Dantesbliebden ganzen Tag in seinem Kerker, ohne daß er zu seinem Freunde zurückzukehren wagte. Er wollte so den Augenblick verschieben, wo er die für ihn entsetzliche Gewißheit erlangen sollte, daß der Abbé ein Narr sei. Doch gegen Abend, nach der Stunde des gewöhnlichenBesuches, versuchte es Faria, als er den jungen Mann nicht zurückkehren sah, seinerseits den Raum zurückzulegen, der ihn von demselben trennte. Edmond schauderte, als er hörte, welche schmerzlichen Anstrengungen der Greis machte, um sich fortzuschleppen; seinBein war lahm, und er konnte sich nicht mehr mit seinem Arme helfen. Edmond mußte ihn heraufziehen, denn er hätte sonst nie aus der schmalen Öffnung, die in Dantes' Kerker führte, herauskommen können.
Ich verfolge Sie mit unbarmherziger Ausdauer, sagte Faria mit einem von Wohlwollen strahlenden Lächeln; Sie glaubten meiner Freigebigkeit entgehen zu können, aber dem wird nicht so sein. Hören Sie also!
Edmond sah, daß er nicht ausweichen konnte; er ließ den Greis auf seinemBett sitzen und setzte sich zu ihm auf seinen Schemel.
Sie wissen, sagte der Abbé, daß ich der Sekretär, der Vertraute, der Freund des Grafen Spada, des letzten der Fürsten dieses Namens, war. Ich verdanke diesem guten Herrn das Glück, das ich in diesem Leben genossen habe. Er war nicht reich, obgleich der Reichtum seiner Familie sprichwörtlich war, und ich oft sagen hörte: Reich wie ein Spada. Aber er lebte und starbim Rufe des Überflusses. Sein Palast wurde mir zum Paradies. Ich unterrichtete seine Neffen, die starben, und als er allein auf der Welt war, gabich ihm dadurch, daß ich nur für ihn und ganz und gar nach seinem Willen lebte, zurück, was er seit zehn Jahren für mich getan hatte.
Das Haus des Grafen hattebald keine Geheimnisse mehr für mich. Oft sah ich den Gebieter emsig in altenBüchern nachschlagen und Familienhandschriften durchwühlen. Als ich ihm eines Tages wegen der unnützen Nachtwachen Vorwürfe machte, schaute er michbitter lächelnd an und schlug einBuch auf, das die Geschichte der Stadt Rom enthielt. Hier, im 20. Kapitel, das vom Leben des Papstes Alexander VI. handelte, standen folgende Zeilen, die ich nie habe vergessen können:
Die großen Kriege der Romagna warenbeendigt; CäsarBorgiabrauchte nachBeendigung seiner Eroberungskriege Geld, um ganz Italien zu erkaufen; sein Vater, der Papst, hatte ebenfalls Geld nötig, um mit dem König von Frankreich, Ludwig XII., der trotz seiner letzten Unfälle immer noch mächtig war, fertig zu werden. Es handelte sich also darum, durch eine gute Spekulation Mittel zu gewinnen, was in dem armen, erschöpften Italien eine schwierige Sache war.
Seine Heiligkeit hatte einen Gedanken, siebeschloß, zwei Kardinäle zu ernennen. Wählte der heilige Vater zwei vornehme undbesonders zwei reiche Personen Roms, so ergabsich für ihn folgender Gewinn: Zuerst hatte er die wertvollen Stellen und Ämter zu verkaufen, in derenBesitz diebeiden zukünftigen Kardinälebisher waren; sodann konnte er auf einen glänzenden Preis für den Verkauf derbeiden Kardinalshüte rechnen. Der Papst und CäsarBorgia suchten vor allem diebeiden zukünftigen Kardinäle aus; es waren Giovanni Rospigliosi, der für sich allein vier von den höchsten Würden des heiligen Stuhles inne hatte, und Cäsar Spada, einer der edelsten und reichsten Römer. Beide fühlten den Wert einer solchen Gunst des Papstes; sie waren ehrgeizig, und es floßen 800 000 Taler in die Kassen der Spekulanten.
Nachdem der Papst Rospigliosi und Spada mit Schmeicheleien überhäuft und ihnen die Insignien der Kardinalswürde übertragen hatte, lud er sie in Gemeinschaft mit CäsarBorgia zum Mittagsmahle ein. InBezug auf dieses Mahlbestand eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem heiligen Vater und seinem Sohne. Cäsar dachte, man könnte hierbei eines von den Mitteln gebrauchen, die er stets für seine innigsten Freundebereit hielt: nämlich einmal denberüchtigten Schlüssel, mit dem man den Geladenen aufforderte, einen gewissen Schrank zu öffnen. Dieser Schlüssel hatte eine kleine eiserne Spitze — scheinbar infolge der Nachlässigkeit des Verfertigers. Wandte man Gewalt an, um den Schrank zu öffnen, dessen schwieriges Schloß sonst nicht nachgab, so stach man sich mit dieser Spitze und starbam andern Tage. Sodann stand noch der Ring mit dem Löwenkopfe zur Verfügung, den Cäsar an den Finger steckte, wenn er gewisse Händedrücke gab. Der Löwebiß in die Oberhaut dieser des Drucks für würdig erachteten Hände, und derBiß hatte nach vierundzwanzig Stunden den Tod zur Folge. CäsarBorgia schlug nun seinem Vater vor, die Kardinäle entweder den Schrank öffnen zu lassen, oder jedem von ihnen einen herzlichen Händedruck zu geben. Aber Alexander VI. erwiderte ihm: Es soll uns nicht auf ein Mittagsmahl ankommen, wenn es sich um die vortrefflichen Kardinäle Spada und Rospigliosi handelt. Eine innere Stimme sagt mir, daß wir das Geld dafür schon wieder herausschlagen werden. Überdies vergeßt Ihr, Cäsar, daß eine Unverdaulichkeit sogleich wirkt, während ein Stich oder einBiß erst nach einem oder zwei Tagen ihre Folgen haben.
