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Nein, nein, beruhigen Sie sich, die Familie ist völlig ausgestorben. Der letzte Graf von Spada hat mich überdies zu seinem Erben eingesetzt. Indem er mir dieses symbolischeBrevier vermachte, vermachte er mir auch, was es enthielt. Nein, nein, seien Sie unbesorgt! Wenn wir von diesem VermögenBesitz ergreifen, können wir es ohne Gewissensbisse genießen.

Und Sie sagen, dieser Schatzbelaufe sich…?

Auf zwei Millionen römische Taler, also ungefähr dreizehn Millionen Franken.

Unmöglich! rief Dantes, erschrocken über diese ungeheure Summe.

Unmöglich! Und warum? versetzte der Greis. Die Familie der Spada war eine der ältesten und mächtigsten Familien des fünfzehnten Jahrhunderts. Überdies sind in Zeiten, denen es gänzlich an Spekulation und Gewerbefleiß gebricht, solche Anhäufungen von Gold und Juwelen nicht selten; noch heutigen Tages gibt es römische Familien, welche fast Hungers sterben und gegen eine Million in Diamanten und Edelsteinenbesitzen, die sich durch Majorat vererbt haben und von ihnen nicht veräußert werden dürfen.

Edmond glaubte zu träumen: er schwebte zwischen Zweifel und Freude.

Ich habe die Sache nur so lange vor Ihnen geheim gehalten, fuhr Faria fort, einmal um Sie zu prüfen und dann um Sie zu überraschen. Wären wir vor meinem Starrsuchtsanfall geflohen, so hätte ich Sie nach Monte Christo geführt; nun aber, fügte er mit einem Seufzer hinzu, werden Sie mich führen. Wie, Dantes, Sie danken mir nicht?

Dieser Schatz gehört Ihnen, mein Freund, sagte Dantes; er gehört Ihnen allein, und ich habe kein Recht darauf; ichbin kein Verwandter von Ihnen.

Sie sind mein Sohn, Dantes, rief der Greis. Sie sind das Kind meiner Gefangenschaft. Mein Stand verurteilt mich zum Zölibat; Gott hat Sie mir geschickt, um zugleich den Mann, der nicht Vater, und den Gefangenen, der nicht frei sein konnte, zu trösten.

Faria streckte den Arm, der ihm noch ungelähmt geblieben war, nach Dantes aus, und dieser fiel ihm weinend um den Hals.

Der dritte Anfall

Nun, da dieser Schatz das zukünftige Glück dessen sichern konnte, den der Abbé wirklich wie seinen Sohn liebte, hatte er in seinen Augen einen doppelten Wert. Jeden Tag redete er davon und setzte Dantes auseinander, was ein Mensch in unseren Zeiten mit einem Vermögen von dreizehnbis vierzehn Millionen seinen Freunden Gutes tun könnte. Dann verfinsterte sich Dantes' Antlitz, denn sein Racheschwur trat vor sein Inneres, und erbedachte, wieviel Schlimmes in unseren Zeiten ein Mensch mit einem Vermögen von dreizehnbis vierzehn Millionen seinen Feinden zuzufügen vermöchte.

Der Abbé kannte die Insel Monte Christo nicht, aber Dantes kannte sie; er war oft an dieser Insel vorübergekommen, die 25 Meilen von Pianosa zwischen Korsika und der Insel Elba liegt, und einmal hatte er daselbst auch angehalten. Die Insel ist völlig öde; sie ist ein fast regelmäßiger Felskegel vulkanischen Ursprungs. Dantes entwarf Faria einen Plan der Insel, und Faria gabDantes Ratschläge über die Mittel, wie er den Schatz am sichersten auffinden könnte.

Aber Dantes warbei weitem nicht so enthusiastisch und vertrauensvoll wie der Greis. Allerdings hatte er sich nun überzeugt, daß Faria kein Verrückter war, und die Art, wie er die Entdeckung gemacht hatte, der zufolge man ihn für einen Wahnwitzigen hielt, vermehrte noch seineBewunderung für ihn. Er konnte jedoch nicht glauben, daß das vergrabene Gut, wenn überhaupt jemals, jetzt noch vorhanden sei.

In dieser Zeit traf diebeiden Unglücklichen ein neues Unglück. Die Galerie am Rande des Meeres, die seit langer Zeit einzustürzen drohte, war wieder aufgebaut worden; man hatte die Schichten wiederhergestellt und mit Felsblöcken das von Dantesbereits halbgefüllte Loch verstopft; ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre ihr Unglück noch viel größer gewesen, denn man hätte ihren Entweichungsversuch entdeckt und sie unzweifelhaft getrennt.

