Die Armee selbst blieb unsichtbar. Die Straße, die so gerade verlief, als wäre sie mit dem Lineal gezogen, wirkte völlig verlassen.
Die zwei Reiter legten etwa eine halbe Wegstunde zurück.
Nach Ende dieser Zeit fragte Roland ungeduldig: »Zum Teufel auch, wo stecken Ihre Männer?«
»Meine Männer? Zu unserer Rechten, zu unserer Linken, vor uns, hinter uns, überall. Ich scherze nicht, Oberst. Halten Sie mich etwa für so tollkühn, dass ich mich ohne Aufklärer mitten unter derart erfahrene und wachsame Männer wie Ihre Republikaner wagen würde?«
Roland schwieg einen Augenblick und sagte dann zweifelnd: »Wenn ich mich recht erinnere, General, sagten Sie, ich brauchte es nur zu sagen, wenn ich Ihre Männer sehen wollte. Nun gut, jetzt will ich sie sehen!«
»Ganz oder teilweise?«
»Wie viele, sagten Sie, haben Sie bei sich?«
»Dreihundert.«
»Wohlan! Dann will ich hundertfünfzig von ihnen sehen.«
»Halt!«, rief Cadoudal.
Und er hielt seine Hände wie einen Trichter vor den Mund und ließ den Ruf des Käuzchens ertönen, gefolgt vom Ruf der Schleiereule, mit dem Unterschied allerdings, dass der Ruf des Käuzchens nach rechts erfolgte und der Schleiereulenruf in die linke Richtung.
Kaum waren die letzten Töne des klagenden Rufes verstummt, sah man zu beiden Seiten der Straße Gestalten auftauchen, die den Graben zwischen Straße und Unterholz überquerten und links und rechts neben den Pferden Aufstellung bezogen.
»Wer führt rechts das Kommando?«, fragte Cadoudal.
»Ich, General«, erwiderte ein Bauer, der vortrat.
»Wer bist du?«
»Moustache.«
»Und wer ist es links?«, fragte der General.
»Ich, Chante-en-Hiver«, erwiderte ein zweiter Bauer, der sich ebenfalls näherte.
»Wie viele Männer führst du an, Moustache?«
»Hundert, mein General.«
»Und wie viele Männer führst du an, Chante-en-Hiver?«
»Fünfzig.«
»Insgesamt also einhundertundfünfzig?«, fragte Cadoudal.
»Ja«, erwiderten die zwei bretonischen Anführer.
»War das Ihre Schätzung, Oberst?«, fragte Georges lachend.
»Sie können zaubern, General.«
»O nein! Ich bin ein armer Chouan, ein bedauernswerter Bretone wie jeder andere. Ich kommandiere eine Truppe, in der sich jeder Kopf darüber im Klaren ist, was er tut, in der jedes Herz für die zwei großen Grundsätze unserer Welt in den Kampf zieht: Religion und Königtum«, und an seine Männer gewandt fragte Cadoudaclass="underline" »Wer befehligt die Vorhut?«
»Fend-l’Air«, erwiderten die zwei Chouans.
»Und die Nachhut?«
»La Giberne.«
»Dann können wir also unbesorgt weiterreiten?«, fragte Cadoudal seine zwei Freischärler.
»Ganz genauso, als ginge es zur Messe in Ihrer Dorfkirche«, erwiderte Fend-l’Air.
»Reiten wir also weiter«, sagte Cadoudal zu Roland, bevor er sich wieder an seine Männer wandte: »Verstreut euch, Burschen«, sagte er.
Im gleichen Augenblick sprangen alle wie ein Mann in den Graben und waren verschwunden.
Einige Sekunden lang hörte man das Rascheln von Zweigen im Unterholz, das Geräusch von Schritten im Gebüsch, dann herrschte Stille.
»Wohlan!«, sagte Cadoudal, »denken Sie, dass ich mit solchen Männern etwas von Ihren Blauen zu befürchten hätte, seien sie noch so tapfer und geschickt?«
Roland seufzte. Er teilte Cadoudals Ansicht ganz und gar.
Weiter ging es.
Eine Wegstunde von La Trinité entfernt zeigte sich auf der Straße ein dunkler Punkt, der schnell größer wurde.
Mit einem Mal veränderte er sich nicht mehr.
»Was ist das?«, fragte Roland.
»Ein Mensch«, sagte Cadoudal.
