Witold sagte endlich: »Ich habe mir schon tausendmal den Kopf zerbrochen, wie das alles zugegangen ist in jener Nacht.
Wieso waren Sie plötzlich da?«
Ja, das war ein wunder Punkt. Nun mußte ich doch den Dieskau ins Feld führen. Ich sagte — obgleich es nicht sehr glaubwürdig klang —, ich hätte, da ich unter Kopfschmerzen litt, nachts noch einen Spaziergang mit dem Hund gemacht. Auf dem freien Grundstück neben dem Garten hätte ich ihn frei laufen lassen, und da sei er plötzlich verschwunden. Auf der Suche nach dem Hund sei ich dann in Witolds Garten geraten, wo ich den Schuß gehört hatte. Da wäre ich eben hereingestürzt.
Witold betrachtete mich während meiner Rede mit gespannter Aufmerksamkeit, rauchte nervös, hielt weder Arme noch Beine ruhig und schielte plötzlich auf meine Füße herunter, um meine Schuhgröße abzuschätzen.
Als ich fertig war, fing er verdrossen wieder an: »Gut, gut, so mag es ja gewesen sein, obgleich ich mich nicht erinnern kann, einen Hund gesehen zu haben. Aber danach verstehe ich gar nichts mehr. Einerseits wollten Sie mir ja offensichtlich helfen, andererseits haben Sie mich beinahe umgebracht!«
»Nein«, versicherte ich, »auf keinen Fall wollte ich Sie treffen, es sollte nur so aussehen, als ob man auch auf Sie geschossen hätte. Ich habe mich dann vergewissert, ob sie gefährlich verletzt waren, und fand es nicht so schlimm.«
Witold rief gekränkt: »Nicht so schlimm, Sie sind gut! Der Schuß ging haarscharf an einer Arterie vorbei, ich hätte verbluten können!«
Er krempelte das Hosenbein hoch, und ich sah eine kleine rote Narbe auf der Außenseite der Wade, dieses Einschußloch hatte ich damals auch gesehen. Nun wies er mir aber die Innenseite des Beines, und da sah es anders aus: die Austrittstelle der Kugel hatte einen tiefen Krater hinterlassen.
Witold sah mich finster an, nichts von seinem hinreißenden Lächeln. »Ich verstehe Sie überhaupt nicht! Sie müssen auch auf meine Frau geschossen haben, aber warum? Einerseits haben Sie mir geholfen, aber andererseits haben Sie wahrscheinlich meine Frau getötet, und ich habe sie nur angeschossen.«
Ich überlegte. Dann bat ich ihn, mir zu erzählen, was die Polizei wisse und was er dort ausgesagt habe.
»Ich konnte mich anfangs wirklich an nichts erinnern«, begann Witold, »aber ich denke nicht, daß die mir das abnehmen. Ich habe ausgesagt, daß meine Frau eine Entziehungskur abgebrochen hat und überraschend wieder aufgetaucht ist. Sie war schon alkoholisiert, als sie ankam, und wir haben dann beide weitergetrunken. Ich trinke sonst nicht viel und bin keine großen Mengen gewöhnt und schon gar keinen Whisky. Ich sagte ihnen, daß mir schlecht wurde und ich mich auf den Teppich gelegt habe. Dann hörte ich einen Knall, spürte einen stechenden Schmerz und verlor das Bewußtsein. — Nun, die Polizei glaubt mir wahrscheinlich nicht, aber andererseits konnte ich mir diese Verletzung nicht selbst verpaßt haben, die Entfernung, aus der der Schuß abgegeben wurde, war viel zu groß. Außerdem konnte ich auch nicht mit dieser blutenden Wunde umhergelaufen sein, ohne dabei Blutspuren zu hinterlassen. Sie haben fieberhaft nach der Tatwaffe gesucht, die nicht zu finden war«, — er stockte kurz — »Sie müssen sie haben!« rief er dann erregt.
Ich nickte. »Ich habe sie beseitigt, denn Ihre Fingerabdrücke waren ja darauf.«
»Ich verstehe das alles nicht«, rief Witold wieder, »das gibt doch keinen Sinn! Warum haben Sie denn nicht einfach die Polizei angerufen!«
Ich lächelte ihn an. »Ich wollte Ihnen helfen!«
»Es ist sehr die Frage, ob Sie mir geholfen haben. Die Polizei sucht dringend eine Person in Turnschuhen, deren Fußabdrücke deutlich im Garten und auf dem hellen Teppich zu sehen waren. Also, man geht wahrscheinlich schon davon aus, daß eine fremde Person aus dem Garten aufgetaucht ist, geschossen hat und dann die Waffe wieder mitgenommen hat.
