Выбрать главу

Würden Sie sich anheischig machen, die Schildwache nur im äußersten Notfalle zu töten?

Ja, bei meiner Ehre.

Dann können wir unsern Plan ausführen, sagte der Abbé. Wie langebrauchen wir dazu?

Wenigstens ein Jahr.

Oh, sehen Sie, wir haben ein Jahr verloren! rief Dantes.

Finden Sie, daß wir es verloren haben? sagte der Abbé.

Ichbitte um Vergebung, rief Edmond errötend.

Still; der Mensch ist immer nur ein Mensch, und Sie sind einer von denbesseren, die ich kennen gelernt habe. Vernehmen Sie meinen Plan!

Der Abbé zeigte nun Dantes eine Zeichnung, die er entworfen hatte; es war der Plan seines Zimmers, des von Dantes und des Ganges, derbeide miteinander verband. Mitten in diesem Gangebrachte er einen Schacht an, denen ähnlich, die man inBergwerken macht. Dieser Schacht führte die Gefangenen unter die Galerie, wo die Schildwache auf- und abging. Hier machten sie einebreite Aushöhlung und lösten eine von den Platten, die denBoden der Galeriebildeten. Im gegebenen Augenblick fiel die Platte unter dem Gewichte des Soldaten ein, und dieser stürzte in die Höhlung. Dantes warf sich in dem Momente auf ihn, wo er, von seinem Fallebetäubt, sich nicht verteidigen konnte, band, knebelte ihn, undbeide drangen durch ein Fenster dieser Galerie, stiegen mit Hilfe der Strickleiter an der äußeren Mauer hinabund flüchteten sich. Dantes schlug in die Hände, und seine Augen funkelten vor Freude; dieser Plan war so einfach, daß er gelingen mußte.

Noch an demselben Tage gingen die Minierer mit um so mehr Eifer ans Werk, als die Arbeit auf eine lange Ruhe folgte, und aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Ausführung eines innigen, geheimen Gedankens jedes vonbeidenbildete. Nichts unterbrach sie, als die Stunde, zu der sichbeide zurückziehen mußten, um jeder in seinem Kerker denBesuch des Wärters zu empfangen. Sie hatten sich übrigens daran gewöhnt, an dem fast unmerklichen Geräusch von Tritten den Augenblick wahrzunehmen, wo dieser Mensch herabkam, und nie war einer von ihnen überrascht worden. Die Erde, welche sie aus der neuen Galerie zogen, wurde in kleinen Staubteilchen und mit unerhörterBehutsamkeit durch das eine oder das andere Kerkerfenster von Dantes oder von Faria geworfen. Der Nachtwind trug sie dann in die Ferne, ohne daß Spuren davon übrigblieben.

Mehr als ein Jahr vergingbei dieser Arbeit, die, in Ermangelung aller anderen Werkzeuge, mit einem Meißel, einem Messer und einem hölzernen Hebel ausgeführt wurde, und während dieser Arbeit fuhr Faria fort, Dantes zu unterrichten, wobei erbald in der einen, bald in der andern Sprache sich mit ihm unterhielt und ihn die Geschichte der Nationen und der großen Menschen lehrte. Der Abbé, ein Mann der Welt, und zwar der großen Welt, besaß überdies in seinen Manieren eine gewisse hoheitsvolle Würde, die sich auf den von Natur so empfänglichen Dantes übertrug und ihn die elegante Artigkeit und die aristokratischen Manieren lehrte, die uns sonst nur durch längeren Umgang mit den höheren Klassen oder in der Gesellschaft edler Männer zur Gewohnheit werden.

Nach Verlauf von fünfzehn Monaten war das Loch vollendet und die Höhlung unter der Galerie angebracht. Man hörtebereits die Schildwache hin und her gehen, und diebeiden Arbeiter, die eine dunkle Nacht ohne Mondschein abwarten mußten, um ihre Flucht zu sichern, befürchteten nur eines: es könnte derBoden zu früh von selbst unter den Füßen des Soldaten einstürzen. Manbegegnete diesem Mißgeschick dadurch, daß man einen kleinenBalken, den man imBoden gefunden hatte, als Stütze aufstellte.

Dantes war eben dabei, denBalken festzustellen, als er hörte, wie ihn der Abbé, der in seinem Zimmer geblieben war und sich damitbeschäftigte, einen Pflock zuzuspitzen, der die Strickleiter halten sollte, mit schmerzlichem Tone rief. Dantes kehrte rasch zurück und sah den Abbébleich, mit schweißbedeckter Stirn und krampfhaft zusammengezogenen Händen, mitten im Zimmer stehen.

Oh, mein Gott! rief Dantes, was haben Sie?

Rasch, rasch! sagte der Abbé, hören Sie mich!

