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In der Tat barg der Blütenkelch ein Billett; mit feiner, aber ausgezeichnet lesbarer Schrift war auf Seidenpapier folgender tröstliche Ratschlag geschrieben:  

›Übermorgen, Mittwoch, bitten Sie, in den Garten gehen zu dürfen, was man Ihnen gestatten wird, da Ordre besteht, Ihnen diese Gunst zu gewähren, wenn Sie sie erbitten. Nach drei, vier Runden stellen Sie sich müde, nähern sich der Cantine im Garten und bitten Madame Plumeau, sich zu ihr setzen zu dürfen.

Sie müssen darauf achten, diese Erlaubnis um Punkt elf Uhr vormittags zu erbitten, damit Ihre Befreier ihr Handeln mit dem Ihren abstimmen können.

Kurz darauf stellen Sie sich, als gehe es Ihnen schlechter und als würden Sie ohnmächtig. Man wird die Türen verschließen, um Ihnen zu Hilfe zu kommen, und Sie bleiben allein mit Madame Élisabeth und Madame Royale. Unverzüglich wird die Falltür zum Keller geöffnet werden. Stürzen Sie sich mit Schwester und Tochter in diese Öffnung, und Sie werden alle drei gerettet sein.‹  

Das Zusammentreffen dieser drei Dinge ließ die Gefangenen Zuversicht fassen: Toulans Anwesenheit, der Strohhalm im Flur und die genauen Angaben des Billetts.

Was riskierten sie schon bei ihrem Fluchtversuch? Das Leben konnte ihnen kaum schwerer gemacht werden, als es der Fall war. Sie beschlossen, so zu handeln, wie es ihnen in dem Billett empfohlen wurde.

Am Mittwoch, dem übernächsten Tag, las die Königin hinter zugezogenen Bettvorhängen nochmals das Billett, das meine Mutter ihr in der Nelke zugesteckt hatte, um keine der Instruktionen zu übersehen, die es enthielt, zerriss es dann in winzige Schnipsel und begab sich um neun Uhr in das Zimmer der Madame Royale.

Sie verließ das Zimmer gleich darauf und rief nach den Wachen, die gerade beim Essen saßen, so dass sie zweimal rufen musste, bis eine der Wachen erschien.

›Was willst du, Citoyenne?‹, fragte die Wache.

Marie-Antoinette erklärte, dass Madame Royale mangels Bewegung erkrankt sei, dass man sie nur mittags hinauslasse, wenn die Sonne so stark brenne, dass sie nicht spazieren gehen könne, und dass sie um die Erlaubnis bitte, die Zeit ihres täglichen Spaziergangs vorzuverlegen, den sie lieber zwischen zehn und zwölf Uhr statt zwischen zwölf Uhr und zwei Uhr machen wolle; die Königin bat die Wache, ihre Bitte General Santerre vorzutragen, dem die Entscheidungsgewalt oblag, und fügte hinzu, sie werde zutiefst dankbar sein.

Die letzten Worte hatte die Königin so anmutig und bezaubernd geäußert, dass die Wache ihr nicht widerstehen konnte; der Mann lüpfte seine rote Mütze und sagte: ›Madame, der General wird in einer halben Stunde kommen, und sobald er da ist, wird man ihn um alles bitten, was Sie wünschen‹ – und wie um sich Mut zu machen, dass er im Recht sei, sich den Wünschen der Gefangenen zu fügen, dass er aus Vernunft handle und nicht aus Schwäche, wiederholte er: ›Das ist nur recht und billig! Alles in allem ist das nur recht und billig!‹

›Was ist recht und billig?‹, fragte ihn die andere Wache.

›Dass diese Frau mit ihrer kranken Tochter spazieren geht.‹

›Schon gut‹, erwiderte der andere, ›dann soll sie mit ihr auf die Place de la Révolution vor dem Temple kommen, dann kann sie dort spazieren gehen.‹

Die Königin hörte die Antwort der zweiten Wache und erschauerte, doch sie wich nicht ab von ihrem Vorhaben, die erhaltenen Instruktionen peinlich genau zu befolgen.

Um halb zehn traf Santerre ein. Dieser Santerre war kein übler Mensch, ein wenig schroff, ein wenig brutal; zu Unrecht hatte man ihn beschuldigt, den schrecklichen Trommelwirbel angeordnet zu haben, der dem König auf dem Schafott die letzten Worte abschnitt, was er nie verwunden hatte. Doch war er so unvorsichtig gewesen, sich sowohl mit der Generalversammlung als auch mit der Kommune anzulegen, was ihn beinahe den Kopf gekostet hatte.

Er erteilte die Erlaubnis, um die ersucht wurde.