Aber mir will einfach nicht in den Kopf, warum Sie noch mal auf meine Frau geschossen haben! War sie am Ende gar nicht tot? Nur der Kopfschuß soll tödlich gewesen sein, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wohin ich sie getroffen habe.«
Ich musterte Witold. Sollte ich sagen, daß er sie am Kopf getroffen hatte? Aber eigentlich mußte er das selbst wissen, denn nach seinem Schuß war nur die Bluse blutig-naß geworden. Wahrscheinlich hatte er aber nur gesehen, daß sie umfiel; oder wollte er mich auf die Probe stellen, rauskriegen, ob ich log, ob ich am Ende wahnsinnig war?
Er fuhr fort: »Welchen Grund haben Sie, sich so zu verhalten? Es ergibt einfach keinen Sinn (das sagte er nun schon zum x-ten Mal). Ich habe immer darauf gewartet, daß Sie sich bei der Polizei melden. Als Sie es nicht taten, habe ich daraus geschlossen, daß Sie meine Frau getötet haben.«
Ich sagte, ich sei völlig in Panik geraten, als ich ihn aus Versehen angeschossen hätte. In einer Art Schock hätte ich auch auf die Frau geschossen, wüßte aber ebenso wenig wie er, ob ich sie am Kopf getroffen hätte. Und dann sei ich geflüchtet und hätte mich begreiflicherweise nicht bei der Polizei gemeldet.
»Am besten«, sagte Witold, »wir rufen jetzt gemeinsam die Polizei an und bringen es hinter uns. Es kommt ja; sowieso irgendwann heraus.«
Ich protestierte energisch.
»Wissen Sie, was dann passiert? Sie werden keine Minute länger hier im Odenwald in frischer Luft auf Wald und Wiesen blicken, sondern im Untersuchungsgefängnis auf vergitterte Fenster starren. Im übrigen kann mich kein Mensch mit dieser Sache in Verbindung bringen, niemand hat mich richtig gesehen, und die Fußabdrücke können auch von jedem anderen stammen. Was sollte ich überhaupt für ein Motiv haben?
Außerdem — selbst wenn man Ihnen glauben sollte —, wenn ich meinerseits von Ihrem Schuß erzähle, sind Sie dran! Werden Sie eigentlich beobachtet?«
Witold brummte mürrisch vor sich hin: »Anfangs haben sie mich ständig beschattet, wahrscheinlich auch meine Post geöffnet und mein Telefon abgehört, ich bin schon gar nicht dran gegangen. Fast täglich wurde ich abgeholt und verhört.«
Er holte tief Atem und sah mich anklagend an. Dann fuhr er fort: »Sie dachten wohl zuerst so: Meine Frau hat als erste geschossen, ich dann auf sie. Aber der Schußwinkel stimmte nicht. Nach meinem Beinschuß konnte ich aber nicht mehr laufen. — Daß wir uns abwechselnd die Knarre in die Hand gedrückt haben, kam ihnen auch nicht allzu wahrscheinlich vor. Wie gesagt, ohne eine Blutspur zu hinterlassen, hätte ich die Waffe nicht verstecken können. Hätte ich sie dagegen zuerst getroffen, hätte sie mit ihrer schweren Verletzung kaum noch schießen können. Es mußte also eine weitere Person der Schütze sein.«
Ich warf ein: »Wen hatte man denn in Verdacht?«
»Vielleicht dachten sie daran, daß die Turnschuhperson mit mir unter einer Decke stecke, ja ein bezahlter Killer sei. Sie haben mein Konto überprüft und festgestellt, daß ich zwei Tage vorher dreitausend Mark abgehoben habe. Aber erstens war dieses Geld noch vollständig vorhanden, zweitens konnten vier Kollegen bestätigen, daß ich in der folgenden Woche mit ihnen zu einer Urlaubsfahrt starten wollte und das Geld dafür geholt hatte.«
Witold streifte nervös die Zigarettenasche in den Mülleimer.
»Na ja, nach circa vier Wochen haben sie mich etwas aus dem Clinch gelassen und mir auch erlaubt, kurzfristig hier zu wohnen. Aber ich muß mich jeden zweiten Tag telefonisch melden. — Ist Ihnen übrigens jemand gefolgt?«
»Nein, bestimmt nicht, die ganze Strecke war sehr einsam.
Aber ob mich Ihr Nachbar gesehen hat, das weiß ich wirklich nicht.«
Mein Gott, schoß es mir durch den Kopf, jetzt sitze ich hier dem Mann meiner Träume gegenüber, und wir reden über Mord und Totschlag statt über Liebe, und er starrt mich mit unendlichem Mißtrauen an. Ich mußte versuchen, ihm andeutungsweise meine Sympathie zu vermitteln.