Sie sehen, sagte Dantes mit sanfter Traurigkeit, daß mir Gott sogar das Verdienst dessen, was Sie meine Ergebenheit für Sie nennen, nehmen will. Ich habe Ihnen versprochen, ewigbei Ihnen zubleiben, und es steht mir nun nicht mehr frei, mein Versprechen zu halten. Ich werde den Schatz ebensowenig haben, wie Sie, denn weder ich noch Sie sollen von hier wegkommen. Übrigens mein wahrer Schatz, Freund, der mir unter den düsteren Mauern dieses Gefängnisses zu teil ward, ist Ihre Gegenwart, ist unser tägliches fünf‑bis sechsstündigesBeisammensein. Es sind die Verstandesstrahlen, die Sie in mein Gehirn ergossen, es sind die Sprachen, die Sie in meinen Geist gepflanzt haben, damit haben Sie mich reich und glücklich gemacht. Glauben Sie mir und trösten Sie sich; dies ist für mich mehr wert, als Tonnen Goldes und Kisten voll Diamanten. Sie so lange als möglichbei mir zu haben, Ihreberedte Stimme zu hören, meinen Geist zu schmücken, mein Gemüt zu stählen, mich zu Großem fähig zu machen für den Fall, daß ich je frei werde: das ist mein Vermögen, und jedenfalls kein eingebildetes, wie vielleicht Ihr Schatz; ich habe es wirklich von Ihnen erworben, und alle Fürsten der Erde vermöchten es mir nicht zu entreißen.

Die darauffolgenden Tage waren für die Leidensgenossen, wenn nicht gerade glückliche, so doch kurzweilige Tage. Faria, der so lange Zeit das tiefste Stillschweigen über den Schatzbeobachtet hatte, kam, wie gesagt, jetztbei jeder Gelegenheit darauf zu sprechen. Erblieb, wie er es vorhergesehen, am rechten Arme und am linkenBeine gelähmt und verlorbeinahe jede Hoffnung, jemals wieder davon Gebrauch machen zu können: aber er träumtebeständig für seinen jungen Gefährten entweder von einerBefreiung oder einer Entweichung, und er ergötzte sich dann daran für ihn. Aus Furcht, das Papier könnte eines Tages verloren gehen, nötigte er Dantes, die Aufschrift auswendig zu lernen. Zuweilen gingen ganze Stunden damit hin, daß Faria Dantes Lehren gab, die ihm am Tage seiner Freiheit ersprießlich sein konnten.

In einer Nacht erwachte Edmond plötzlich und glaubte seinen Namen gehört zu haben. Er öffnete die Augen und suchte die dichte Finsternis zu durchdringen. Sein Name oder vielmehr eine klagende Stimme, die sich mühte, seinen Namen auszusprechen, drang an seine Ohren. Er erhobsich angstvoll in seinemBette und horchte. Die Klagelaute kamen aus dem Kerker seines Gefährten.

Großer Gott! murmelte Dantes, sollte es…?

Und er rückte seinBett ab, zog den Stein heraus, eilte in den Gang und gelangte zu dem entgegengesetzten Ende; die Platte war aufgehoben. Bei dem Schimmer der flackernden Lampe, von der wir früher gesprochen haben, sah Edmond den Greisbleich, noch stehend und sich an dem Holze seinesBettes anklammernd. Seine Züge waren verstört durch die Dantesbereitsbekannten Symptome, die ihn so sehr erschreckt hatten, als er sie zum erstenmal wahrnahm.

Nun, mein Freund, sagte Faria gelassen, nicht wahr, Siebegreifen, und ichbrauche Ihnen nichts zu erklären?

Edmond stieß einen schmerzlichen Schrei aus, stürzte, völlig den Kopf verlierend, nach der Tür und rief um Hilfe.

Faria hatte noch die Kraft, ihn am Arme zurückzuhalten.

Still! sagte er, oder Sie sind verloren. Wir wollen nur an Sie denken, mein Freund, um Ihre Gefangenschaft erträglich oder Ihre Flucht möglich zu machen. Siebrauchten Jahre, um all das wiederherzustellen, was ich hier gefertigt habe und was auf der Stelle zerstört würde, wenn unsere Wächter von unserem Einverständnis Kenntnis erhielten. Seien Sie übrigens unbesorgt, mein Freund! Das Gefängnis, das ich verlasse, wird nicht lange leerbleiben; ein anderer Unglücklicher wird meinen Platz einnehmen. Diesem andern werden Sie wie ein rettender Engel erscheinen. Vielleicht ist er jung, stark und geduldig wie Sie und kann Sie in Ihrer Flucht unterstützen, während ich Sie hinderte. Sie werden nicht mehr einen halben Leichnam an sich gefesselt haben, der alle IhreBewegungen lähmte. Gott tut offenbar endlich etwas für Sie; er gibt Ihnen mehr, als er Ihnen nimmt, und es ist Zeit, daß ich sterbe.