Eine der Wachen ging zur Königin hinauf und teilte ihr mit, dass der General ihrer Bitte stattgebe.

›Ich danke Ihnen, Monsieur‹, sagte sie mit dem bezaubernden Lächeln, das Barnave und Mirabeau in ihr Verderben gelockt hat; dann wendete sie sich an ihren kleinen Hund, der auf die Hinterpfoten aufgerichtet hinter ihr lief: ›Komm, Black, freu dich mit mir, wir werden spazieren gehen‹, und an die Wache gewendet: ›Wir dürfen hinausgehen; um wie viel Uhr?‹

›Um zehn Uhr; war das nicht die Stunde, die Sie selbst vorschlugen?‹

Die Königin verneigte sich, die Wache verließ das Zimmer.

Die drei Frauen blieben allein zurück und wechselten Blicke, in denen sich Hoffnung und Freude mischten. Madame Royale warf sich der Königin in die Arme, Madame Élisabeth trat zu ihr und reichte ihr stumm die Hand.

›Beten wir‹, sagte die Königin, ›aber beten wir so, dass niemand uns beten sieht.‹ Alle drei beteten schweigend.

Die Uhr schlug zehn. Waffenlärm drang bis zu der Königin.

›Das ist die Wachablösung‹, sagte Madame Élisabeth.

›Dann wird man uns jetzt holen‹, sagte Madame Royale.

Die Königin sah, wie ihre Schwägerin und ihre Tochter erbleichten. ›Nur Mut‹, sagte sie, obwohl sie selbst erbleichte.

›Es ist zehn Uhr‹, hörten sie von unten rufen, ›bringt die Gefangenen herunter!‹

›Hier sind wir, Citoyens‹, erwiderte die Königin.

Die erste Tür wurde aufgeschlossen. Durch sie gelangte man in einen finsteren Flur. Dank dem Dämmerlicht konnten die Gefangenen ihre Erregung verbergen.

Der kleine Hund lief ihnen freudig voraus. Doch als er die Tür des Raums erreichte, den sein Herr bewohnt hatte, hielt er inne, schob seine Schnauze in den Schlitz unter der Tür, schnaufte heftig und ließ nach einigen kläglichen Lauten das tiefe und schmerzliche Bellen ertönen, das man gemeinhin als Totengeheul bezeichnet.

Die Königin ging schnell an ihm vorbei, sah sich jedoch einige Schritte weiter genötigt, an der Mauer Halt zu suchen. Die zwei anderen Frauen traten zu ihr und verharrten reglos. Der kleine Black lief zu ihnen.

›Was ist?‹, rief eine Stimme. ›Kommt sie herunter oder nicht?‹

›Wir kommen schon‹, antwortete die Wache, die sie begleitete.

›Gehen wir‹, sagte die Königin, die sich zusammenriss. Und es gelang ihr, die Treppe hinunterzusteigen.

Als sie den Fuß der Wendeltreppe erreicht hatte, erklang ein Trommelwirbel – nicht um die Königin zu ehren, sondern um ihr zu verstehen zu geben, dass sie sich angesichts solcher Vorsichtsmaßnahmen jeden Fluchtversuch aus dem Kopf schlagen könne.

Die schwere Tür öffnete sich langsam, ächzend und quietschend.

Die drei Gefangenen befanden sich im Hof. Schnell begaben sie sich in den Garten. Die Mauern des Hofs bedeckten Schmähinschriften und obszöne Kritzeleien, die sie zur Zielscheibe hatten und mit denen die Soldaten sich die Zeit vertrieben.

Das Wetter war herrlich, die Sonne schien noch nicht so heiß, dass es unerträglich gewesen wäre.

Die Königin ging ungefähr eine Dreiviertelstunde lang spazieren; dann, als es etwa zehn vor elf war, näherte sie sich der Cantine, in der eine Frau namens Mutter Plumeau Wurstwaren, Wein und Schnaps an die Soldaten verkaufte.

Die Königin befand sich bereits auf der Schwelle der Cantine, im Begriff, einzutreten und um Erlaubnis zu bitten, sich zu setzen, als sie sah, dass der Schuster Simon an einem der Tische saß, wo er soeben seine Mittagsmahlzeit beendete.

Unwillkürlich wich sie zurück: Simon war einer ihrer unflätigsten Widersacher. Sie trat einen Schritt zurück und rief ihren kleinen Hund zu sich, der vor ihr in den Raum gesprungen war.

Black aber war unverzüglich zu einer Falltür in den Keller gelaufen, in dem die Witwe Plumeau ihre Lebensmittel und ihre Getränke aufbewahrte. Aufmerksam beschnüffelte er den Rand der Falltür.