Cäsar fügte sich diesen Gründen, und die Kardinäle wurden zum Mittagsessen eingeladen. Manbereitete die Tafel in einer reizenden Villa, die der Papst unfern von Rombesaß. Ganzbetäubt von seiner neuen Würde, machte Rospigliosi seinen Magenbereit und setzte seinebeste Miene auf; Spada aber, ein kluger Mann, der einzig und allein seinen Neffen, einen jungen Kapitän, liebte, machte sein Testament. Er ließ sodann seinem Neffen sagen, er möge ihn in der Gegend der Villa erwarten; aber es scheint, der Diener fand ihn nicht. Spadabegabsich gegen zwei Uhr nach der Villa. Der Papst erwartete ihn, und das erste Gesicht, das dem neuen Kardinal in die Augen viel, war das seines herrlich geschmückten Neffen, an den CäsarBorgia alle möglichen Artigkeiten verschwendete.
Spada erbleichte, und Cäsar, der ihm einenBlick voll Ironie zuwarf, ließ ihn merken, daß er alles vorhergesehen habe. Man speiste. Spada konnte nur seinen Neffen fragen: Hast du meineBotschaft erhalten? Der Neffe verneinte undbegriff vollkommen das Gewicht dieser Frage. Es war zu spät, denn er hattebereits ein Glas vortrefflichen, von dem Mundschenken des Papstes für ihnbesonders aufgestellten Wein getrunken. Spada sah in demselben Augenblick eine andere Flasche kommen, von der man ihm gastfreundlich anbot. Eine Stunde nachher erklärte ein Arzt, beide seien vom Genuß giftiger Pilze gestorben. Spada starbauf der Schwelle der Villa, der Neffe verschied an seiner Haustür.
Sogleich fielen Cäsar und der Papst, unter dem Vorwande, die Papiere untersuchen zu müssen, über die Erbschaft her. Aber diese Erbschaftbestand nur aus einem Stück Papier, auf das Spada geschrieben hatte: Ich vermache meinem Neffen meine Kisten, meineBücher, darunter mein vergoldetesBrevier, mit dem Wunsche, daß er mich im Andenkenbehalten möge. Die Erben suchten überall, bewunderten dasBrevier, durchsuchten, ja zertrümmerten alle Schränke und Kästen, in denen sie etwas Wertvolles vermuteten, und fanden staunend, daß der reiche Spada in Wirklichkeit der ärmste aller Oheime war; nirgends ein Schatz, außer den in derBibliothek oder in den Laboratorien enthaltenen Schätzen der Wissenschaft. Das war alles. Cäsar und sein Vater suchten, wühlten, spähten; man fand nichts oder nur wenig; für tausend Taler Goldschmiedearbeiten und für ungefähr ebensoviel gemünztes Silber. Der Neffe hatte jedoch, als er auf der Schwelle seines Hauses zusammenbrach, Zeit gehabt, seiner Frau zuzurufen: Suche unter den Papieren meines Oheims, es ist ein wirkliches Testament vorhanden.
Man suchte vielleicht noch emsiger, als es die erhabenen Erben getan hatten, aber es war vergebens. Es waren noch zwei Paläste und eine Villa hinter dem Palatino vorhanden; zu jener Zeit hatten jedoch die unbeweglichen Güter einen geringen Wert, und diebeiden Paläste und die Villa verblieben der Familie als der Raubgier des Papstes und seines Sohnes unwürdig. Monate und Jahre verliefen, Alexander VI. starbvergiftet, man weiß durch welchen Mißgriff; zugleich mit ihm vergiftet, wechselte Cäsar nur die Haut, wie eine Schlange, und nahm eine neue Hülle an, worauf das Gift Flecken, denen ähnlich, die man an einem Tigerfelle sieht, zurückließ. Als er sich endlich gezwungen sah, Rom zu meiden, wurde er, ein fast vergessener Mann, in einem nächtlichen Scharmützel getötet. Nach dem Tode des Papstes und der Verbannung seines Sohnes erwartete man allgemein, die Familie würde wieder in fürstlichem Glanze erscheinen, den sie zur Zeit des Kardinalsbesessen hatte; aber dem war nicht so. Die Spadablieben in einem zweifelhaften Wohlstande, einbeständiges Geheimnis ruhte auf dieser dunkeln Angelegenheit, und es ging das Gerücht, Cäsar, einbesserer Politiker, als sein Vater, habe dem Papst das Vermögen des Kardinals gestohlen.