem einzigen Punkte vereinigt.
Der Abbé verschloß sein Versteck wieder und sagte: Nun erzählen Sie mir Ihre Geschichte!