»Das kann ich sehen«, erwiderte Roland. »Aber wer ist dieser Mensch?«
»Angesichts seiner Schnelligkeit hätten Sie erraten können, dass es sich um einen Boten handelt.«
»Warum hält er inne?«
»Sicherlich deshalb, weil er drei Männer zu Pferde gesehen hat und nicht weiß, ob er näher kommen oder zurückweichen soll.«
»Was wird er tun?«
»Er wartet ab, bevor er sich entscheidet.«
»Worauf wartet er?«
»Auf ein Zeichen, zum Teufel.«
»Und auf dieses Zeichen wird er antworten?«
»Nicht allein antworten, er wird auch gehorchen. Wollen Sie, dass er näher kommt oder dass er zurückweicht? Dass er sich versteckt?«
»Ich wünsche, dass er näher kommt«, sagte Roland, »denn auf diese Weise werden wir die Nachricht erfahren, die er überbringt.«
Der bretonische Anführer ließ den Ruf des Kuckucks so täuschend echt ertönen, dass Roland sich unwillkürlich umsah.
»Das war ich«, sagte Cadoudal, »suchen Sie nicht weiter.«
»Der Bote wird also herkommen?«
»Er wird nicht kommen, er kommt gerade.«
Tatsächlich hatte der Bote sich wieder aufgemacht und näherte sich schnellen Schritts, und nach wenigen Sekunden stand er vor seinem General.
»Aha«, sagte dieser, »bist du es, Monte-à-l’Assaut?«
Der General beugte sich vom Pferd, und Monte-à-l’Assaut sagte ihm etwas ins Ohr.
»Bénédicte hatte mich bereits vorgewarnt«, sagte Georges.
Nachdem Cadoudal ein paar Worte mit Monte-à-l’Assaut gewechselt hatte, ahmte er zweimal den Ruf der Eule nach und einmal den der Schleiereule, und sofort umringten ihn seine dreihundert Gefolgsleute.
»Bald sind wir da«, sagte er zu Roland. »Jetzt müssen wir die Straße verlassen.«
Oberhalb des Dorfs Trédion ging es querfeldein, wie von Cadoudal angegeben, dann gelangten sie nach Treffléan, vorbei an Vannes zur Linken. Doch statt die Ortschaft zu durchqueren, nahm der bretonische Anführer den Umweg links um das Dorf herum, der ihn zum Saum des Wäldchens führte, das sich zwischen Grand-Champ und Larré erstreckt.
Seit dem Verlassen der Landstraße hatten seine Männer sich um ihn geschart. Cadoudal schien auf Nachrichten zu warten, bevor er sich weiter vorwagte.
In der Richtung von Treffléan und Saint-Nolff begann graues Dämmerlicht den Horizont zu färben, Vorbote des Tageslichts, doch der dichte, dampfende Nebel, der vom Erdboden aufstieg, machte es unmöglich, weiter als auf fünfzig Schritt zu sehen.
Mit einem Mal war in etwa fünfhundert Schritt Entfernung ein Hahnenschrei zu vernehmen.
Georges spitzte die Ohren; die Chouans sahen einander lachend an. Der Hahnenschrei erklang wieder, diesmal näher.
»Das ist er«, sagte Cadoudal. »Er antwortet.«
In Rolands unmittelbarer Nähe erklang Hundegeheul, so täuschend ähnlich, dass der junge Mann wider besseres Wissen mit dem Blick nach dem Tier suchte, das dieses finstere Geheul ausstieß. Im gleichen Augenblick sah man mitten im Nebel einen Mann, der sich den zwei Reitern schnell näherte.
Cadoudal trat drei Schritte vor und legte den Finger auf den Mund, um dem anderen zu bedeuten, leise zu sprechen.
»Wohlan, Fleur-d’Épine«, sagte Georges, »haben wir sie?«
»Wie die Maus in der Mausefalle. Kein Einziger wird nach Vannes zurückkehren, wenn Sie wollen, General.«
»Ausgezeichnet. Wie viele sind es?«
»Hundert Mann, befehligt von General Harty persönlich.«
»Wie viele Wagen?«
»Siebzehn.«
»Sind sie weit von hier?«
»Ungefähr eine Dreiviertelwegstunde.«
»Auf welcher Straße?«
»Auf der von Grand-Champ nach Vannes.«
»Ausgezeichnet.«
Cadoudal rief seine vier Oberleutnants herbei und gab jedem seine Befehle. Jeder von ihnen wiederum ließ den Ruf der Schleiereule ertönen und verschwand mit fünfzig Mann.