Dantes erblickte das leichenbleiche Gesicht Farias, seine von einembläulichen Kreise umzogenen Augen, seine weißen Lippen, seine gesträubten Haare und ließ aus Schrecken den Meißel, den er in der Hand hielt, auf denBoden fallen.

Ichbin verloren, sagte der Abbé; ein furchtbares, vielleicht tödliches Übel erfaßt mich. Der Anfall kommt, ich fühle es. Schon einmal wurde ich davon, ein Jahr vor meiner Einkerkerung, ergriffen. Für dieses Übel gibt es nur ein Mittel, ich will es Ihnen nennen. Heben Sie den Fuß desBettes auf! Der Fuß ist hohl, Sie finden darin ein Kristallfläschchen, mit einer roten Flüssigkeit halbgefüllt.

Dantes verlor den Kopf nicht, obgleich ihm das Unglück, das ihm drohte, unermeßlich schien; er zog das Fläschchen aus demBettfuße und legte dann den an allen Gliedern zitternden Abbé auf dasBett.

Das Übel tritt ein, rief Faria, ich verfalle in Starrsucht; vielleicht werde ich keineBewegung machen, keine Klage ausstoßen; vielleicht werde ich aber auch schäumen, schreien. Suchen Sie zubewirken, daß man mein Geschrei nicht hört; es ist von Wichtigkeit, denn man könnte mir dann ein anderes Zimmer geben und uns für immer trennen. Wenn Sie mich unbeweglich, kalt und gleichsam tot sehen, dann, aber auch dann erst, hören Sie wohl, drücken Sie mir die Zähne mit dem Messer auseinander, flößen mir achtbis zehn Tropfen von diesem Tranke in den Mund, und vielleicht komme ich wieder zu mir.

Vielleicht, rief Dantes schmerzlich.

Zu Hilfe, zu Hilfe! rief der Abbé, ich… ich… Ärm…

Der Anfall kam so rasch und so heftig, daß der unglückliche Gefangene nicht einmal dasbegonnene Wort vollenden konnte. Eine Wolke zog schnell und düster wie die Stürme des Meeres über seine Stirn hin. Die Krise erweiterte seine Augen, verdrehte seinen Mund, färbte seine Wangen purpurrot. Er arbeitete mit Händen und Füßen, schäumte, brüllte; aber Dantes erstickte, wie es ihm Faria selbst empfohlen hatte, das Geschrei unter der Decke. Dies dauerte zwei Stunden. Dann aber fiel der Greis, träger als eine tote Masse, kälter als der Marmor, zurück, erstarrte in einem letzten Krampfanfall und wurde leichenbleich.

Edmond wartete, bis dieser scheinbare Tod den Körper erfaßt undbis zum Herzen vereist hatte. Dann nahm er das Messer, schobdie Klinge zwischen die Zähne, löste mit unsäglicher Mühe die zusammengepreßten Kinnbacken, zählte, einen nach dem andern, zehn Tropfen von dem rötlichen Safte und wartete.

Es verlief eine Stunde, ohne daß der Greis die geringsteBewegung machte. Dantes fürchtete, zu lange gewartet zu haben, undbetrachtete ihn, beide Hände in seinen Haaren haltend. Endlich erschien eine leichte Färbung auf seinen Wangen; seine Augen gewannen ihrenBlick wieder; ein leichter Seufzer entstieg seinem Munde, und er machte eineBewegung.

Gerettet! gerettet! rief Dantes.

Der Kranke konnte noch nicht sprechen, aber er streckte mit sichtbarer Angst die Hand nach der Tür aus. Dantes horchte und vernahm die Tritte des Gefangenwärters! es war nahe an sieben Uhr. Der junge Mann sprang zur Öffnung, drang hinein, legte die Platte wieder über seinen Kopf und kehrte in sein Zimmer zurück. Einen Augenblick nachher öffnete sich seine Tür, und der Kerkermeister fand den Gefangenen wie gewöhnlich auf seinemBette sitzend.

Kaum hatte er ihm den Rücken gewendet, kaum hatte sich das Geräusch der Tritte im Gang verloren, als Dantes, von Ungeduld verzehrt, ohne an das Essen zu denken, in das Zimmer des Abbés zurückkehrte.

Dieser war wieder zumBewußtsein gekommen; aber er lag immer noch träge und kraftlos auf seinemBette ausgestreckt.

Ich dachte, ich würde Sie nicht wiedersehen, sagte er zu Dantes.

Warum? fragte der junge Mann. Glaubten Sie sterben zu müssen?

Nein, aber alles ist zu Ihrer Fluchtbereit, und ich glaubte, Sie würden fliehen.

Die Röte der Entrüstung färbte Dantes' Wangen.